Klar, dass das Anti-Feinstaub-Moos zu einer Steilvorlage für Spott wurde: Im August 2015 gab der Gemeinderat der Landeshauptstadt grünes Licht für den Modellversuch, Deutschlands dreckigste Kreuzung mit Pflanzen zu entstauben. Doch Häme hat auch was Gutes, glaubt Gabriele Munk. "Selbst Lächerliches hat dafür gesorgt, dass das Feinstaubproblem heute im öffentlichen Bewusstsein ist", sagt die Grünen-Stadträtin, die vor drei Jahren für ihre Fraktion den Moosversuch im Gemeinderat beantragte. Damit erweckten die Grünen die Bryophyten, so der lateinische Name der Laubmoose, aus einem ökologischen Dornröschenschlaf, in dem sie seit dem Jahr 2007 verharrten. Damals hatte der Bonner Biologieprofessor Jan-Peter Frahm wissenschaftlich nachgewiesen, dass die kleinen Pflänzchen krankmachende Kleinstpartikel elektrostatisch aus der Luft filtern und abbauen können. Allerdings nur im Labor. Von einer "Geheimwaffe gegen Feinstaub" sprach damals das Magazin "Focus", als es über Frahms Versuche berichtete.
Rund die Hälfte des Feinstaubs besteht aus Ammoniumnitrat, das die Moose binden können. Weitere 25 Prozent sind organische Materialien wie Reifenabrieb oder Ruß, die Bakterien fressen, die auf den Moosen sitzen, hatte Frahm herausgefunden. Der Rest des Feinstaubdrecks sind Gesteinsstäube, die einfach sedimentieren und über die die Pflanzen hinwegwachsen. Moose könnten als "natürliche Luftputztücher wahre Wunder wirken", begeisterte sich der "Focus". Etwa, indem man ganze Innenstädte mit großflächigen Moosmatten auskleidet: "An Straßenrändern, Lärmschutzwänden, Dächern und anderen ungenutzten urbanen Oberflächen", wie Frahm damals erläuterte.
Doch die Vision wurde kaum Wirklichkeit. Die Autobahnmeisterei Bonn verkleidete auf der A 562 gerade mal auf 150 Metern den Mittelstreifen mit moosigen Matten. An der Autobahn A 61 bei Kruft in Rheinland-Pfalz wurde später eine Lärmschutzwand auf 20 Metern mit Moosmatten bestückt. Danach gerieten die biologischen Luftreiniger trotz steigender Feinstaubbelastungen aus dem Blick. Auch in Stuttgart, wo seit 2005 an der Messstelle am Neckartor die EU-Grenzwerte für die kleinen Partikel stets gerissen wurden.
Aller Häme zum Trotz – Stuttgart testet tapfer Moose
Die Geschichte entwickelte sich zur ökologischen Zwickmühle: Politische Vorstöße in anderen Städten, das Filterpotenzial der Pflanzen zu testen, bremsten die Verwaltungen oft mit Hinweis auf unzureichende praktische Erfahrungen aus. "Wahrscheinlich müssten die Moose mit viel Aufwand regelmäßig bewässert und auch gedüngt werden", erklärte etwa der Leiter des Kemptener Umweltamts im November 2007 auf Anfrage eines ÖDP-Stadtrats. Bisher sei zudem nicht erforscht, wie Moose reagieren, wenn sie im Winter mit Streusalz in Berührung kommen oder ihre Oberfläche durch Schnee und Streugut verschmutzt wird, gab der kommunale Umweltschützer zu bedenken. Auch die Entsorgung könnte ein Problem sein. Fachleute seien der Auffassung, dass die Moose nach einiger Zeit so stark mit Schwermetallen belastet sind, dass sie nicht einfach kompostiert werden könnten. "Das Moos könnte ein Fall für den Sondermüll werden", legte der Amtsleiter die Moosanfrage damals schnell ad acta.
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Wilhelm Henning
am 05.01.2017