Christian Lindner schlägt um sich an diesem Dreikönigstag. Olaf Scholz vergleicht der liberale Bundesvorsitzende im politischen Nahkampf mit einem Karnevalsprinzen, der Kamelle unters Volk wirft. Robert Habeck nennt er einen Heuchler, indem er ausgerechnet einen Pseudo-Skandal aus rechten Medien und dem Hause Springer nacherzählt, die den grünen Wirtschaftsminister neuerdings als "Tyrann" verunglimpfen, der Jagd auf Bürger mache ("Nius"). In Wahrheit geht er bloß konsequent gegen Beleidigungen im Netz vor.
Ungewöhnlich ausführlich bekommt auch die Union ihr Fett weg – dieselbe, mit der Lindner nach dem Erlöschen der Ampel in eine Koalition drängt. Unter völliger Ausblendung aller Umfragen träumt er von Schwarz-Gelb, koffert zugleich aber gegen die Union als "politisches Chamäleon" und indirekt gegen deren Chef Friedrich Merz. Deutschland brauche nicht nur einen Kanzler-, sondern einen Politikwechsel. Und den gibt es in der Lindner-Welt natürlich nur mit seiner FDP, weil Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün nichts anderes wäre als eine "Ampel light".
Fantasie vom links-grünen Mainstream
Wer so redet, stellt die eigene Regierungsfähigkeit in Frage. Das in Teilen zum Dreikönigstreffen geladene Publikum im vollbesetzten Großen Haus der Württembergischen Staatstheater ist dennoch ausgesprochen großzügig mit Szenenapplaus. Gerade als der 46-Jährige von einem links-grünen Mainstream hierzulande fantasiert und einen verzerrten Blick auf die vergangenen zwei Jahrzehnte offenbart. Die wurden, behauptet der eloquente Muntermacher, de facto geprägt von Mitte-Links und Grün – eine Theorie, die nur aufgeht, indem er sogar Angela Merkel zur Grünen erklärt.
Widersprüche und Purzelbäume wie diese lassen die trotz D-Day-Papers zahlreich erschienenen Fans ungerührt. Auch wenn Lindner 20 Jahre ohne Reform beklagt, nachdem er kurz zuvor die gar nicht so wenigen durch die Ampel erzielten Fortschritte beschrieben hat: Das Klimaschutzgesetz sei marktwirtschaftlich novelliert, Steuerentlastungen beschlossen und damit begonnen worden, Ordnung in die Migrationspolitik zu bringen und die Bundeswehr zu ertüchtigen. Er nennt das Startchancenprogramm für Schulen bundesweit und lobt sogar, dass Bürokratie "in größerem Maßstab" abgebaut worden sei.
Letzteres unterstreicht die Verwirrtheit der Liberalen. Denn in jenem Landesverband, der am 23. Februar ein überdurchschnittliches Ergebnis bringen muss, wenn es funktionieren soll mit dem Verbleib im Bundestag, wird so getan als würde Bürokratie – oder Bürokratismus, wie es inzwischen heißt – immer nur und im Übermaß aufwachsen und als sei dagegen bisher ein Kraut nicht einmal gesucht worden. Ein Hauptthema der verlangten "Wirtschaftswende jetzt".
Mit Säge beim Landesparteitag
Dem traditionellen Landesparteitag am 5. Januar in Fellbach, einen Tag vor Dreikönig, hatte der Vorstand jedenfalls einen Leitantrag vorgelegt, der die Nähe zum argentinisches Politikrabauken Javier Milei nicht scheute und – wie er – die Kettensäge zum Symbol erklärte. Vor der dortigen Schwabenlandhalle stand sogar ein Dutzend Junge Liberale (Julis) und wollte mit einem Sägen-Modell des Waiblinger Weltmarktführers Stihl den Parteitag bereichern, was ziemlich absehbar am Sicherheitsdienst scheiterte. Generalsekretärin Judith Skudelny berichtete den Delegierten, wie sie in Gesprächen das Utensil verteidigen musste, und versprach: "Wir werden kein Kettensägen-Massaker veranstalten, Schutzanzüge anziehen und die Bedienungsanleitung lesen", um endlich Bürokratismus in großem Stil abzubauen. Das Fußvolk, genauer eine ausreichend große Zahl davon, blieb überraschend unbeeindruckt, stimmte aus dem Leitantrag die Kettensäge wieder hinaus und ersetzte sie durch die etwas matte Devise "Bürokratie konsequent reduzieren".
1 Kommentar verfügbar
Johannes Frübis
vor 1 WocheKurz zur Erinnerung, die FDP war von 2009 bis 2013 teil einer Bundesregierung, nach Lindners Worten, ohne Reformen.
Was Herr Lindner genau unter "Reformen" meint, lässt er das Wahlvolk im unklaren.
Und was Herr Lindner genau unter…