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Übel bleibt Übel

Übel bleibt Übel
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Wie irrational in Stuttgart Debatten geführt werden, wenn's ums Auto geht, belegt die Weltuntergangsstimmung angesichts der 18 Parkplätze, die an der Markhallte wegfallen. Beim Thema Fahrverbote geht es um viel mehr. Und dennoch haben die Vernünftigen kaum Chancen gegen Unvernunft und Realitätsverweigerung.

Da strahlen drei um die Wette: Gisela Erler, Staatsrätin für Bürgerbeteiligung, und Staatsminister Klaus-Peter Murawski haben den ungarischen Außenminister Péter Szijjártó empfangen. Der ist weder ein lupenreiner Demokrat – höchstrichterliche Entscheidungen zur Flüchtlingspolitik in Europa mag er beispielsweise nicht akzeptieren –, noch passt er so recht zu der Europa-Flagge, vor der er sich aufgepflanzt hat. Für Viktor Orbáns Vertrauten, der schon als Schüler davon träumte, seinem rechtsnationalen Idol nahe zu sein, ist die Union nämlich "kaputt und ineffizient". Die Tore zur "Villa", wie das Staatsministerium neuerdings im grünen Regierungsjargon heißt, bleiben ihm trotzdem nicht versperrt. Ganz im Gegenteil. Journalisten, die mehr über den Umgang mit dem Feinstaub-Urteil erfahren wollten, mussten am vergangenen Freitag sogar so lange draußen warten, bis der hohe Gast das Areal verließ. Und wenig später gaben ihm noch zwei weitere Regierungsmitglieder die Ehre: Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut und ihr Justizkollege Guido Wolf (beide CDU).

Als aber drei Tage später eine Hundertschaft aus der Bürgerinitiative Neckartor ihren Appell loswerden will, gegen das Feinstaub-Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts doch keine Rechtsmittel einzulegen und mehr zu tun für den Gesundheitsschutz der Menschen im Talkessel, da hat gar niemand aus der "Villa" Zeit: kein Kabinettsmitglied und kein Amtschef, kein Abteilungsleiter und kein Pressesprecher. Durch die Gitterstäbe nimmt eine Mitarbeiterin der Dussmann Service GmbH – die Pförtnertätigkeiten sind zumindest teilweise outgesourct – die Unterlagen in Empfang. Was aus den Papieren wird, weiß niemand: Politik des Gehörtwerdens im Praxistest an einem Brückentag.

In der Regierungs-"Villa" hat keiner Zeit für die Feinstaubgegner

Dabei hätte, wer auch immer den Kontakt gesucht hätte, viel lernen können. Werner Niess, Neckartoranwohner und Feinstaubkläger seit 2005, erinnerte daran, dass unter all den unzähligen polierten und bestaunten Modellen, die die Automobilindustrie kürzlich auf der IAA in Frankfurt präsentierte, ganze vier die neue, verlässliche Euro-Norm 6d auf der Straße erfüllen. Oder daran, dass der Zustand am Neckartor seit siebeneinhalb Jahren rechtswidrig ist und es laut Umweltbundesamt rund 46 000 vorzeitige Todesfälle in Deutschland durch Feinstaub gibt, sowie 10 000 durch Stickoxide, der Europäischen Umweltbehörde zufolge. "Wir, die Anwohner des Neckartors und der Stuttgarter Innenstadt", sagt Niess, "wollen diesen unglaublichen Umweltskandal nicht länger hinnehmen."

Tatsächlich argumentieren viele aus der "Freie Fahrt für freie Bürger"-Fraktion in der CDU, allen voran Landeschef Thomas Strobl, aber auch in ihrer Gemeinderatsfraktion, im Handwerk, unter Arbeitgebern und nicht zuletzt in der IG Metall so, als seien die Messwerte in der Stadt eine zu vernachlässigende Größe. Und zwar seit Jahren. Dabei wirft die Internetseite www.stadtklima-stuttgart.de Tag für Tag die Realität aus. Am 1. Oktober 2017 wurden als Tagesmittelwert 14 Mikrogramm pro Kubikmeter gemessen und anderntags 16. Der Grenzwert von 50 Mikrogramm wurde im laufenden Jahr bisher an 46 Tagen überschritten, an keinem mehr seit dem 21. Juli. Am 26. September war das Limit jedoch mit 40 Mikrogramm schon wieder ziemlich nah. Ein Tortendiagramm besagt, dass am Neckartor 51 Prozent der Feinstaub-Belastungen vom Verkehr stammen. Von den NOxen ganz zu schweigen, die im zweiten Schadstoff-Verfahren, das jetzt zur Sprungrevision nach Leipzig ans Bundesverwaltungsgericht weitergereicht wurde, im Vordergrund stehen. Die zur Verbesserung der Situation vorgeschlagenen Maßnahmen seien "einer Prüfung unterzogen worden", sagt Niess vor dem Staatsministerium, und die Richter zu dem Schluss gekommen, dass Fahrverbote nötig sind, um die Grenzwerte einzuhalten.

Feinstaubgeplagte AnwohnerInnen bestehen auf Fahrverbot

Immerhin können sich die Grünen zugutehalten, die von Strobl so dringend gewünschte Berufung beim Mannheimer Verwaltungsgerichtshof abgewendet zu haben. Seine "versprochene schwarze Handschrift" hatte er deutlich machen wollen, aber nicht einmal die eigenen Parteifreunde mochten ihm folgen. Vielmehr öffnete die CDU-Fraktion einstimmig den Weg zur Sprungrevision in Leipzig. Die ist ohne Zweifel ein kleineres Übel, weil dort schneller entschieden wird. Aber Übel bleibt Übel. "Für uns als betroffene Anwohner der mit Luftschadstoffen hochbelasteten Stuttgarter Innenstadt ist das Urteil vom Stuttgarter Verwaltungsgericht wegweisend", plädierte die Bürgerinitiative für die Annahme des Urteils. Denn dann "würde das Problem endlich an der Wurzel bekämpft werden und nicht nur, wie seit vielen Jahren, an Symptomen herumexperimentiert (Feinstaub-Kehrmaschine, Klebstoff oder Mooswand)". Eine zeitnahe Umsetzung der in dem Vergleich vom Sommer 2016 vorgegebenen Maßnahmen werde schnell zur spürbaren Verbesserung der Luftschadstoffbelastung im Talkessel führen.

Letzteres ist allerdings selbst unter Fachleuten, die zu einem vergleichsweise rigiden Vorgehen neigen, nicht unumstritten – etwa der Wirkung des Ausweichverkehrs wegen. Oberbürgermeister Fritz Kuhn hatte im vergangenen Februar, nach bereits 34 Feinstaubtagen seit Jahresbeginn, erklärt, die FahrerInnen älterer Diesel müssten sich auf Verbote einstellen. Dabei warf er sogar die Zahl von rund 55 000 Autos in die Debatte, bei Ausnahmegenehmigungen für Lieferverkehr und Handwerker. Auf die Nachricht von der Sprungrevision reagierte er mit der Ankündigung, die Stadt Stuttgart warte nicht bis zu einer Entscheidung aus Leipzig, sondern tue selber alles zur Senkung der Stickoxid-Werte.

Allerdings: Unterhalb der Schwelle "Fahrverbote" werden die AnwohnerInnen das Versprechen, "alles zu tun", kaum akzeptieren. Am Montag vor dem Staatsministerium war die Stimmung entschlossen. "Die Politik muss endlich Verantwortung übernehmen und dem Gesundheitsschutz Vorrang einräumen", sagt Peter Erben, der Sprecher der Initiative, während die bunte Truppe auf einen Gesprächspartner wartet, der doch nicht kommt. Denn dieser Gesundheitsschutz sei im Grundgesetz "klar verankert". Die Landesregierung sei per Eid dem Wohl der Menschen verpflichtet.

Ohnehin kommt der Gesundheitsschutz in den Augen vieler weiterhin deutlich zu kurz. Ebenso wie die Tatsache, dass die Luft in den vergangenen Jahren zwar besser wurde in Stuttgart, aber noch längst nicht gut genug. Auch deshalb ist unter Juristen ungeklärt, was am ersten Feinstaub-Tag im Jahr 2018 passieren wird und passieren muss. Die Landesregierung hatte mit den Stimmen aller grünen und aller schwarzen Kabinettsmitglieder im Sommer 2016 eben jenen Vergleich gebilligt, der eine Verringerung des Verkehrs um 20 Prozent am Neckartor verlangt, sobald der Grenzwert von 50 Mikrogramm überschritten ist. Autofreaks, die es nur schwer verdauen können, wenn ein Parkhaus hinter dem Rathaus abgerissen und oberirdische Parkplätze innerhalb des City-Rings gestrichen werden – nach einem der seltenen Beschlüsse der eigentlich vorhandenen Mitte-Links-Mehrheit im Gemeinderat –, halten jetzt dank Sprungrevision für ausgemacht, dass es vorerst keine Fahrverbote geben wird. Jedenfalls wird diese Meinung analog und digital mit großer Vehemenz verbreitet. In der Hoffnung, Fakten zu schaffen.

Nur Autofreaks sind sicher, dass Fahrverbote vom Tisch sind

Deutlich zurückhaltendere Äußerungen kommen aus dem Verkehrs- oder dem Justizministerium – ersteres grün, zweiteres schwarz. Etwa mit Blick auf die Möglichkeit, dass die Landesregierung den eingegangenen Vergleich nicht erfüllt. Vorsorglich klagt die Bürgerinitiative bereits auf dessen Erfüllung durch "eine rechtsmäßige Maßnahme", wie es darin heißt, und die Verhängung eines Zwangsgeldes gegen das Land. Das Land wiederum könnte eine sogenannte Vollstreckungsgegen- oder -abwehrklage einbringen, als allein dafür zuständig. Politisch würde eine derartige Gegenklage aber bedeuten, dass ein Ministerpräsident, ein Verkehrsminister, ein Regierungspräsident und ein OB (allesamt Grüne) in den Augen derer, die keine Lust auf verästelte juristische Beratungen haben, als Verhinderer einschneidender Luftverbesserungen dastehen. "Harakiri", nennt das einer in der Grünen-Fraktion, übrigens kein Jurist.

Die Staatsrätin, auch keine Juristin, könnte derweil Erben, Niess, Werner Sauerborn und all den anderen, die am Montag hochgestiegen waren bis vor die Gittertore der "Villa", wenigstens einen Gesprächstermin anbieten. Oder ihrerseits herabsteigen bis zu jener Brücke über der B 14, auf der die Schadstoffe schneller in Augen, Mund und Rachen spürbar werden als gedacht. Wie hieß doch gleich einer der Erler'schen Wahlsprüche: "Ich wünsche mir eine lebendigere Demokratie, an der alle beteiligt sind: Schüler, Eltern, Frauen und die Stimmlosen – dafür mache ich mich aktiv stark." Die AnwohnerInnen am Neckartor müssen davon nur noch überzeugt werden.


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3 Kommentare verfügbar

  • Schwa be
    am 05.10.2017
    Antworten
    Die bürgerlich neoliberalen Grünen und die bürgerlich neoliberale CDU (Täterpartei "Schwarzer Donnerstag"), beide Täterparteien im Abgasskandal, stemmen sich erneut gegen die Gesundheit der Bevölkerung und gegen einen eindeutigen Richterspruch vom Verwaltungsgericht Stuttgart. Somit ignorieren sie…
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