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Dito Tembe und die Madgermanes

Blinde Flecken und vergessenes Unrecht

Dito Tembe und die Madgermanes: Blinde Flecken und vergessenes Unrecht
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 Fotos: Wolfgang Schmidt 

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Datum:

Jede Woche demonstrieren in Mosambik ehemalige Vertragsarbeiter:innen der DDR. Seit über 30 Jahren warten sie auf ihren Lohn. Ein Fotograf und eine Journalistin aus Tübingen haben sie begleitet und hoffen, dass sich etwas tut, bevor es zu spät ist.

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Gleich zwei Ausstellungen befassen sich derzeit in Deutschland mit den Erfahrungen von Kunstschaffenden, die als Arbeitsmigrant:innen in die DDR gekommen waren. Im Haus der Kulturen der Welt in Berlin liegt mit "Echos der Bruderländer" der Fokus auf der DDR und reflektiert mit einer Vielzahl multimedialer künstlerischer Arbeiten diese Zeit. Das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt/Main hat den Blick weiter gefasst. In "THERE IS NO THERE THERE" werden Werke von 30 Künstler:innen gezeigt, die in den 1960ern, 70ern oder 80ern als Arbeitsmigrant:innen, Stipendiat:innen und Asylsuchende aus Diktaturen wie Chile oder Spanien in die DDR oder in die BRD gekommen waren und dort künstlerisch gearbeitet hatten. Beide Ausstellungen zeigen Kunstwerke, die in der Kunstwelt bisher völlig ausgeblendet waren.  (ug)

Sie waren in gewisser Weise das sozialistische Pendant zu den Arbeitskräften, die in den 1960er-Jahren als sogenannte "Gastarbeiter" mit Anwerbeabkommen nach Westdeutschland geholt worden waren: die Vertragsarbeiter:innen in der ehemaligen DDR. Während des Kalten Krieges kamen allein 500.000 Arbeiter:innen und Auszubildende aus den sogenannten "sozialistischen Bruderländern" – wie Polen, Algerien, Vietnam, Angola oder Mosambik – in die DDR.

Pedro Tembe, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Dito Tembe, war einer der rund 17.000 Vertragsarbeiter:innen, die zwischen 1979 und 1989 aus Mosambik in die DDR gekommen sind. 1960 in Maputo, der Hauptstadt Mosambiks, geboren, ist er in der Zeit des Kampfes gegen die portugiesische Kolonialmacht aufgewachsen.

Nachdem das Land 1975 endlich seine Unabhängigkeit erlangt hatte, wurde der Sozialist Samora Machel der erste vom Volk gewählte Präsident des Landes. Allerdings kam das Land nicht zur Ruhe: Bewaffnete oppositionelle Gruppen, gegründet und unterstützt von den damaligen benachbarten, antikommunistischen Apartheidregimen Rhodesien und Südafrika, stürzten die junge Republik in einen 16 Jahre andauernden brutalen und zerstörerischen Bürgerkrieg.

Tembe ist Maler. Als noch lebender Zeitzeuge ist er bei den Eröffnungen zweier Ausstellungen dabei, die sich derzeit in Deutschland mit der Geschichte der Vertragsarbeiter:innen befassen (siehe Kasten). "Frauen an vorderster Front" hieß ein schwarz-weiß Wandgemälde, das er 1986 angefertigt hatte. Eine Replik davon ist nun sowohl in Berlin als auch in Frankfurt zu sehen. Er schildert die damalige Zeit eindrücklich: "Die Situation in Mosambik war sehr schwierig", erinnert sich Dito, "ich war schon seit 1979 Mitglied im Nùcleo de Arte, einem Zusammenschluss von Künstler:innen in Maputo. Ich war noch kein besonders guter Maler, aber immer wieder an Ausstellungen von großen Künstlern beteiligt. Allerdings konnte man davon nicht leben und Arbeit gab es nicht. 1984 hörte ich, dass Leute gesucht wurden, die bereit waren, in die DDR zum Arbeiten zu gehen. Wie viele andere bewarb ich mich." Er fügt lächelnd hinzu: "Insgeheim auch ein bisschen mit der Hoffnung, dort vielleicht Kunst studieren zu können."

Als er seinen Namen am Aushang der zentralen Anwerbestelle in Maputo entdeckte, erzählt er weiter, erfuhr er nur den Tag seines Abfluges: 9. November 1985, Zielflughafen: Berlin-Schönefeld. "Wir waren etwa 150 Leute und wussten alle nicht, in welche Stadt wir kommen, welche Arbeit wir machen, wie viel Lohn wir bekommen würden."

Er kam aus 30 Grad Hitze in Mosambik in den deutschen Winter mit Schnee nach Schwerin, wo er bis 1989 im Volkseigenen Betrieb Lederwaren arbeitete.

Der "schmutzige Deal" von 1979 wirkt bis heute

Dito und seine mosambikanischen Kolleg:innen hatten von ihren Betrieben die Information erhalten, dass bis zu 60 Prozent des Lohns einbehalten und ihnen nach ihrer Rückkehr in Mosambik ausgezahlt werden würde. Was sie nicht wussten: Bereits in geheimen Ergänzungen der Verträge zwischen der Volksrepublik Mosambik und der DDR war 1979 vereinbart worden, dass der einbehaltene Teil ihrer Löhne zur Tilgung der Schulden Mosambiks an die DDR verwendet werden sollte.

Die SED-Opferbeauftragte Evelyn Zupke schreibt Anfang 2023: "Das, was den Menschen widerfahren ist, war kein Zufall. Es war systematisch geplant und wurde im vollen Wissen um die einschneidenden Nachteile für die Betroffenen umgesetzt." Einen "schmutzigen Deal", nennt es Markus Meckel, ehemaliger DDR-Bürgerrechtler und letzter Außenminister der demokratisch gewählten Regierung unter Lothar de Maizière. Anfang der 1990er bezahlte die Bundesregierung des neu vereinigten Deutschlands einmalig 75 Mio. DM nach Mosambik. Das Geld versickerte jedoch in den Reihen der Regierung. Bei den Rückkehrer:innen kam nichts davon an.

Die Soziologin Uta Rüchel benennt 2022 in ihrem im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur erstellten Gutachten die Lage der Betroffenen sehr klar: "Die ehemaligen Vertragsarbeiter:innen leiden bis heute unter SED-Unrecht aus Zeiten der DDR, mosambikanischer Korruption und Fehlern der deutschen Einheit. Es ist höchste Zeit, dieses Unrecht anzuerkennen, zu bereinigen und nach Lösungen zu suchen, um die bestehenden Regelungslücken zu schließen. Die Zeit drängt, da viele der ehemaligen Vertragsarbeiter:innen bereits in höherem Alter sind und nach wie vor in prekären Verhältnissen – auch nach mosambikanischen Maßstäben – leben."

Künstler und Botschafter für die Madgermanes

Bis 1990 waren die meisten der 17.000 Mosambikaner:innen nach Hause zurückgekehrt. Die noch ausstehenden Leistungen erhielten sie jedoch bis heute nicht. In der Heimat wurden ihre Forderungen lange nicht gehört und erst recht nicht ernst genommen. Als Mitglied der großen Gruppe von Rückkehrer:innen kämpft Dito in Mosambik weiter für die Auszahlung der ausstehenden Lohnanteile, Rentenrücklagen und Sozialleistungen. Sie nennen sich selbst "Madgermanes" – ein selbstironisches Wortspiel aus "Made in Germany". Jeden Mittwochvormittag versammeln sie sich im "Jardim 28 de Maio" in der Innenstadt von Maputo, um auch nach 34 Jahren mit einer Demonstration zum Ministerium für Arbeit ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen: "Wir wollen unseren restlichen Lohn!"

José Salvador Cossa ist Koordinator und Sprecher der Gruppe. Am Treffpunkt im "Jardim dos Madgermanes", wie der kleine Park mittlerweile auch genannt wird, baut er einen kleinen Tisch auf, sein "Büro", um beim Ausfüllen von Anträgen oder dem Beantworten von Ämterpost zu helfen. "Viele von uns sind mittlerweile schon verstorben. Etwa 4.000 leben noch in Mosambik, vielleicht 2.000 in der Hauptstadt. 300 bis 500 kommen mittwochs zu unseren Versammlungen", erzählt der 58-Jährige bei einem Treffen in diesem Februar. Der Park füllt sich immer mehr. Auch gut 30 Frauen sind da. "Hier in Maputo Stadt und Provinz sind wir 263 organisierte Frauen", erklärt Raquel Masoio stolz. Sie koordiniert die Gruppe der ehemaligen Vertragsarbeiterinnen.

Auch bei den Protesten der Madgermanes in Maputo sind die Frauen wieder mit an vorderster Front. Wie aktuell doch nach wie vor Dito Tembes Wandbild der starken Frauen aus dem Jahr 1986 ist! Seine Reise zu den Ausstellungen in Deutschland stärkt ein weiteres Mal die Hoffnung, dass sie endlich, endlich doch noch zu ihrem Recht kommen.

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1 Kommentar verfügbar

  • Peter Nowak
    vor 1 Woche
    Antworten
    Die im Artikel erwähnte Ausstellung im Berliner Haus der Demokratie zeichnet eine viel differenziertere Sicht. Dort geht es auch um den Afrokommunismus, eine afrikanische Variante des Kommunismus, der vor allem in Mosambiik viele Anhänger*innen, Das Land wurde vom südafrikanischen Apartheidsystem…
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