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Windkraft im Wahlkampf

Lügen zur Primetime

Windkraft im Wahlkampf: Lügen zur Primetime
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Populist:innen haben Windräder als Aufregerthema im Bundestagswahlkampf entdeckt. Selbst seriösen Medien gelingt es kaum, Falschbehauptungen klarzustellen, wie ein ZDF-Interview mit der AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel zeigte.

Nach Wärmepumpe und Elektroauto arbeiten sich Populist:innen aller politischer Couleur jetzt an Windrädern ab. Was zu erwarten war, denn wie strombasierte Heizungen und KfZ-Antriebe gefährden auch die Rotoren fossile Geschäftsmodelle. Die Querfront gegen Energiewende und Klimaschutz, pro Öl und Gas steht im Bundestagswahlkampf. Sie reicht von Donald Trumps Anwesen Mar-a-Lago bis ins sächsische Riesa, wo die AfD kürzlich die Partei- und Fraktionsvorsitzende Alice Weidel zur Kanzlerkandidatin kürte.

Wie der neue alte US-Präsident keilt auch die 45-jährige Wahlschweizerin gegen das aktuelle Hassobjekt: "Wir reißen alle Windkraftwerke nieder! Nieder mit diesen Windmühlen der Schande", kündigte Weidel in ihrer Parteitagsrede an, was die rund 600 Delegierten ekstatisch bejubelten. Sollte die AfD in Berlin "ans Ruder kommen", würde Deutschland stattdessen wieder russisches Gas aus der Nord-Stream-Pipeline durch die Ostsee beziehen und funktionsfähige Kernkraftwerke "natürlich wieder ans Netz nehmen", so Weidel zum alternativen rechten Energiesystem.

Eine Kampfansage Weidels, die sich weder um Recht und Grundgesetz (Artikel 14, Recht auf Eigentum) noch um ökonomische Fakten schert. "Ich musste meine Emotionen im Zaum halten, als ich den Satz von Frau Weidel gehört habe", bekannte Vattenfall-Manager Robert Zurawski gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Von der rechtlichen Frage des Eigentums einmal unabhängig: 2024 kam knapp ein Drittel der gesamten Stromerzeugung Deutschlands aus Windkraftanlagen", so der neue Deutschland-Chef des staatlichen schwedischen Energiekonzerns. Ebenso sei der Atomenergie-Zug hierzulande längst abgefahren. In anderen Worten: Der Windkraft-Furor der AfD-Frontfrau würde das Land umgehend in einen totalen Blackout führen. Ganz zu schweigen von den über 125.000 Arbeitsplätzen in der Windbranche sowie den rund zehn Milliarden Euro jährliche Bruttowertschöpfung und Steuereinnahmen, die Weidels Plattmach-Idee weitgehend pulverisieren würde.

Aktuell erzeugt Wind ein Drittel des deutschen Stroms

Dass Windkraft seit mehreren Jahren mit Abstand die wichtigste Erzeugungsquelle im deutschen Strommix ist – 2024 trug sie 136,4 Terawattstunden (TWh) oder 33 Prozent zur öffentlichen Stromerzeugung bei –, sprach auch ZDF-Moderator Christian Sievers an, als er Weidel zum Abschluss des AfD-Parteitags im "heute journal" interviewte.

Eine Antwort auf seine Frage, wie die Energiesicherheit ohne Rotoren gewährleistet bleibe, gab Weidel trotz mehrfacher Nachfrage nicht. Stattdessen nutzte die AfD-Kanzlerkandidatin das zehnminütige Interview, in dessen zweiter Hälfte es ausschließlich um Energiefragen ging, um weiter Desinformationen zu verbreiten (siehe Kasten). Mit sich überschlagender Stimme übertönte sie Sievers, als der auf Widersprüche hinwies. "Ich möchte echten Wettbewerb auf dem Energiemarkt haben, und nicht so eine durchideologisierte Grütze von Menschen, die keine Ahnung haben", so Weidels Schlussstatement. Dabei outete gerade sie sich mit ihren Fake-Behauptungen als komplett ahnungslos. "Dummheit hat einen Namen", so ein Nutzer auf dem Kurznachrichtendienst Bluesky.

Studie: große Zustimmung für Falschinformationen

Dass Weidel im ZDF zur besten Sendezeit einem Millionenpublikum ihre Lügen auftischen konnte, ist mehr als fatal. Falsche Informationen über Windräder stoßen auf große Zustimmung, wie eine aktuelle Studie der Universitäten Hohenheim und Trier zeigt. Als Folge erschweren derartige Fake News den Ausbau der erneuerbaren Energien und damit die Energiewende.

Windräder schaden der Gesundheit und sind wirtschaftlich ineffizient: Solchen Aussagen stimmten über ein Viertel der Befragten in Australien, den USA und Großbritannien zu, auch wenn sie wissenschaftlich nicht haltbar sind. Mehr als 40 Prozent glauben sogar, dass offizielle Informationen zum Ausbau von Windrädern bewusst manipuliert werden, wie die Studie ergab. Eine weitere repräsentative Umfrage in Deutschland zeigte etwas niedrigere Werte.

"Überrascht hat uns, dass die Zustimmung zu thematisch sehr unterschiedlichen falschen Aussagen von den gleichen Personen kam", erklärt Professor Kai Sassenberg vom Leibniz-Institut für Psychologie (ZPID) in Trier. Wer also glaubt, Windräder hätten einen schädlichen Einfluss auf die Gesundheit, stimmt beispielsweise auch eher der Behauptung zu, Windräder seien ökonomisch ineffizient. Die Zustimmung zu solchen Behauptungen spiegelt sich außerdem in einer geringeren Unterstützung politischer Maßnahmen zum Windkraftausbau wider sowie in einer höheren Bereitschaft, gegen den Bau von Windrädern zu protestieren.

Bildung spielt keine Rolle, Verschwörungsglaube schon

Ausgabe 721, 22.1.2025

Detox für Debatten

Von Jürgen Lessat

Populist:innen gehen im Bundestagswahlkampf mit Desinformation etwa zu Migration und Energiesicherheit auf Stimmenfang. Wie lässt sich verhindern, dass Talkshows und Wahlsendungen zu Fake-News-Festspielen ausarten? Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider gibt Tipps.

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Die Studienergebnisse zeigen weiterhin, dass die Zustimmung zu Falschinformationen über Windräder vor allem von den Weltanschauungen der Befragten abhängt. Als besonders zentral erwies sich eine verschwörungsaffine Weltsicht: Wer generell dazu neigt, Verschwörungen hinter gesellschaftlichen Ereignissen zu vermuten, stimmt den Falschinformationen eher zu.

Ausgeprägte wissenschaftliche Kenntnisse hingegen verringern die Zustimmung kaum, der Bildungsgrad der Befragten spielt überhaupt keine Rolle. "Es dürfte schwierig sein, Falschinformationen allein durch das Bereitstellen von Fakten zu begegnen, solange diese nicht ins Weltbild der Menschen passen", schlussfolgert Projektleiter Kevin Winter von der Uni Hohenheim.

Gerade im Bundestagswahlkampf bieten sich viele Gelegenheiten, Desinformation dem Wahlvolk unterzujubeln. Mit Sorgen blicken Menschen auf die Wahlsendungen von ARD, ZDF und RTL, in denen auch Kanzlerkandidatin Weidel eingeladen ist. Inzwischen laufen Petitionen, die die Sender zu Echtzeit-Faktenchecks auffordern. Ein schwieriges Unterfangen, sagt der Hohenheimer Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider gegenüber Kontext, denn mit Quellen belegte Richtigstellungen seien in einer Live-Sendung "kaum realisierbar" (hier das ganze Interview mit Brettschneider).

Vielversprechender könnte es sein, in Kampagnen die persönlichen Vorteile – zum Beispiel finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten – aufzuzeigen, um Menschen mit einer ablehnenden Haltung zu überzeugen, raten die Studienautor:innen. Kontraproduktiv ist es da, wenn Politiker:innen zwar nichts richtig Falsches behaupten, aber negative Emotionen und unrealistische Erwartungen schüren. So wie CDU-Spitzenkandidat Friedrich Merz, der kürzlich in der Talkshow "Maischberger" Windräder als hässliche Übergangstechnologie bezeichnete, die man bald wieder abbauen könne.

Weidel im Faktencheck

Behauptungen von AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel über Windenergie im ZDF-"heute journal" vom 12. Januar 2025 (ab Minute 5:30) im Kontext-Faktencheck:

Auf Einwand des Moderators Christian Sievers, dass ohne Windkraft, die ein Drittel des Stroms erzeugt, die Lichter ausgehen würden, sagt Weidel: "Na gut, die Lichter würden in Deutschland auch so ausgehen, weil wir Nettoimporteur französischen Atomstroms sind und die höchsten Strompreise weltweit haben." Später behauptet sie: "Die Wahrheit ist doch die Folgende: Deutschland war einst ein Land mit der sichersten und günstigsten Energieversorgung."

Faktencheck-Ergebnis: Halbwahrheiten und Lügen

1. Deutschland verfügt über ausreichend Erzeugungskapazitäten (erneuerbare Energien, fossile Kraftwerke), um jederzeit den Spitzenstrombedarf decken zu können – auch ohne Stromimporte und bei Dunkelflauten (wetterbedingt geringe Wind- und Solarstromproduktion).

2. 2023 verzeichnete Deutschland erstmals einen Stromimportüberschuss von 9,2 Terawattstunden (TWh), was vor allem an geringeren Stromerzeugungskosten in den Nachbarländern im Sommer und den hohen CO2-Zertifikatekosten lag. Der Import stieg 2024 insbesondere wegen niedriger Strompreise der Nachbarländer im Sommer im Saldo auf 24,9 TWh. Die wichtigsten Importländer waren Frankreich (Saldo 12,9 TWh), Dänemark (12,0 TWh), Schweiz (7,1 TWh) und Norwegen (5,8 TWh). Deutschland exportierte aber auch Strom im Saldo: nach Österreich (7,4 TWh), Polen (3,5 TWh), Luxemburg (3,5 TWh) und Tschechien (2,8 TWh). Deutschland hat im Gegensatz zu Österreich, der Schweiz und Frankreich auch im Winter genügend Kraftwerkskapazitäten, um Strom für den Export zu produzieren.

3. Eine pauschale Aussage über die Höhe es Strompreises ist schwierig. In Deutschland summiert er sich aus den Kosten für Erzeugung, Übertragung, Steuern, etc.. Für Haushalte, die relativ wenig verbrauchen, ist er höher, während gewerbliche Abnehmer mit hohem Verbrauch deutlich günstigere Preise zahlen.

Allgemein lässt sich sagen, dass Irland und Italien höhere Strompreise als Deutschland haben, wo die Strompreise trotz Ausstieg aus der Atomkraft zuletzt deutlich sanken: Der durchschnittliche Day-Ahead.Börsenstrompreis (also der Handelspreis für den Folgetag) ging 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 15,5 Prozent zurück auf 78,01 Euro/Megawattstunde (MWh) bzw. 7,8 Cent/Kilowattstunde (kWh) (2023: 92,29 Euro/MWh bzw. 9,23 Cent/kWh). Er liegt damit auch unter dem Niveau des Jahres 2021 (93,36 Euro/MWh). Im Jahr 2022 lag der Börsenstrompreis bei 230,57 Euro/MWh, bedingt durch den russischen Angriff auf die Ukraine und die Nichtverfügbarkeit vieler französischer Atomkraftwerke.

Später sagte Weidel: "Wissen Sie eigentlich, wie hoch der Flächenbedarf von Windturbinen ist, die ein Atomkraftwerk ersetzen? Ich will es Ihnen sagen: Der Flächenbedarf, um ein Kernkraftwerk zu ersetzen, ist ungefähr eine halbe Großstadt, das halbe Stuttgart, und besteht aus ungefähr 1.300 Windturbinen."

Faktencheck-Ergebnis: Lügen und Ungenauigkeiten

Stuttgarts Stadtgebiet misst 207,4 Quadratkilometer (gleich 20.740 Hektar). "Halb Stuttgart" belegt also 10.370 Hektar. Eine einzelne Windkraftanlage beansprucht im Betrieb dauerhaft durchschnittlich einen halben Hektar (ein Fußballfeld hat 0,7 Hektar). 1.300 Windräder belegen so zusammen 650 Hektar. Demnach hat Weidel sich um das 16-fache verschätzt.

Allerdings ist auch die genannte Zahl von 1.300 Anlagen unpräzise, da diese von der jeweiligen Leistung abhängt. Demnach sind von den aktuell neu errichteten Offshore-Rotoren etwa 1.160 Stück nötig, um so viel Strom zu produzieren wie ein Atomkraftwerk. Da Windräder immer leistungsfähiger werden, ist diese Zahl nur eine Momentaufnahme. Legt man moderne 6-MW-Anlagen zu Grunde, wären 730 bis 910 Windräder ausreichend, um ein AKW zu ersetzen.

Daneben behauptete Weidel: "Wir reden nur vom Nennwert von Windturbinen, wenn der Wind voll bläst. Wann tut er das schon?"

Faktencheck-Ergebnis: Irreführend

Weht so viel Wind, dass eine Windturbine ihre Sollleistung erreicht, was Weidel mit Nennwert meint, läuft sie unter Volllast. Volllaststunden resultieren somit aus dem Windaufkommen am Kraftwerksstandort. Die besten Standorte hierzulande sind küstenferne Gebiete in der Nordsee, wo Offshore-Anlagen bis zu 4.500 Volllaststunden pro Jahr erzielen. An Standorten im küstenfernen Binnenland erreichen Windturbinen im Schnitt 2.500 Volllaststunden. Ein Jahr mit 365 Tagen hat 8.760 Stunden.

Am Ende des ZDF-Interviews behauptet Weidel, in ihrer Parteitagsrede nur den Abriss von Windrädern im hessischen Reinhardswald gemeint zu haben. Seit Jahren kursieren im Netz Erzählungen zu Umweltschäden durch den Bau eines Windparks.

Faktencheck-Ergebnis: Extrem irreführend

Im hessischen Reinhardswald, bekannt als Grimms Märchenwald, müssen für die 18 neuen Windräder 8,2 Hektar und für Zufahrtsstraßen 4,9 Hektar Wald dauerhaft gerodet werden. Insgesamt sind rund 30 Hektar durch Maßnahmen betroffen, verglichen mit einer Gesamtfläche des Reinhardswaldes von 20.000 Hektar. Besonders alte Waldflächen wurden im Genehmigungsverfahren ausgeschlossen.

Ein Vergleich hilft, die Flächengrößen einzuordnen: Nimmt man alle bereits existierenden Windräder in deutschen Wäldern zusammen, beanspruchen sie aktuell eine Fläche von rund 1.100 Hektar. Eine solche Fläche wurde für den Braunkohletagebau in Deutschland im letzten Jahrzehnt alle 18 Monate abgebaggert.

Die eigentliche Gefahr für den deutschen Wald liegt nicht im Bau von Windkraftanlagen oder in Rodungen für den Tagebau. In erster Linie bedroht der Klimawandel die Wälder in Deutschland. Allein im Jahr 2020 führte dieser dazu, dass 138.000 Hektar Wald abstarben, wie die amtliche Waldzustandserhebung zeigte. Um den Wald zu erhalten, braucht es deswegen konsequenten Klimaschutz – auch durch den Ausbau von Windenergie.

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