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Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW

"Nennt mich naiv"

Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW: "Nennt mich naiv"
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Ein CDU-Netzwerk war bei Karrieren in Baden-Württembergs Polizei behilflich, Innenminister Thomas Strobl (CDU) steht in keinem guten Licht da. Gut drei Jahre lang hat ein Untersuchungsausschuss im Landtag Beförderungspraktiken und Seilschaften überprüft. Die FDP-Abgeordnete Julia Goll zieht ein ernüchterndes Fazit.

Seit Juni 2022 befasste sich der Untersuchungsausschuss "IdP & Beförderungspraxis" mit fragwürdigen Zuständen bei der Polizei und im Innenministerium. Ein Schwerpunkt war, inwieweit Karrieren nicht nach Qualifikation und Eignung verlaufen sind, sondern durch politische Seilschaften vorangetrieben wurden. Insbesondere stand der Aufstieg des früheren Inspekteurs der Polizei (IdP), Andreas Renner, im Fokus: Er war 2020, als das Amt des höchsten uniformtragenden Polizisten in Baden-Württemberg neu zu besetzen war, der klar favorisierte Wunschkandidat des Innenministers. Auch Strobls eigenes Verhalten ist Thema im Ausschuss gewesen. Er hatte ein vertrauliches Anwaltsschreiben an einen Journalisten weitergegeben. Als die Staatsanwaltschaft in dieser Angelegenheit gegen Unbekannt zu ermittelte, ließ der Minister sie wochenlang ins Leere arbeiten, bis – durch einen Zeitungsbericht – öffentlich wurde, dass er selbst die Verantwortung für die Weitergabe trägt.

Jetzt beendet das Gremium seine Arbeit. Der Abschlussbericht und die in der Bewertung der Ergebnisse abweichenden Sondervoten der Opposition sollen noch vor Weihnachten im Landtag debattiert werden. Für die FDP ist die frühere Richterin Julia Goll hartnäckige Ausschuss-Obfrau. Im Interview mit Kontext erläutert sie, warum der Innenminister ihrer Ansicht nach hätte zurücktreten müssen und warum es ein Skandal bleibt, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) keine Konsequenzen aus dem Verhalten seines Stellvertreters gezogen hat.

Frau Goll, was war für Sie die größte Überraschung in den mehr als dreißig Sitzungen?

Ich glaube, mich hat irgendwann nichts mehr überrascht.

Das stellt der Polizeiführung und dem Innenministerium aber kein gutes Zeugnis aus.

Dafür gibt es auch gar keinen Grund. Wir haben einen Umgang mit der Wahrheit erlebt, der einfach nicht zu akzeptieren ist.

Sie haben mehrfach den Rücktritt des Innenministers gefordert. Allerdings ohne Erfolg …

… das ist relativ. Es stimmt, der Innenminister ist nicht zurückgetreten. Der Untersuchungsausschuss hat aber die Gründe säuberlich herausgearbeitet, warum er hätte zurücktreten müssen. Es bleibt ein Skandal, dass er selber daraus keine Konsequenzen gezogen hat. Das Gleiche gilt für den Ministerpräsidenten, der ihn hätte entlassen müssen. Und für die CDU-Fraktion.

Haben Sie eine Erklärung, warum das nicht passiert ist?

Der Innenminister wollte seinen Kopf retten und in der aktuellen CDU-Fraktion hatte er dafür Unterstützung. Es gab immer noch viele, die ihm hoch anrechnen, dass er sie 2016 zurück in die Landesregierung geführt hat. Das scheint ja für die CDU immer das Allerwichtigste zu sein, nach dem Motto: Wir müssen regieren. Viele Abgeordneten glauben, sie hätten einen Erbanspruch. Und sobald sie nicht regieren, läuft die Partei aus dem Ruder. In der Ampel-Zeit hat man ja im Bund gesehen, wie die Verantwortlichen agiert haben: wie aufgescheuchte Hühner. Und im Land war das auch so in den fünf Jahren Opposition [zwischen 2011 und 2016 regierte Grün-Rot, d. Red.]. Das hat Strobl beendet. Dafür war der Dank offenbar sehr groß. Was ich nicht erwartet habe und auch nicht verstehe, ist, dass die Hausspitze im Innenministerium mitgemacht hat bei diesem unwürdigen Umgang mit der Wahrheit. Skandalös und völlig inakzeptabel ist, dass auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Innenministerium dazu veranlasst wurden, bei Strobls Schwindeleien mitzumachen und sie zu decken. 

Inwiefern?

Da ist nicht nur so ein bisschen geschönt oder ein bisschen was weggelassen worden. Mir als Richterin muss man wirklich nichts vormachen. Die Belehrung am Anfang jeder Vernehmung im Untersuchungsausschuss ist aber eindeutig. Weglassen ist nicht erlaubt. Das gehört auch zur Wahrheit. Aber dafür hat der Anstand gefehlt.

Das ist ein harter Vorwurf.

Man nenne mich naiv, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass Mitarbeiter im Ministerium veranlasst werden, das Tun und die Schwindeleien von Strobl zu decken. Und dass sie bereit sind, sich da mit hineinziehen zu lassen. Das ist völlig inakzeptabel und ein Skandal. Ein Kollege von Ihnen hat ja auch mal geschrieben, Frau Goll glaube noch ans Gute im Menschen. Das tue ich. Und deshalb stört mich dieser Vertrauensverlust, den der Minister, aber auch die Landespolizeipräsidentin [Stefanie Hinz, d. Red.] zu verantworten haben, ganz besonders. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die sogenannten einfachen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte auch gerade deshalb zur Polizei gehen, weil ihnen Recht und Gerechtigkeit wichtig sind. 

Und dann? 

Dann haben sie einen höchsten Chef, der sich darum nicht schert, der allein darauf bedacht war, den eigenen Kopf zu retten. Nehmen Sie die Vorgänge, die unter der Überschrift Brief-Affäre abgehandelt wurden. Der Innenminister hat ein Anwaltsschreiben an einen einzigen Journalisten weitergegeben. Das war schon nicht besonders klug und übrigens nach Überzeugung von Staatsanwaltschaft und Gericht eine Straftat, aber wenn er hinterher gesagt hätte, da ist etwas mit mir durchgegangen, wenn er sich bekannt und bei dem Anwalt persönlich entschuldigt hätte, dann hätte vermutlich keiner gesagt, der muss zurücktreten. Er aber hat die Staatsanwaltschaft wochenlang hinter die Fichte führt und gegen Unbekannt in dieser Sache ermitteln lassen. Er, der Verfassungsminister! Das war eine Vertuschung. Er hat, genau genommen, die Staatsanwaltschaft angelogen. Wenn dann Leute mit Verweis darauf von Politikverdrossenheit reden, dann tue ich mich auch schwer, heftig zu widersprechen. Denn das, was da zutage getreten ist, ist wirklich unterirdisch.

Warum war der öffentliche Druck dann aber doch nicht groß genug, um personelle Konsequenzen auf der politischen Ebene auszulösen?

Die Arbeit zog sich lange hin und war komplex. Ich will jetzt keine Medienschelte betreiben, aber die Aufmerksamkeit war bei vielen nicht durchgängig gleich groß. Auch der Ministerpräsident hätte es in der Hand gehabt. Er hätte reagieren müssen, schon als bekannt wurde, dass Strobl den Brief selber weitergegeben hat. Und erst recht nach der Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Auflage. Herr Kretschmann hatte erklärt, er werde die Vorgänge am Ende des Untersuchungsausschussarbeit bewerten. Wir werden jetzt alle sehen, was passiert. Würde er ernsthaft die Abschlussberichte lesen, könnte er zu keinem anderen Schluss kommen als zur Entlassung des Innenministers. Aber natürlich wird es wenige Wochen vor der Landtagswahl dazu nicht mehr kommen.

Was kann er jetzt lesen?

Zum Beispiel wie getrickst wurde, wie das Beurteilungssystem genutzt werden konnte, um diesem einen Beamten, dem späteren Inspekteur der Polizei, diejenigen Noten zu verschaffen, die er pro forma auf dem Papier benötigte, um an diese Position zu kommen. Im Detail konnte kein einziger Zeuge sagen, was denn so toll war an dem vergleichsweise ja sehr jungen Mann. Aber schnell wurde deutlich, wie die CDU das System nutzen konnte und genutzt hat. Herr Lorek, heute Staatssekretär im Justizministerium, hat Andreas R. ins Gespräch gebracht und gepusht. Der ist als Abgeordneter mein Wahlkreiskollege, er ist auch durchaus sympathisch, aber ich muss einfach feststellen, da sollten Pfründe auf höchster Polizeiebene über Jahre gesichert werden. Mit einer fairen Beurteilung und Beförderung hatte das überhaupt nichts zu tun. 

Wie bewerten Sie das neue Beförderungssystem?

Noch eine Erkenntnis aus der Arbeit im Ausschuss: Das System ist so gut, wie die Bereitschaft groß ist, es tatsächlich fair und anständig zu nutzen. Jetzt werden mehr Punkte vergeben, und ein Gremium entscheidet. Aber groß gewonnen ist nichts, wenn die Verfahren wieder missbraucht werden sollten, um die sogenannte – und im Ausschuss auch immer wieder zitierte – Personalplanung zu betreiben. Und Leute dorthin zu schieben, wo sie nach ihren Fähigkeiten nicht hingehören. Wir werden abwarten müssen, wie das neue System angewendet wird und ob es Ärger gibt oder nicht.

Abgesehen von den Verfehlungen, die der Ausschuss herausgearbeitet hat, welcher inhaltliche Erfolg ist der größte? 

Als wir begonnen haben, gab es in der Landesverwaltung eine einzige Dienstvereinbarung zum Umgang mit sexuellen Vergehen am Arbeitsplatz. Heute sind solche Vereinbarungen die Regel. Der Ausschuss kann sich ans Revers heften, das Thema ans Tageslicht geholt zu haben. Wir haben Druck gemacht, die Verantwortlichen mussten reagieren.

Wie muss es weitergehen?

Es wird in der nächsten Legislaturperiode einen neuen Innenminister geben, davon bin ich überzeugt. Und der wird keinen leichten Stand gerade in der Polizei haben. Denn es ist ein ganz großer Irrtum, den die CDU immer wieder verbreiten wollte, dass das Thema in der Polizei niemanden interessiert hat. Ich kenne ganz andere Stimmen. Sogar bei einfachen Kontrollen mussten sich Beamte fragen lassen "Was ist denn da bei euch los?". Da ist viel Vertrauen verspielt worden.  Das gilt auch für das Innenministerium. Und es muss Vertrauen in die Demokratie zurückgeholt werden. Ich kann an die CDU nur appellieren, die Gelegenheit der parlamentarischen Debatte über die Abschlussberichte nicht verstreichen zu lassen. Die durch unsere Arbeit offengelegten Fehler können nicht wegdiskutiert werden. Genauso wenig wie die Tatsache, dass der Innenminister mehrfach in seinen Vernehmungen proklamiert hat, jegliche Verantwortung für die Vorgänge in seinem Haus zu übernehmen. Das war bisher eine inhaltsleere Floskel. Es liegt an ihm, das zu ändern.

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