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Ausgabe 738
Politik

Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW

Spielregeln und Freiräume

Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW: Spielregeln und Freiräume
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Plötzlich hatte der Beamte eine Bestnote: Im Untersuchungsausschuss zur Beförderungspraxis bei Baden-Württembergs Polizei zeigt sich, dass Seilschaften im gehobenen Dienst eine Selbstverständlichkeit sind.

Am Anfang war die Zielvorstellung: Für das Amt des ranghöchsten Polizisten im Lande hatte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) einen klaren Wunschkandidaten. Damit sein Protegé Andreas Renner im November 2020 als Inspekteur der Polizei (IdP) antreten konnte, beauftragte der Minister das Landespolizeipräsidium damit, ein "rechtskonformes Verfahren" durchzuführen. Das war allerdings nicht so einfach: Denn eigentlich sollen im öffentlichen Dienst die bestqualifizierten Bewerber:innen zum Zug kommen, das Grundgesetz definiert in Artikel 33 alle Deutschen hätten entsprechend ihrer "Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte". Im Fall von Andreas Renner erwies sich dieser Anspruch als Problem: denn im Vergleich zu potenziellen Kontrahent:innen hatte er zu schlechte Noten.

Dass der Minister dennoch bekam, wen er wollte, lag an verwaltungsrechtlichen Kunstgriffen, die zwar eindeutig dem Fairnessgebot in der Verfassung zuwiderlaufen, sich aber offenbar in einer rechtlichen Grauzone bewegen. Zumindest betont Dietrich Moser von Filseck, dass es bei solchen Entscheidungen "Ablaufspielregeln und Freiräume" gebe. Filseck war beim Landespolizeipräsidium zwischen 2014 bis zu seiner Pensionierung 2022 Leiter des Referats Personal- und Organisationsmanagement und gleichzeitig stellvertretender Landespolizeipräsident. Das Innenministerium verabschiedete den loyalen Staatsdiener voll des Lobes in den Ruhestand: Unter Referatsleiter Filseck, hieß es bei seiner Verabschiedung, habe es "keine bedeutende Reform oder konzeptionelle Weiterentwicklung der Polizei in Baden-Württemberg" gegeben, "die nicht seine Handschrift trug".

Auch der rasante Aufstieg von Andreas Renner trägt die Handschrift des gewieften Personal- und Organisationsmanagers. Filseck war am vergangenen Montag zum zweiten Mal als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags geladen, der unter anderem die Beförderungspraxis bei der Landespolizei auf den Prüfstand stellt. Dabei gab der Pensionär Einblicke, wie des Ministers Wunschkandidat zu seiner Bestnote kam. So erfolgt für Polizeibeamt:innen in Baden-Württemberg alle zwei Jahre eine sogenannte Regelbeurteilung. Renner war 2019 dran gewesen und schnitt zu schlecht ab, um Aussichten auf das höchste Amt der Landespolizei zu haben. 2020 wurde daher eine (außerzyklische) "Anlassbeurteilung" durchgeführt.

Steile Karriere unter Strobl

Unter Minister Thomas Strobl wurde Andreas Renner 2017 ans Innenministerium berufen und zum stellvertretenden Landeskriminaldirektor ernannt. 2019 folgte die Beförderung zum Vize-Präsidenten des Landeskriminalamts (LKA) und schließlich, nur ein Jahr später, der nächste Sprung zum Inspekteur der Polizei (IdP). Nachdem gegen Renner Vorwürfe sexueller Nötigung laut wurden, wurde er suspendiert. Seit 2022 befasst sich ein Untersuchungsausschuss des Landtag mit den Zuständen bei der Landespolizei. Er trägt den etwas sperrigen Titel: "Handeln des Innenministers und des Innenministeriums im Fall des Verdachts der sexuellen Belästigung gegen den Inspekteur der Polizei Baden-Württemberg und Beurteilungs-, Beförderungs- und Stellenbesetzungsverfahren in der Polizei Baden-Württemberg (UsA IdP & Beförderungspraxis)".  (min)

Dem erwünschten Ergebnis stand allerdings eine Hürde im Weg: Renners direkter Vorgesetzter, der damalige LKA-Präsident Ralf Michelfelder. Dieser wollte Renner, wie er betont, nie als Vize haben und stellte seinem untergebenen Kollegen im Juni 2023 im Untersuchungsausschuss ein vernichtendes Zeugnis aus. So gab er zu Protokoll, er habe in Renner ein regelrechtes "Sicherheitsrisiko" gesehen: "Jeden wichtigen Vorgang, der über seinen Tisch ging, musste ich nochmals überprüfen und korrigieren."

Doch Michelfelder wurde bei der Benotung Renners nicht mit einbezogen – wofür der Zeuge Filseck nun eine interessante Rechtfertigung vorlegt: Michelfelder habe zwar keine Ambitionen erkennen lassen, selbst zum Inspekteur der Polizei werden zu wollen. Aber als LKA-Präsident sei er dafür prinzipiell qualifiziert gewesen und damit befangen – man konnte ihn ja schlecht einen potenziellen Konkurrenten benoten lassen. So übernahm die Beurteilung der seinerzeit amtierende IdP, Detlef Werner. Aus Akten ist nicht ersichtlich, dass Werner Kollegen befragt hätte, um Renners Leistungen einzuschätzen. Was insofern bemerkenswert ist, als dass Prüfer und Geprüfter im Arbeitsalltag kaum miteinander zu tun hatten, Renner zum Zeitpunkt seiner Anlassbeurteilung überhaupt erst einen Monat lang als LKA-Vizepräsident arbeitete – und am Ende eine höchst seltene Bestnote von 5,0 herauskam. Jetzt war Renner offiziell einer der allerbesten.

Im Anschluss an Filsecks Befragung hält es ein Landtagsabgeordneter am Rande der jüngsten Sitzung für "offensichtlich, dass das eine bestellte Benotung war". Und nach den Erkenntnissen des Untersuchungsausschuss handelte es sich dabei nicht um eine Ausnahme, sondern eher um den Regelfall. So fasste die frühere Staatsanwältin Julia Goll, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP, bereits nach der 33. Sitzung des Gremiums im vergangenen Janaur zusammen: "Der Zeuge Martin Schatz [früherer Präsident der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg] hat unumwunden geschildert, wie Beurteilungen im höheren Dienst je nach vorgesehenen Beförderungen ausgeklungelt wurden."

Schuldbewusstsein sieht anders aus

Dass geliefert wird, was der Dienstherr bestellt, ist insofern also keine wirklich neue Information. Allerdings offenbarte die erneute Befragung Filsecks vielsagende Einblicke in das Innenleben einer Institution, für die Seilschaften so selbstverständlich sind, dass sie jeder kritischen Reflektion entrückt scheinen. So verteidigt Filseck das Vorgehen im Fall Renner auch nach Bekanntwerden aller Umstände als "völlig legitim", seiner Auffassung nach war es rechtskonform und er glaubt, dass Artikel 33 des Grundgesetzes berücksichtigt wurde, "auch wenn es immer Einzelne gibt, die mit ihrer eigenen Beurteilung nicht zufrieden sind". Dass es vor Beförderungen Gespräche über die nötigen Noten gebe, habe es "schon immer gegeben, das kenne ich nicht anders". Allerdings ist ebenfalls dokumentiert, dass Filseck in diesem Fall ein "rechtliches Restrisiko" sah, falls ein Konkurrent ums Amt des IdPs gegen Renners ungewöhnlichen Notensprung Klage einreichen sollte. Für ihn persönlich, beteuert der Referatsleiter, habe es keinen Anlass für Zweifel gegeben, denn wenn ein amtierender IdP eine Beurteilung vorlegt, dann ist das "eine feststehende Tatsache", die polizeiintern keiner weiteren Kontrollinstanz unterliege. Das könnte ein Hinweis sein, warum es politisch reizvoll erscheinen dürfte, die Position des IdPs mit einem verlässlichen Mann zu besetzen.

Detlef Werner jedenfalls wusste, was zu tun ist: Als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss erklärte er im April 2023, er habe nie an Renners Eignung als sein Nachfolger gezweifelt. Für ihn war auch "erkennbar geplant: Er wird es." Als er dann von Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz mit einer Anlassbeurteilung beauftragt wurde, habe es zwar keine Notenvorgabe gegeben, aber die Erwartung sei auch so klar gewesen.

Werners Aussagen wurden Hinz am vergangenen Montag vorgehalten, die weiterhin amtierende Landespolizeipräsidentin war vor dem Ausschuss als zweite Zeugin geladen. Auf die Frage, ob es eine Weisung gegenüber Werner gegeben habe, erklärte sie: "Wenn der Herr Werner das so aufgefasst hat – er war ja der Endbeurteiler … Also wenn er das als Weisung verstanden haben sollte, und wenn er mit dieser Weisung nicht einverstanden gewesen wäre, hätte er ja die Möglichkeit gehabt, Remonstration anzumelden. Davon ist mir nichts bekannt."

Auch Hinz war bereits zum zweiten Mal als Zeugin vor dem Ausschuss geladen, nicht bekannt ist, dass sie gegen Renners Karrieresprünge Einwände angemeldet hätte. Im Gegenteil: Bei den informellen Sektrunden, mit denen unter Renners Ägide manch Feierabend im LKA eingeläutet wurde, war sie selbst auch mal dabei und sagte zu einem Gläschen Sekt nicht nein. Inzwischen ist der Polizist mit Bestnote jedoch schwer in ihrer Gunst gefallen, sie sei "menschlich enttäuscht".

Bereits nach zwölf Monaten im Amt wurde Renner als IdP vom Dienst suspendiert, gegen ihn lief ein Strafverfahren wegen des Verdachts auf sexuelle Nötigung, das aus Mangel an Beweisen mit einem Freispruch endete. Allerdings läuft weiterhin ein – von Hinz initiiertes – Disziplinarverfahren, in dessen Verlauf "weitere Dinge" zutage getreten seien, "die ich ihm nicht zugetraut hätte". Details nennt Hinz nicht. Allerdings bemerkt sie ganz allgemein, dass "sexuelle Belästigung in den Reihen der Polizei uns natürlich beschäftigt, ebenso wie antisemitische, rassistische und frauenfeindliche Chatgruppen".


Die nächste Sitzung des Untersuchungsausschusses findet am 30. Juni 2025 statt. Als Zeuge ist zum zweiten Mal Innenminister Thomas Strobl geladen.

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2 Kommentare verfügbar

  • Frieder Kohler
    vor 3 Wochen
    Antworten
    Die Spielregeln sind im Grundgesetz, der Landesverfassung, den Gesetzen und Verordnungen verankert. Recht und Gesetz bestimmen somit die Amtsführung der Frauen und Männer bei der Wahrnehmung ihrer hoheitlichen Aufgaben samt Pflichten. Der tägliche Blick in den Spiegel erinnert an den Amtseid, es sei…
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