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Schwarz-Grün rollt!

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Die FDP besteht aus Leichtmatrosen. Die SPD ist kopflos. Für eine funktionierende Koalition wird nach der Bundestagswahl Schwarz-Grün geradezu zwingend – und der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann soll's mit richten. So sieht das Szenario unseres Gastautors Peter Grottian für die Zeit nach der Bundestagswahl aus. Ein Debattenbeitrag.

Dieses Merkel-Interview hat den baden-württembergischen Ministerpräsidenten wohl elektrisiert. Auf die Frage, ob ihr Satz noch gelte, Schwarz-Grün sei ein Hirngespinst, antwortete die Kanzlerin kürzlich: "Wenn man Herrn Trittin derzeit zuhört, wird klar, wie sehr der Satz noch gilt." Einen Mann wie Winfried Kretschmann muss das doppelt provozieren. Schließlich bringt er es in fast atemberaubender Weise fertig, morgens die umweltverträglichen neuen Technologien von Porsche zu küssen und nachmittags auf dem Marktplatz in Tübingen eine neue Balance von repräsentativer und partizipativer Demokratie auszurufen. Er, der sich als Mann einer erneuerungsbedürftigen Demokratie sieht, soll mit seiner Partei ein "Hirngespinst" für faire Koalitionsverhandlungen sein? Er, der sich so leidenschaftlich für einen schwarz-grünen Dialog eingesetzt hat?

Aber der verachtende Seitenhieb von Merkel gegenüber dem in manchen CDU/CSU-Kreisen verhassten grünen Spitzenkandidaten Jürgen Trittin (CSU-Sprech: "arroganter Schlaumeier") könnte Kretschmann schlagartig klargemacht haben, dass schon im Vorfeld die Chancen für Schwarz-Grün schlecht stehen, wenn kein wirklich vertrauensbildendes Personal am Tisch sitzt. Die beiden grünen Spitzenkandidaten Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt plus die beiden grünen Parteivorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir – das geht wohl gleich schief.

Schwarz-Grün plausibel

Schwarz-Grün steht in Meinungsumfragen gut da, obwohl in der Öffentlichkeit nicht ernsthaft diskutiert. Die FDP hat sich über vier Jahre blamiert: Steuersenkungen leuchten selbst ihren Anhängern nicht mehr ein, die Hoteliersanhündelungen sind nicht vergessen, und selbst das Auftreten der glaubwürdigen FDP-Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger im amerikanisch-britischen Abhörskandal wirkt nur einen Tick energischer als das von Merkel. Das FDP-Führungspersonal zeigt sich leichtmatrosig: Spitzenkandidat und Altmatrose Rainer Brüderle gesundheitsbedingt eher auf Krücken, Philipp Rösler ohne Entzücken und Hoffnungsträger Christian Lindner auf NRW-Brücken. Und schließlich Außenminister Guido Westerwelle mit gelber Schippe im Sandkasten von Merkels internationalen Baustellen mit der Ausstrahlung eines verspäteten Konfirmanden, der beweisen muss, dass er auch schon etwas allein entscheiden kann. Eine Zweitstimmenkampagne für die FDP wird es nicht geben – die Niedersachsenwahl sitzt der CDU in den Knochen. Kurz: Die schwarz-gelbe Koalition ist ausgelaugt und ideenlos, und auch der jetzt heruntergefahrene Streitpegel ändert nichts mehr an dem Eindruck einer Koalition der verlorenen Jahre.

Die SPD als Hilfskellner

Die SPD wirkt paralysiert und ängstlich. Seriöse Befragungen signalisieren der Partei bisher nicht nur desaströse Wahlaussichten, sondern auch die verheerende Botschaft: Eure Inhalte sind ja ganz in Ordnung, aber euer Spitzenpersonal – oh Gott, oh Gott! Dieser zurückhaltende Frank-Walter Steinmeier, der skandalöse Geheimdienste kennt, aber schweigt. Dieser steril aufgeregte Sigmar Gabriel, dessen Ventile man immer aufmachen möchte. Und dieser unglücksrabige Peer Steinbrück, der von den emanzipierten Frauen nicht gemocht wird. Derzeit reiht sich ein SPD-Fehler an den anderen: Steinmeier bringt es in einem vierminütigen ZDF-Interview fertig, nicht einmal positiv Steinbrück zu nennen. Im Abhörskandal überlässt der Kanzlerkandidat fast überall dem brav-hölzernen parlamentarischen Geschäftsführer Thomas Oppermann die SPD-Rolle – ein fataler Fehler, wenn die SPD die peinlich und unglücklich agierende Kanzlerin ernsthaft bedrängen soll.

Kopflose SPD bei EU-Jugendarbeitslosigkeit

Da leistet sich Merkel einen EU-Flop-Gipfel in Berlin und vor allem: Sie hat für die Wirtschaft von Griechenland, Italien, Spanien und Portugal ein paar Brosamen zu bieten – aber die Jugendlichen vertröstet sie auf die kommenden Jahre und spendet jedem von ihnen von den sechs Milliarden Euro aus lediglich umgeschichteten EU-Mitteln grandiose 272 Euro pro Jahr für Arbeitsplatz und Ausbildung. Gleichzeitig reist Arbeitsministerin Ursula von der Leyen großherzig in die südeuropäischen Länder, um die qualifiziertesten und mobilsten Jugendlichen für den deutschen Arbeitsmarkt zu gewinnen. Und was bietet die SPD? Sie kritisiert zu Recht den EU-Gipfel, nennt die Veranstaltung aber milde eine "Merkel-Show", und das war's dann auch. Da müssen sich erst die älteren Herrn Erhard Eppler und Hans-Jochen Vogel (beide SPD) in einem SPD-herzblutigen Artikel in der "Süddeutschen Zeitung" zu Wort melden und überzeugend einen deutschen zusätzlichen Beitrag von sechs Milliarden Euro zur Bekämpfung der südeuropäischen Jugendarbeitslosigkeit fordern.

Aber wo bleibt das konkret ausgearbeitete Projekt der SPD zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa? Niente – an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Selten gibt sich Bundeskanzlerin Merkel solche Blößen, leistet sich solche schlampige und inkompetente Vorbereitung eines EU-Gipfels, um ihr Image der rüden und herzlosen Sparkommissarin noch zu bekräftigen. Und die SPD bietet dazu das Bild einer blind-lahmen Ente. Und das ausgerechnet auf einem Feld der sozialen Gerechtigkeit, das angeblich zu den Schwerpunkten ihres Wahlkampfs gehört.

Die SPD-Ahnungslosigkeit ist schier grenzenlos. So hat sie das Zeug zur Splitterpartei – und wird am 22. September eine ähnlich hohe Wahlniederlage einfahren wie 2009. Kurz nach der Wahl wird die SPD ihre innerparteilichen Konflikte bei der Koalitionsfrage nicht mehr unter dem Deckel halten können – so Schwarz-Gelb keine Mehrheit findet. Ein schlechtes Wahlergebnis wird die verbliebenen Selbstachtungspotenziale stärken und vor einer unterwürfigen Koalitionsabsicht bewahren. Die SPD kann doch nicht ernsthaft den Hilfskellner von Frau Merkel spielen, wenn in der großen Koalition schon die Kellnerrolle wenig gebracht hat.

Es spricht einiges dafür, dass es nach dem Wahlabend am 22. September eher nicht zu Schwarz-Gelb und erst recht nicht zu Rot-Grün oder Rot-Rot-Grün reicht. Es rollt deshalb vermutlich viel schneller, schwieriger und quälender auf Schwarz-Grün zu, als die Koalitionsstrategen und die Öffentlichkeit das wahrhaben wollen. Der Journalist Heribert Prantl hat in der "Süddeutschen Zeitung" schon zu Recht auf diese mutmaßlich zähen Verhandlungsprozesse hingewiesen.

Die Kanzlerin überrascht alle

Merkel wird ihre "Hirngespinst"-Formulierung schnell in den Papierkorb werfen müssen. Als prinzipienfeste Machtopportunistin beherrscht sie die Klaviatur der Macht. Schwarz-Grün ist innerparteilich ein großer Brocken, aber Macht hält zusammen. Merkel wird mit dem maulenden CDU/CSU-Hintergrund sehr vorsichtig, kühl und formell die Koalitionsgespräche führen. Sie wird den kuscheligen, heimlichen CDU-Grünen Peter Altmaier mit in ihre Verhandlungskommission nehmen. Das Gesprächsangebot von Merkel könnte – für Bündnis 90/Die Grünen verblüffend – so lauten:

– Steuererhöhungen light für starke Schultern – mit einem Spitzensteuersatz von 46 Prozent;

– Leitrolle der Grünen für die Energiewende;

– Rückzug der CDU aus dem Stuttgart-21-Projekt;

– Aufstockung des deutschen Beitrags zum EU-Programm gegen die Jugendarbeitslosigkeit mit unkonventionellen Maßnahmen (Grundsicherung und "selbstermächtigende Arbeitsplätze");

– Verschärfte Rüstungskontrollen für alle Waffenexporte außerhalb der NATO und Auflösung des Bundessicherheitsrats als Geheimgremium;

– Projekt Bahn 2020: Ab 2018–2020 wird in einem "Verkehrsträger-Entlastungsgesetz" festgelegt, dass die Bürger im Nah- und Fernverkehr zum Nulltarif fahren können. Damit könnte die Koalition ein "Grundrecht auf Mobilität" einführen und die Straßen entlasten.

Die Grünen lassen sich ein

Bei einem solchen Angebot müssten die Grünen ernsthaft verhandeln – anders geht es nicht. Ihr sehr detailgenau und konzeptionell ausgearbeitetes Wahlprogramm verlangt eine sorgfältige Auseinandersetzung in den Koalitionsgesprächen. Das wird sich zeitlich ziehen – zumal die CDU ihr Wahlprogramm wenig ambitioniert, ja geradezu rauschend fahrlässig formuliert hat. Zu vielen Problemen hat sich die CDU noch nicht oder wenig gehaltvoll einen Kopf gemacht.

Ja – und die Grünen stellen am 30. September ihre Verhandlungskommission vor. Sie ist schlauerweise bunt und auf den Verhandlungspartner abgestellt. Sie versöhnt die Partei mit der Zivilgesellschaft – genauer: Sie versucht es. Deshalb bleiben Trittin und Roth zunächst außen vor – genauer: im wirkungsmächtigen Hintergrund. Und mit am Verhandlungstisch muss auf jeden Fall Winfried Kretschmann, der Versöhner, sitzen.

Denn schließlich macht er sich seit längerer Zeit Gedanken darüber, in Berlin die Tabus möglichst reihenweise aufzubrechen. Es gibt gute Gründe, dass die schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen inhaltlich scheitern oder die Parteibasis Schwarz-Grün zu einer absoluten No-go-Area erklärt. Es kann aber auch sein, dass die langweiligste Koalition aller Zeiten (Schwarz-Gelb), eine große Koalition oder eine Minderheitsregierung verhindern wird.

Vielleicht wird Merkel einmal zurückblickend im Ruhestand feststellen, dass Schwarz-Grün kein Hirngespinst war, sondern die Gesellschaft und die CDU modernisiert hat. Zuweilen gibt es späte individuelle und gesellschaftliche Lernprozesse. Und einem von Kopf bis Fuß Außerparlamentarischen kann es auch nicht gleichgültig sein, wie das Spannungsverhältnis von repräsentativer Demokratie und sozialen Bewegungen ausgestaltet werden kann. Schwarz-Grün haben viele nicht auf dem Schirm. Sie werden sich auf diese Debatte einlassen müssen.

 

 

Peter Grottian ist Hochschullehrer für Politikwissenschaft an der FU Berlin und engagiert in verschiedenen sozialen Bewegungen wie der Banken-Protest-Bewegung, der Initiative Stoppt den Waffenhandel und der Recht-auf-Stadt-Bewegung.


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11 Kommentare verfügbar

  • Rudi
    am 13.09.2013
    Antworten
    Die Politik der Grünen:

    1. Es muss immer genug Fahrradparkplätze beim Atomkraftwerk geben!
    2. Lesben und Schwule dürfen im Atomkraftwerk heiraten!
    3. Lesben und und Schwule dürfen Kinder adoptieren. Aber nicht mißbrauchen!
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