Umweltzonen, Lkw-Fahrverbote, selbst Elektroautos können es nicht richten. Denn der Feinstaub an Deutschlands Rekordmessstelle, dem Stuttgarter Neckartor, stammt zu großen Teilen aus Reifen- und Bremsabrieb, viel mehr als aus Abgasen. So viel war von der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz (LUBW) bereits vor zehn Jahren zu erfahren. Mit allerlei Alibimaßnahmen wie Feinstaubkehrmaschine und Feinstaubkleber hat das zuständige Regierungspräsidium das Problem jahrelang verschleppt. Erst nach einem blauen Brief aus Brüssel, der hohe Strafzahlungen androhte, wenn nicht endlich wirkungsvolle Maßnahmen ergriffen werden, stellen sich Stadt und Land dem Problem. Wenn auch etwas halbherzig.
Denn eine "Reduzierung des mit konventionellen Antrieben ausgestatteten Autoverkehrs im Talkessel um 20 Prozent", wie sie Oberbürgermeister Fritz Kuhn für die gesamte Stadt anstrebt, reicht am Neckartor nicht aus. Auch in diesem Jahr war bereits im März wieder die zulässige Zahl von 35 Tagen erreicht, an denen die <link http: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft feine-dosen-von-gift-2891.html _blank external-link>Grenzwerte überschritten wurden. Zwischen 64 und 91 Tagen waren es jeweils in den letzten drei Jahren, an denen die Werte über dem Limit lagen. Das sind also 29 bis 56 mehr Tage als erlaubt. Künftig soll an solchen Tagen jeder Zweite sein Automobil stehen lassen. Entweder freiwillig. Oder vielleicht doch, indem nur noch abwechselnd <link http: www.kontextwochenzeitung.de ueberm-kesselrand ausser-atem-2966.html _blank external-link>Fahrzeuge mit geraden oder ungeraden Kennzeichen in die Stadt dürfen.
Nachdem Bürger auf einer Informationsveranstaltung im Juli gegen dieses laxe Vorgehen protestiert hatten, fühlte sich Verkehrsminister Winfried Hermann ermutigt, am Tag darauf erstmals das Wort Fahrverbot in den Mund zu nehmen. Kuhn und Ministerpräsident Winfried Kretschmann beeilten sich zu dementieren: Fahrverbote sollen vermieden werden. Die Opposition sitzt in den Startlöchern und wartet darauf, den Volkszorn der Autofahrer zu mobilisieren.
Freiwillig oder nicht: Die Diskussion führt völlig am Ziel vorbei. Die Preisfrage lautet: Wie kommen diejenigen, die an Tagen hoher Belastung auf ihr Fahrzeug verzichten, dann überhaupt in die Stadt? Davon ausgehend, dass es sich bei den Überschreitungstagen nicht gerade um Feriensonntage handelt, geht es um eine Zahl von mindestens 80 000 Fahrzeugen oder, da gelegentlich mehr als einer im Auto sitzt, rund 100 000 Personen. Die Hälfte von ihnen, also 50 000 Menschen, müssten an 60 bis 90 Tagen im Jahr anderweitig ins Stadtzentrum gelangen. Nur wie?
Die S-Bahnen sind bereits jetzt überlastet
Die nächstliegende Antwort wäre: mit dem öffentlichen Verkehr. Der ist schon jetzt ein Erfolgsmodell. 189 000 Fahrgäste sind täglich mit S-Bahnen, Regionalzügen und Stadtbahnen zwischen Bad Cannstatt und Stadtmitte unterwegs. Das sind deutlich mehr als mit dem Auto. Hier beginnt aber zugleich das Problem: Die S-Bahn als wichtigstes Verkehrsmittel ist gegenüber den ursprünglichen Planungsansätzen bereits heute um 60 bis 70 Prozent überlastet. Auf der Stammstrecke von Hauptbahnhof bis Schwabstraße verkehrt sie zu Spitzenzeiten im Zweieinhalbminutentakt. Das ist der Grund für häufige Verspätungen und keinesfalls weiter zu steigern. Gerade im Berufsverkehr, morgens zwischen 6 und 8 und nachmittags von 15 bis 18 Uhr, ist aber fast die Hälfte aller Fahrgäste unterwegs.
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CharlotteRath
am 31.08.2015