"Ständig war zu hören, die enorme Luftverschmutzung ist ein Riesenproblem. Nur getan wurde rein gar nichts." Schnell wurde Sébastiens erster Gedanke zur Maxime der Organisation: "Ihr habt nicht das Recht dazu!" Man müsse also gegen Luftverschmutzung auch auf politischer, vor allem aber juristischer Ebene vorgehen, so das Credo des Vereins. Deswegen hat Respire bei der Pariser Staatsanwaltschaft Klage gegen unbekannt eingereicht, unter anderem wegen Schädigung der Gesundheit. Das Verfahren läuft, und die NGO hofft auf möglichst viel mediale Aufmerksamkeit.
Für Respire gab es eine Art zweiter Geburtsstunde nach der Vereinsgründung vor vier Jahren. Der 17. März 2014: Seit Tagen war die sprichwörtliche "dicke Luft" über Paris zu spüren gewesen, und den Eiffelturm umgab eine beängstigende Dunstglocke. Plötzlich war die Verschmutzung nicht mehr nur spür-, sondern auch sichtbar. 180 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter statt der zulässigen 50 Mikrogramm, das Gefühl, in einem sehr kleinen Zimmer mit gleich mehreren Rauchern eingesperrt zu sein. Ob Bewohner oder Touristen, die Leute trauten ihren Augen kaum: Zustände wie in Peking oder Neu-Delhi an den romantisch geglaubten Seineufern. Schilder wiesen darauf hin, man solle hohe körperliche Belastung vermeiden. Kindern, Rentnern und Menschen mit gesundheitlicher Vorbelastung riet man, lieber zu Hause zu bleiben. Bilder von Menschen mit Mundschutz, eine Katastrophe für das Image der neben London meistbesuchten europäischen Hauptstadt.
Verkehr halbiert für einen Tag
Die Politik sah sich zum Handeln gezwungen. Nicht nur die öffentlichen Verkehrsmittel, die Leihfahrräder und Elektroautos stellte die Pariser Stadtverwaltung kostenlos zur Verfügung. Die französische Regierung verhängte sogar nach 17 Jahren erstmals wieder ein teilweises Fahrverbot für die Metropole. Ab halb sechs morgens durften nur noch Fahrzeuge mit ungeraden Kennzeichen die Straßen benutzen. Polizisten überwachten die Einhaltung, und es gab ein seltenes Bild zu bestaunen in der staugeplagten Metropole: Der Verkehr rollte. Und plötzlich standen Sébastien und seine Mitstreiter von Respire im Rampenlicht. Sie gaben pausenlos Interviews und waren als Experten in Diskussionsrunden gefragt. Schon einen Tag später war das Fahrverbot zwar wieder aufgehoben worden, weil sich das Wetter über Nacht gnädig gezeigt und dazu beigetragen hatte, die Feinstaubkonzentration durch den nächtlichen Austausch zwischen warmen und kälteren Luftschichten zu senken. Doch die Debatte war angestoßen, und Medien entdecken das Thema Luftverschmutzung für sich.
Nun war auch die Organisation Airparif in aller Munde. Die 1979 gegründete, staatlich finanzierte Einrichtung überwacht die Luftqualität in der Metropolenregion permanent. Aus den Daten von mittlerweile 70 Messstationen erstellen 55 feste Mitarbeiter in Echtzeit interaktive Karten, die auch auf dem Mobiltelefon abrufbar sind. Gemessen wird die Anzahl von Feinstaubteilchen verschiedenen Durchmessers, wiedergegeben durch den PM-Standard. Fußgänger und Fahrradfahrer sollen sich so informieren können, in welchen Zonen der Stadt die Feinstaubbelastung besonders hoch ist. Die Auswertung dieser Daten dient dann Experten als Grundlage für langfristigere Analysen, zum Beispiel über die Auswirkungen von Fahrverboten.
Airparif warnte in seinem Jahresbericht 2014 vor einer chronischen gesundheitlichen Belastung durch konstant hohe Feinstaubwerte, die schädigender sei als einzelne Tage mit Smogalarm. Sébastien Vray kennt Geschichten von Asthmatikern, deren Lebensqualität in der Metropolenregion derart eingeschränkt ist, dass sie an manchen Tagen nicht das Haus verlassen können. Respire hat deswegen in einem Aufruf an Betroffene appelliert und macht deren Krankengeschichten öffentlich.
"Es ist eine Schande, dass man den Menschen rät, sich nicht der Luftverschmutzung auszusetzen, statt etwas gegen die Luftverschmutzung durch den Autoverkehr zu tun." Ganz anders sieht das naturgemäß die andere Seite, bei der man den Schuldigen sucht. So behauptete Pierre Chasserey, Vorsitzender des französischen Autofahrerverbands, der Feinstaub stamme eigentlich aus deutschen Kohlekraftwerken. Der deutsche Atomausstieg würde in der Zukunft die Luftqualität auf französischer Seite erheblich schmälern.
Grüne Revolution?
Indes ist die Pariser Stadtverwaltung seit dem aufsehenerregenden Smogalarm im letzten und zuletzt in diesem Frühjahr nicht untätig geblieben. Bürgermeisterin Anne Hildago hat ganz im Gegenteil nach ihrer Wahl im April 2014 das Thema Reduzierung der Luftverschmutzung zu ihrem Steckenpferd gemacht. Damit ist sie sogar an der ambitionierten Umweltministerin Ségolène Royal vorbeigeprescht. Diese war im Gegensatz zu Hidalgo zum Beispiel nicht der Ansicht, man müsse auch noch Kaminfeuer in Privathaushalten generell verbieten. Hildago hat nun kürzlich neue Maßnahmen beschlossen, die endlich spürbare Besserung bringen sollen: So werden ab dem 1. Juli 2015 zwischen 8 und 20 Uhr an allen Wochentagen in der Pariser Innenstadt keine Lastwagen und Busse geduldet, die älter als 14 Jahre sind. 2016 soll es dann zusätzlich sogar alle Fahrzeuge treffen, die vor 1997 zugelassen wurden.
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