Als junger Lehrer engagierte sich Niess in der Anti-Atom- und in der Friedensbewegung. "Ich bin auch in Mutlangen gesessen", erinnert er an die <link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne demonstrationsfreie-zone-2345.html _blank external-link>Sitzblockaden 1983 vor dem US-Pershing-Depot bei Schwäbisch-Gmünd. Zusammen mit Prominenten wie Heinrich Böll und Walter Jens demonstrierte er so gegen den Nachrüstungsbeschluss der damaligen Schmidt-Regierung. "Ich habe in keine Partei reingepasst", erzählt er, der nie bei den Grünen war, obwohl diese ähnliche Ziele wie er selbst verfolgten. "Wenn ich mir heute den grünen Ministerpräsidenten Kretschmann anschaue, weiß ich nicht, ob er Lobbyist der Bürger oder der Autoindustrie ist", sagt Niess. Er ist sich sicher, parteilos immer richtig gefahren zu sein. "Es ist schlimm, wenn ein Ministerpräsident für den Diesel wirbt", fügt er hinzu.
Kretschmann handle irrational und wider das eigene Interesse, sagt Niess. "Er forciert eine Politik, obwohl klar ist, dass diese im Desaster endet." Ein Phänomen, das die amerikanische Journalistin Barbara Tuchman in ihrem 1984 erschienenen Buch "Die Torheit der Regierenden" beschreibt. "Das Werk", sagt er, "habe ich Kretschmann per Einschreiben geschickt, aber nie eine Antwort bekommen".
Sein Engagement bringt Stuttgarts Tourismuschef auf die Palme
Für Niess zeigt der Diesel-Skandal vieles, vor allem aber den Filz zwischen Politik und Industrie. Von seiner Wohnung oberhalb des Kernerplatzes reicht der Blick zu den Resten des Bonatz-Ensembles des Stuttgarter Hauptbahnhofs. "Auf die Frage, wer im Lande tatsächlich herrscht, muss ich nur aus dem Fenster schauen", sagt er. Auf dem Bahnhofsturm dreht sich der Daimler-Stern.
Mit dem Festhalten an konventionellen Antrieben sei aber auch die deutsche Autoindustrie auf dem Holzweg, glaubt er. Daimler & Co. ignorierten den Trend zur Elektromobilität und riskierten, in naher Zukunft bedeutungslos zu werden. So wie das einstige Weltunternehmen Kodak, das die Entwicklung zur digitalen Fotografie verschlafen hat. "Das habe ich schon vor zwei Jahren Zetsche geschrieben", erzählt er. Auf den Brief an den Daimler-Vorstandschef folgten zwei Einladungen ins Untertürkheimer Stammwerk, wo dem Besucher die neuesten Diesel-Motoren präsentiert wurden. "Beim ersten Treffen haben die Daimler-Ingenieure noch über Tesla gelacht", erzählt Niess. Beim jüngsten Besuch vor wenigen Wochen war den Entwicklern das Lachen über den US-Hersteller von Elektromobilen bereits vergangen.
Niess weiß, dass nicht alle seinen Kampf um frische Luft goutieren. So brachte etwa ein TV-Interview den Stuttgarter Tourismuschef Armin Dellnitz auf die Palme. "Wenn ich da unten an der Messstation länger stehe, wird mir schlecht. Man hat so eine Art Würgegefühl im Hals, und man möchte möglichst schnell weg von dem Ort", hatte Niess dem ZDF am Neckartor ins Mikro gesagt. In diesem Augenblick seien "Zigtausend Euro an Marketing-Maßnahmen weggepufft, da kann ich nichts dagegen machen", ärgerte sich hinterher der oberste Stuttgart-Vermarkter Dellnitz. "Es interessiert mich nicht, was andere Leute über mich sagen und denken", kommentiert Niess derartige Kritik.
Nur Lob kassierte der Feinstaub-Rebell vom Neckartor jedoch bei "Dunja Hayali". "Ich möchte Ihnen große Anerkennung zollen, dass Sie so lange kämpfen", betonte Barbara Hendricks während der Talk-Show. Das sei ja nicht selbstverständlich, betonte die Bundesumweltministerin. "Ich will bestimmte Dinge erreichen, und weiß auch, dass ich nicht mehr so viel Zeit dafür habe", sagt Manfred Niess später im Kontext-Gespräch. Sein Ziel ist, dass jahrelange Rechtsbrüche enden und Gesetze zum Schutz der menschlichen Gesundheit eingehalten werden. Oder anders gesagt: Die Luft im Kessel endlich besser ist.
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Horst Ruch
am 21.08.2017