Da strahlen drei um die Wette: Gisela Erler, Staatsrätin für Bürgerbeteiligung, und Staatsminister Klaus-Peter Murawski haben den ungarischen Außenminister Péter Szijjártó empfangen. Der ist weder ein lupenreiner Demokrat – höchstrichterliche Entscheidungen zur Flüchtlingspolitik in Europa mag er beispielsweise nicht akzeptieren –, noch passt er so recht zu der Europa-Flagge, vor der er sich aufgepflanzt hat. Für Viktor Orbáns Vertrauten, der schon als Schüler davon träumte, seinem rechtsnationalen Idol nahe zu sein, ist die Union nämlich "kaputt und ineffizient". Die Tore zur "Villa", wie das Staatsministerium neuerdings im grünen Regierungsjargon heißt, bleiben ihm trotzdem nicht versperrt. Ganz im Gegenteil. Journalisten, die mehr über den Umgang mit dem Feinstaub-Urteil erfahren wollten, mussten am vergangenen Freitag sogar so lange draußen warten, bis der hohe Gast das Areal verließ. Und wenig später gaben ihm noch zwei weitere Regierungsmitglieder die Ehre: Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut und ihr Justizkollege Guido Wolf (beide CDU).
Als aber drei Tage später eine Hundertschaft aus der Bürgerinitiative Neckartor ihren Appell loswerden will, gegen das Feinstaub-Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts doch keine Rechtsmittel einzulegen und mehr zu tun für den Gesundheitsschutz der Menschen im Talkessel, da hat gar niemand aus der "Villa" Zeit: kein Kabinettsmitglied und kein Amtschef, kein Abteilungsleiter und kein Pressesprecher. Durch die Gitterstäbe nimmt eine Mitarbeiterin der Dussmann Service GmbH – die Pförtnertätigkeiten sind zumindest teilweise outgesourct – die Unterlagen in Empfang. Was aus den Papieren wird, weiß niemand: Politik des Gehörtwerdens im Praxistest an einem Brückentag.
In der Regierungs-"Villa" hat keiner Zeit für die Feinstaubgegner
Dabei hätte, wer auch immer den Kontakt gesucht hätte, viel lernen können. Werner Niess, Neckartoranwohner und Feinstaubkläger seit 2005, erinnerte daran, dass unter all den unzähligen polierten und bestaunten Modellen, die die Automobilindustrie kürzlich auf der IAA in Frankfurt präsentierte, ganze vier die neue, verlässliche Euro-Norm 6d auf der Straße erfüllen. Oder daran, dass der Zustand am Neckartor seit siebeneinhalb Jahren rechtswidrig ist und es laut Umweltbundesamt rund 46 000 vorzeitige Todesfälle in Deutschland durch Feinstaub gibt, sowie 10 000 durch Stickoxide, der Europäischen Umweltbehörde zufolge. "Wir, die Anwohner des Neckartors und der Stuttgarter Innenstadt", sagt Niess, "wollen diesen unglaublichen Umweltskandal nicht länger hinnehmen."
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Schwa be
am 05.10.2017