Für Stuttgarts flüssigen Schatz befürchteten sie das Schlimmste. Sobald die Deutsche Bahn im Untergrund buddeln würde, könne es um die Heil- und Mineralquellen geschehen sein, mahnten Stuttgart-21-Kritiker von Anfang an. In den Baugruben des Tiefbahnhofs drohe verschmutztes Grundwasser in die Mineralwasserhorizonte einzudringen. Im schlimmsten Fall könnten die Quellen versiegen, aus denen das kostbare Sauerwasser sprudelt. Eine Gefährdung des zweitgrößten Mineralwasservorkommens Europas hatte selbst das frühere CDU-Stadtoberhaupt Wolfgang Schuster, ein erklärter S-21-Fan, zum K.-o.-Kriterium für das Bahnprojekt erklärt.
Sechseinhalb Jahre nach Baubeginn des Milliardenprojekts sprudelt es wie eh und je. Mehr noch, das Baggern und Bohren im Talkessel scheint sogar der malträtierten Umwelt gutzutun: Im Abstellbahnhof Rosenstein gelang es der Bahn, im Handumdrehen einen Umweltskandal aus der Welt zu schaffen, den sie vor langer Zeit selbst verursacht hat. Vergeblich hatte sich das städtische Umweltamt sechs Jahre lang bemüht, den hochgiftigen Pflanzenvernichter Bromacil im Boden in den Griff zu bekommen. Bei genauem Hinsehen entpuppt sich das Umweltwunder vom Abstellbahnhof jedoch als fragwürdige Giftschieberei.
Doch der Reihe nach in einer Geschichte, die sich durch noch mehr Wundersames auszeichnet. So erfuhr die Öffentlichkeit vom Herbizidalarm im Abstellbahnhofüberhaupt nur durch einen kuriosen Zufall. Im Dezember vergangenen Jahres stolperte ein Spaziergänger in der Nähe des weiträumigen Bahngeländes über ein Messprotokoll mit der Überschrift "Sanierung Abstellbahnhof Stuttgart". Die "Ingenieure 22", an die der Finder das Papier weitergegeben hatte, bemühten sich um Aufklärung bei der Stadtverwaltung. Da das überprüfte Wasser in dem Messprotokoll als "trüb" und "rötlich-braun" beschrieben wurde, sah die S-21-kritsiche Gruppe frühere Vermutungen bestätigt, wonach über das Grundwassermanagement beim Tiefbahnhofbau rosthaltiges Wasser in den Untergrund geleitet wird. Dies gefährde unzulässig Grundwasser wie Heil- und Mineralquellen, mahnten sie.
Herbizidskandal durch Zufall aufgeflogen
Die Antwort des städtischen Umweltamts überraschte die in Sachen Intransparenz inzwischen gestählten Ingenieure dann doch. Das Messprotokoll habe nichts mit dem Grundwassermanagement für Stuttgart 21 zu tun, sondern beziehe sich "ausschließlich auf einen seit 2008 bekannten eigenständigen Grundwasserschaden", teilte Amtsleiter Hans-Wolf Zirkwitz im vergangenen Februar mit. Diesen saniere man derzeit mittels "Pump & treat"-Maßnahme. Für Laien: Belastetes Grundwasser wird durch Filter gepumpt, die Problemstoffe zurückhalten oder umwandeln. Näheres, etwa, um welchen Schadstoff es sich im verseuchten Untergrund handelt, verriet Zirkwitz zunächst nicht.
Erst aus anderer Quelle erfuhren die Ingenieure Näheres. "Im Norden des Abstellbahnhofs waren vor längerer Zeit offenbar große Mengen an Bromacil in den Boden gelangt", erzählt ihr Sprecher Hans Heydemann. Den als krebserregend verdächtigten Pflanzenvernichter versprühte die Bundesbahn früher flächendeckend mit Spritzzügen, um Gleise und Dämme frei von Bewuchs zu halten. Vor der Wiedervereinigung verbrauchte die Bahn auf ihrem damals rund 27 000 Kilometer langen Schienennetz jährlich 300 Tonnen Herbizide. Was zwölf Kilogramm pro Hektar Bahnfläche oder dem zehn- bis fünfzehnfachem Einsatz auf landwirtschaftlich genutzten Flächen entsprach. Die Bundesbahn galt als größter Giftspritzer der (westdeutschen) Republik.
Mit fatalen Folgen: Ende der Achtzigerjahre klagten Anrainer an Bahnstrecken über Kopfschmerz und Übelkeit, Trinkwasserbrunnen mussten wegen Herbizidfunden stillgelegt werden, auf Bahnhofsvorplätzen kümmerten Stadtbäume. "Geranien verdarben über Nacht", überschrieb der "Spiegel" eine Geschichte im Oktober 1989, die über ein mysteriöses Pflanzensterben in einem Gartenbaubetrieb in Radolfzell am Bodensee berichtete. Im dessen Brunnen, nur wenige Meter neben einer Bahnlinie gelegen, war ein Bromacil-Gehalt von 147 Mikrogramm pro Liter ermittelt worden. Der damalige saarländische SPD-Ministerpräsident Oskar Lafontaine forderte deshalb ein absolutes Bromacil-Verbot.
2 Kommentare verfügbar
Marla
am 26.10.2016Wo doch alle Jubelartikel zu S21 nur eitel sonnenschein proklamieren!