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Faktenchecks im Wahlkampf

Detox für Debatten

Faktenchecks im Wahlkampf: Detox für Debatten
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Populist:innen gehen im Bundestagswahlkampf mit Desinformation etwa zu Migration und Energiesicherheit auf Stimmenfang. Wie lässt sich verhindern, dass Talkshows und Wahlsendungen zu Fake-News-Festspielen ausarten? Der Stuttgarter Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider gibt Tipps.

Herr Brettschneider, vor der Bundestagswahl treten die Kanzlerkandidat:innen vor Millionenpublikum im Fernsehen auf. Die Erfahrung aus Talkshows und TV-Interviews zeigt, dass diesen im Eifer des Wortgefechts mitunter Falschbehauptungen "rausrutschen". Wie erkennt man Desinformation?

Frank Brettschneider, 59, ist seit April 2006 Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Uni Hohenheim. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Kommunikation bei Bau- und Infrastrukturprojekten, Verständlichkeitsforschung, politische Kommunikation und Wahlforschung, Kommunikationsmanagement.  (red)

Das lässt sich zum einen erkennen, wenn mehrere Aussagen logisch miteinander unvereinbar sind. Dann können nicht alle stimmen. Zum anderen erkennt man Falschaussagen vor allem dann, wenn man sich selbst zu einem Thema gut auskennt und faktensicher ist. Beides gehört zu den Aufgaben einer guten Moderation. Und dennoch wird es kaum möglich sein, während einer Live-Sendung alle Aussagen auf ihre Faktizität hin zu überprüfen.

Wie sollten sich Redaktionen und Moderator:innen auf Desinformation vorbereiten?

Die Teilnehmenden an den Live-Sendungen zur Wahl sind ja keine Unbekannten. Redaktionen können daher im Vorfeld recherchieren und zusammentragen, in welchen Punkten ein Gesprächsteilnehmer beziehungsweise eine Gesprächsteilnehmerin in der Vergangenheit schon Falschaussagen in Umlauf gebracht hat. Und sie können die tatsächlichen Fakten für die Moderation vorbereiten.

Was, wenn während einer Live-Sendung dann tatsächlich Halbwahrheiten oder Lügen verbreitet werden?

Schwieriger ist die Reaktion auf die Falschaussagen. Folgendes Szenario ist da nicht unwahrscheinlich: Person X arbeitet mit einer Falschaussage. Die Moderation berichtigt die Falschaussage. Person X bestreitet, dass die Moderation Recht hat. Dann muss die Moderation entsprechende Fakten in Form von Statistiken et cetera parat haben. Das ist praktisch in einer Sendung nicht realisierbar. Ähnliches gilt, wenn die Moderation die Person X nach einer früheren Aussage auf einer Wahlveranstaltung fragt – und Person X dann bestreitet, diese Aussage je getätigt zu haben. Dann muss die Moderation eine Aufzeichnung der Rede haben und einspielen können. Auch das ist praktisch in einer Live-Sendung kaum realisierbar. Punktuell geht das zwar, aber für die Mehrzahl der Aussagen in einer Diskussion wird das nicht praktikabel sein.

Sollten etwa Experten aus Fachredaktionen im Hintergrund bereit stehen, um bei komplexen Themen die Moderatoren gegebenenfalls zu unterstützen?

Das ist auf jeden Fall hilfreich. Gute Fachredaktionen sind unabdingbar, um für Wählerinnen und Wähler eine sachliche Grundlage für ihre Wahlentscheidung sichern zu helfen. In einer Live-Sendung können sie auch die Moderation auf Falschaussagen hinweisen. Aber das muss dann sehr schnell gehen, damit die Diskussion sich nicht schon zu einem anderen Thema weiterentwickelt hat, bevor eine Falschaussage richtiggestellt werden kann.

Momentan laufen Petitionen, die die Sender zu Echtzeit-Faktenchecks während der Wahlsendungen auffordern, um Fake News sofort als Falschaussagen zu entlarven und klarzustellen.

Ausgabe 721, 22.1.2025

Lügen zur Primetime

Von Jürgen Lessat

Populist:innen haben Windräder als Aufregerthema im Bundestagswahlkampf entdeckt. Selbst seriösen Medien gelingt es kaum, Falschbehauptungen klarzustellen, wie ein ZDF-Interview mit der AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel zeigte.

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Die Motivation hinter der Forderung nach Echtzeit-Faktenchecks teile ich: Die öffentliche Debatte soll nicht durch Fake News und Lügen vergiftet werden. Wählerinnen und Wähler sollen nicht durch Lügen manipuliert werden. Allerdings bin ich skeptisch, dass ein Echtzeit-Faktencheck in der Breite während einer Live-Sendung praktikabel ist. Punktuell geht das aber natürlich. Vielleicht müsste man das einfach mal ausprobieren und dann aus den damit gemachten Erfahrungen lernen und den Faktencheck weiterentwickeln.

Einige Redaktionen überprüfen strittige Aussagen und veröffentlichen die Ergebnisse im Nachhinein online. Ist das sinnvoll in unserer schnelllebigen Push-News-Zeit, wenn oft schon die nächste Aufreger-Sau durchs Dorf getrieben wird?

Auch die zeitversetzten Faktenchecks sind gut gemeint, werden aber in der Regel kaum wahrgenommen – und schon gar nicht von jenen Personen, die mit dem Kandidaten oder der Kandidatin sympathisieren, der oder die die Falschaussage in Umlauf gebracht hat. Und sie kommen oft zu spät. Die Falschaussage hat sich schon verbreitet. Trotzdem sind auch die zeitversetzten Faktenchecks notwendig.

Bewegen Faktenchecks Ertappte, künftig die Wahrheit zu sagen?

Diejenigen, die Falschmeldungen in Umlauf bringen, lassen sich davon nicht beeindrucken – siehe Donald Trump. Wichtig finde ich hingegen, dass die klassischen Massenmedien die Falschaussage nicht auch noch am Folgetag ausgiebig wiederholen. Denn dann erreicht sie, trotz möglicher Richtigstellung, noch mehr Menschen.

Plattformen wie "X" von Multimilliardär Elon Musk gelten inzwischen als wahre Desinformationsschleudern, die Populisten zu nutzen wissen.

Generell gilt: Das Richtigstellen von Fake News, die sich massenweise in Social-Media-Beiträgen finden, ist ein schwieriges Unterfangen. Hier sind vor allem die Ansätze erfolgversprechend, die das internationale Team rund um den australischen Kognitionspsychologen Stephan Lewandowsky im "Debunking Handbook" von 2020 (deutsche Version: "Widerlegen, aber richtig") auf der Basis aktueller Forschung zusammengetragen hat. Eine erfolgreiche Widerlegung setzt sich demnach in der Regel aus vier Komponenten zusammen:
a) Mit den Fakten starten. Die Fakten sollten knapp und verständlich dargelegt werden.
b) Darauf hinweisen, dass nun eine Falschinformation folgt. Die Falschinformation nur einmal erwähnen, um zu vermeiden, dass sie "hängen" bleibt.
c) Erklären, wie die Falschinformation in die Irre führt.
d) Die Fakten nochmals mehrfach wiederholen. Dabei sicherstellen, dass die Fakten als Erklärung für den diskutierten Sachverhalt dienen.

Dabei kommt es nicht nur auf die Widerlegung an, sondern auch auf die Glaubwürdigkeit der Person bzw. Institution, die die Widerlegung vornimmt.

Was TV-Sender gegen Fake News tun

Kontext hat ARD, ZDF und RTL gefragt, wie sie sich auf mögliche Desinformation in den geplanten Wahlsendungen vorbereiten. Hier die Antworten (teilweise gekürzt):

ARD: "Die Moderator*innen unserer Talkformate bereiten sich mit ihren Redaktionen intensiv auf ihre Gäste und die Themen der Sendungen vor. Gerade jetzt im Wahlkampf auch gezielt auf mögliche Falschaussagen, um darauf unmittelbar reagieren zu können. Auch während der Live-Sendungen prüfen die Redaktionsteams potenziell strittige Aussagen permanent, so dass eindeutige Falschaussagen noch während der Sendung von unseren Moderatorinnen und  Moderatoren richtiggestellt werden können. Bei besonders komplexen Themen ist dies in der Live-Situation mitunter nicht möglich. Für diese Fälle bieten wir den bekannten Faktencheck auf der jeweiligen Homepage am Tag nach der Sendung. Auf den Einsatz von KI verzichten die Redaktionen. Besonders in Live-Situationen muss die Recherche mit gesicherten Quellen erfolgen. KI-Programme eignen sich für eine zuverlässige Faktenprüfung aktuell nur bedingt. Bei der 'Wahlarena', in der ja alle vier Spitzenkandidaten auftreten werden, verfolgt ein ganzes Fact-Checker-Team die Sendung live mit, um mögliche Falschaussagen noch während der Sendung zu korrigieren. Am Tag nach der Sendung wird es auf der Seite Das Erste/Wahlarena.de einen ausführlichen Faktencheck (...) geben."

ZDF: "Das ZDF steht für öffentlich-rechtlichen Qualitätsjournalismus. Aus diesem Grund sind das Überprüfen von Falschaussagen und Faktenchecks seit Jahrzehnten selbstverständlich Teil unserer Berichterstattung im TV und auf unseren Online-Kanälen. Auch in der Wahlkampf-Berichterstattung wird die Überprüfung von Aussagen der Politikerinnen und Politiker eine wichtige Rolle spielen. Derzeit laufen Gespräche, in denen Form und Umfang von Faktenchecks konzipiert werden."

RTL: "Das beste Mittel gegen Falschbehauptungen ist eine direkte Reaktion, Einordnung oder Richtigstellung. Unsere Moderatoren bereiten sich daher intensiv vor, indem sie sich mit den wichtigsten Themen, den dazugehörigen Fakten und Positionen der Diskutanten vertraut machen. (...) Vor allem hilft Nachhaken und Einfordern von Nachweisen. (...) Die größte Wirkung entfalten Richtigstellungen sofort – in einem Gespräch sollte dies im Idealfall direkt geschehen und somit durch gute Vorbereitung sichergestellt werden. Auch Faktenchecks, die zeitverzögert und/oder in einem anderen Medium publiziert werden, funktionieren, wenn sie gut eingebunden sind. Während des TV-Duells zwischen Merz und Scholz am 16. Februar werden wir einen Echtzeit-Faktencheck auf stern.de anbieten. Daran werden Kolleginnen und Kollegen der 'Stern'-Redaktion und der Dokumentation mitarbeiten. KI kann in der Recherche unterstützen – am Anfang und am Ende steht allerdings immer ein Mensch."  (jl)

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1 Kommentar verfügbar

  • Peter Nowak
    vor 3 Wochen
    Antworten
    Es ist gut, die rechten Kampagnen gegen die nichtfossile Energien zu benennen. Aber es ist auch wichtig, die Probleme nicht zu verschweigen, die es auch mit diesen Energiearten gibt .

    So lese ich in der Wochenzeitung Freitag das Statement einer Kathrin Waldstädt, die sich als Umweltschützerin…
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