Ein geradezu mieses Stück als viertes Beispiel ist das Merkel'sche Ausrufen der Bildungsrepublik. Natürlich hat es anerkanntermaßen wichtige Förderprogramme gegeben – aber die windhundähnliche und windige Exzellenz-Initiative und ein noch widrigeres Stipendienprogramm für Nachwuchswissenschaftler machen noch keinen Bildungssommer. Die Fachhochschulen und Universitäten sind in einem schlimmen Zustand, taub-taumelnd vor weiter unausgegorenen M.A./B.A.-Programmen und einer Personalstruktur der Erbärmlichkeit: Es fehlen, so rechnen der Wissenschaftsrat und die GEW vor, mehrere Tausend Professoren und die anständige Bezahlung des Mittelbaus sowie der Privatdozenten. Und dass die Drittelträger der Lehre, die Lehrbeauftragten, da mit Stundenlöhnen von oft drei Euro abgespeist werden, gehört zu den großen Schandflecken der Bildungsrepublik. Von Merkel oder der Bildungsministerin: lächerliche BAföG-Erhöhung, die beim näheren Hinsehen keine ist, Aufhebung des Kooperationsverbots von Bund und Ländern. Etwas. Aber dass rund 400 000 junge Leute nicht das studieren können, wozu sie motiviert sind: kein Wort und kaum eine Kritik in der Öffentlichkeit. Wir brauchen qualifizierte Fachkräfte, aber foltern junge Leute, die oft sechs Jahre auf einen Medizin-Studienplatz warten und 1,0-Noten vorlegen müssen.
Das Prinzip klammheimlich – auch bei den Rüstungsexporten
Und ein fünftes Beispiel: das klammheimliche Spiel der Kanzlerin mit den Rüstungsexporten in die Diktaturen, von denen man nicht weiß, ob sie demnächst die Gewehre und Panzer gegen die eigene Bevölkerung einsetzen – wie zum Beispiel in Indonesien, Algerien, Ecuador, Saudi-Arabien, Katar und der Türkei. Merkel hat zwar in ihrer etwas fälschlich als Doktrin hochgejubelten Empfehlung, Drittstaaten zu ihrer Verteidigung mit Rüstungsexporten zu ermächtigen, offen zugegeben, Machtungleichgewichte in den Weltregionen mit Waffenexporten auszubalancieren zu wollen. Aber offen begründet hat sie ihre dubiose Rüstungsexportpolitik bisher nicht – auch die vom christlichen Menschenbild geprägte Ursula von der Leyen nicht, die doch angesichts von misshandelten Frauen und Jugendlichen die Menschenrechtsfahne hissen müsste.
Nein, Merkel agiert klammheimlich, wohl wissend, dass die große Mehrheit der Bevölkerung gar keine Waffenexporte will und schon gar nicht in das Pulverfass des Nahen und Mittleren Ostens (87 Prozent sind dagegen). Aber bei ihrem Indonesien-Besuch lässt sie mal kurz und unöffentlich ein paar Panzer aus ihrer großen Handtasche fallen und überlässt es ihrem Vize Gabriel, sich für eine restriktivere Rüstungspolitik einzusetzen. Bisher öffentlich unwidersprochen. Aber das Kritikwürdige ist die Klammheimlichkeit im Sicherheitsrat des Kabinetts und der versteckten Rüstungsexporte. Kritik in der Öffentlichkeit ja, aber eher an den schlimmen Exporten, eher an ehemals de Maizière oder jetzt an von der Leyen, aber fast nie an Merkel. Die Legitimation der Rüstungsexportpolitik bleibt hinter einer großen dunklen Wolke. Auch in der jüngsten Waffenexportdebatte für den Nordirak versteckt sich die Kanzlerin hinter den schmalen und breiten Rücken von Steinmeier, Gabriel und von der Leyen. Legitimation durch Verfahren hat der Soziologe Luhmann das genannt.
Im Arm von Obama: Früher nannte man das Schulmädchen-Fotos
Das Verhalten Merkels in der NSA-Affäre soll das letzte Beispiel sein: geschenkt, dass die Kanzlerin die Beziehungen zu den USA nicht aufs Spiel setzen will. Geschenkt, dass sie auch Verständnis für den Sicherheitswahn der Amerikaner hat, die Grund- und Menschenrechte sehr bedenkenlos diesem Sicherheitsinteresse unterzuordnen. Aber Merkel zeigt schon auch gern ihren Gefälligkeitsknicks, den der Mainzer Rosenmontagsumzug geißelte, indem er Merkel zeigte, die in den Allerwertesten von Bush krabbeln wollte! Oder das geradezu beklemmende Mädchengesicht von Merkel, als der große Obama ihr die größte Auszeichnung für Nicht-Amerikaner überreichte und sie in den Arm nahm. Schulmädchen-Fotos nannte man das früher. Mächtige – ob die Ackermanns, Obamas oder Draghis – da sieht die angeblich mächtigste Frau der Welt doch ziemlich kreuzbrav aus. Und ist herrschaftshörig. Nein, Merkel verhält sich zu den USA nicht viel anders als Adenauer, Erhard und Kohl: devot, anpasserisch und den Mund haltend.
An der Schlafwagen-Politik ist viel Wahres
Merkel mit Samthandschuhen anzufassen entspricht nicht der inzwischen streitbaren politischen Kultur der Republik. Etwas mehr Courage wäre deshalb schon sehr angebracht, und der Alarmruf für die Repräsentanten in der repräsentativen Demokratie wie auch für die außerparlamentarischen Bewegungen ist gleichermaßen herausfordernd. Jakob Augsteins ("Freitag") und Dirk Kurbjuweits ("Spiegel") These von der einlullenden Schlafwagen-Politik Merkels hat schon viel Wahres. Es könnte aber zum Beispiel um eine neue Balance von repräsentativer und direkter Demokratie gehen, wofür Merkel nicht sonderlich musikalisch ist. Bei Kretschmanns Politik des Gehörtwerdens haben wir gerade erlebt, wie man trotz manch versuchter Bürgernähe ein Demokratieprojekt vor die Wand fahren kann. Merkel traut sich aber noch nicht einmal, über ein Mehr von Demokratie zu reden – sehr wohl im fernen China, aber nicht in einem großen Hörsaal einer deutschen Universität. In China ist sie durchaus mutig, aber in Deutschland seltsam kleinmütig.
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am 30.09.2014