KONTEXT:Wochenzeitung
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Klimafolgenforscherin Kira Vinke

Der Klimaschutz ist eine Schnecke

Klimafolgenforscherin Kira Vinke: Der Klimaschutz ist eine Schnecke
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Kira Vinke hat die Koffer für den Weltklimagipfel gepackt. Er findet am 11. November in Baku statt. Was erwartet die Forscherin und Politikberaterin? Mit Kontext spricht sie über ihre Frustrationstoleranz, wie sie größeres Leid verhindern will und was bei der Energiewende besser werden muss.

Eigentlich hätte das Outfit gut gepasst zum Thema, denn die Fortschritte beim Klimaschutz sind auch zum Gruseln. Vor unserem Zoom-Interview trägt Kira Vinke noch ein T-Shirt  für die Halloween-Party danach. Beim Gespräch wechselt sie dann in den seriöseren roten Blazer. Später will die Klimafolgenforscherin mit ihren Kolleg:innen feiern. Vergnügen muss auch sein, sagt die 36-Jährige. Denn ihr Job als Leiterin des Zentrums für Klima und Außenpolitik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ist manchmal zum Haareraufen: Der Klimaschutz ist eine Schnecke und die Zeit wird knapp.

Frau Vinke, haben Sie manchmal mit dem Gedanken gespielt, Ihren Schreibtisch auf die Straße zu kleben, als Sie den Protest der jungen Leute auf der Straße gesehen haben?

Natürlich fordert der Klimaschutz auch drastische Maßnahmen. Aber ich glaube, dass ich persönlich mit meinem Schreiben und meiner Forschung mehr erzielen kann als durch einen konkreten persönlichen Aktivismus.

Die Aktivist:innen haben sich ja auf die Straße geklebt, weil sie sehen, Reden und Konferenzen helfen wenig. Die Klimakleber wurden strafrechtlich verfolgt, Nichtstun wird nicht bestraft. Ist das gerecht?

Nein, ist es nicht. Es ist aber auch die Frage, was müsste da bestraft werden? Für mich stehen da große Umweltverbrechen, das Thema Ökozid, im Vordergrund.

Sie meinen Umweltverbrechen wie Fracking und das Abholzen der Regenwälder?

Ja. Wir leben derzeit in einem Wirtschaftssystem in systemischen Zwängen, die es sehr schwierig machen, sich komplett klimagerecht zu verhalten. Somit kann man es nicht dem Einzelnen zumuten, all diese Diskrepanzen aufzulösen. Das vermeintliche Nichtstun des Einzelnen umfasst allerdings auch die aktive Hinnahme der nicht-gewollten Nebeneffekte bei der Nutzung fossiler Brennstoffe. Keiner setzt sich ins Auto, schmeißt den Motor an und will die kleinen Inselstaaten untergehen lassen oder die Lebensgrundlagen anderer Menschen zerstören. Aber inzwischen weiß jeder, dass dies die Konsequenzen von Verbrennungsmotoren und Co sind.

Die persönliche Verantwortung ist das eine. Das andere ist eine verantwortungsvolle Politik. Wir wissen so viel über die Klimafolgen und es passiert so wenig. Nicht einmal so einfache Dinge wie ein Tempolimit gelingen. Lässt Sie das manchmal verzweifeln?

Das ist natürlich deprimierend, aber der Verzweiflung sollte man sich da nicht hingeben. Verzweiflung kennen die, die extrem unter den Folgen leiden und keine Handlungsmöglichkeiten mehr haben: Menschen, deren Kinder im Supersturm sterben. Menschen, die in schrecklichen Armutssiedlungen leben. Wir in Deutschland befinden uns im globalen Vergleich gesehen in einer guten Lage. Natürlich gibt es auch Armut in Deutschland und große politische Verwerfungen. Und natürlich ist es besorgniserregend, dass es die Politik nicht einmal schafft, ein Tempolimit einzuführen. Aber wir haben noch einige Handlungsspielräume.

Die aber nicht genutzt werden.

Trotzdem besteht die Möglichkeit der Veränderung. Es ist ja nicht gesagt, dass ein Tempolimit niemals kommt, nur weil es die jetzige Koalition nicht geschafft hat. Beunruhigender ist die Tatsache, dass die Wetterextreme der vergangenen 24 Monate keine wirkliche Dynamisierung des globalen Klimaschutzes hervorgerufen haben. Dabei stehen uns nur noch kurze Zeiträume zur Verfügung, um größere Katastrophen abzuwenden.

Katastrophen wie vor wenigen Tagen in Spanien, wo in acht Stunden mehr Regen gefallen ist als sonst in einem Jahr. Ein Extremwetterereignis, das Brücken, Autos, Menschen mitgerissen hat, inzwischen sind mehr als 200 Menschen gestorben. Wie blicken Sie auf solche Bilder?

Das ist das Resultat von drei Jahrzehnten zögerlichem Klimaschutz. Und es kann viel schlimmer werden. Aber wir haben noch die Chance, die Erwärmung zum Halten zu bringen. Daran sollten wir uns orientieren und Emissionssenkungen konsequent einfordern.

Ist das Zweckoptimismus oder haben Sie einfach eine große Frustrationstoleranz?

Dahinter steckt kein reiner Zweckoptimismus. Ich glaube tatsächlich, dass wir sehr viele technologischen und naturbasierten Möglichkeiten zur Verfügung haben, um die Krise zu bewältigen. Es gibt auch genügend Geld auf der Welt, um diese Veränderungen voranzutreiben. Daraus schöpfe ich meine Zuversicht. Man wacht ja nicht auf und ist hoffnungsvoll. Das passiert vielleicht einmal im Jahr, den Rest des Jahres muss man daran arbeiten. Klar, jeder Rückschritt schmerzt und stellt einen vor die Frage, wie schaffen wir es, weiter voranzugehen in Richtung Klimaschutz. Und da ist die Bereitschaft derzeit geringer als noch vor fünf Jahren.

Woran liegt das?

Die verschiedenen Krisen, von der Covid-Pandemie über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine oder der Konflikt in Gaza, die hohen Energiekosten, welche private und öffentliche Haushalte belasten – das alles verengt den Radius, in dem Menschen sich weiteren Herausforderungen stellen wollen.

Da spüre ich die Schneckenhaftigkeit der Transformation schon in Ihren Antworten. Mal grundsätzlich gefragt: Warum machen Sie den Job?

Mein Ziel ist, Ideen einzubringen, etwa wie wir über den Klimaschutz möglicherweise Krisen verhindern können. Das ist auch wissenschaftlich sehr spannend. Ich konnte mit vielen verschiedenen Menschen im Rahmen meiner Feldforschungen sprechen. Das hat mich persönlich sehr bereichert und zu einem breiteren Verständnis beigetragen, was die Auswirkungen unseres Handelns international bedeuten.

Man muss sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen, sagt Camus. Ist es diese Art von Glück?

Ich wäre jedenfalls glücklicher, wenn der Stein nicht mehr runterrollen würde. Ich glaube, das teilen viele. Viele Menschen wären befreiter, wenn die Klimakrise gelöst wäre oder man zumindest das Gefühl hätte, okay, es geht wenigstens in die richtige Richtung.

Lassen wir die Klimaleugner an dieser Stelle mal außen vor: Wie kann diese große Last genommen werden?

Die fossilen Subventionen müssen abgeschafft werden. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien sollte stark gefördert werden. Und gleichzeitig braucht es mehr Finanzhilfen für den globalen Süden. Diese Aufgaben betreffen nicht nur Deutschland. Die Internationale Gemeinschaft hat das Thema auf dem Schirm. Aber jetzt muss endlich gehandelt werden, um diese Risiken des Klimawandels auch einzudämmen. Derzeit erhöhen wir die Risiken, weil wir immer noch drauflegen an Emissionen.

Kira Vinke studierte Internationale Beziehungen in Berlin, Honolulu, Madrid und Tokio. In Honolulu hatte sie ein Gesangsstipendium, was zeigt, dass sie nicht nur Klima kann. Heute ist sie Leiterin des Zentrums für Klima und Außenpolitik der DGAP, Wissenschaftlerin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Co-Vorsitzende des Beirats der Bundesregierung "Zivile Krisenprävention und Friedensförderung". In ihrer Forschung befasst sich die 36-Jährige mit den menschlichen Dimensionen des Klimawandels, mit den Auswirkungen auf Migrationsbewegungen und menschliche Sicherheit. In ihrem Buch "Sturmnomaden" zeigt sie auf, wie der Klimawandel den Menschen die Heimat raubt.  (sus)

Sie arbeiten als Leiterin Klima und Außenpolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (siehe Kasten). Sie forschen und beraten zu Klimafolgen. Wie sieht Ihre Lobbyarbeit fürs Klima aus?

Ich habe mit dem Lobbybegriff Schwierigkeiten. Denn das Ziel des Klimazentrums, wo wir arbeiten, ist, die Einhaltung des Pariser Abkommens in seinen verschiedenen Facetten zu unterstützen. Das ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der letztlich dem Allgemeinwohl dient. Das ist aus meiner Sicht etwas anderes, als Partikular-Interessen eines Unternehmens zu vertreten.

Sie sind jedenfalls nicht nur Wissenschaftlerin, sondern auch Politikberaterin. Wen beraten Sie?

Wir beraten alle Parteien des demokratischen Spektrums. Mit unseren Arbeiten zu Klimasicherheit sprechen wir insbesondere das Außenministerium, das Verteidigungsministerium und das Entwicklungsministerium an. Wir hatten kürzlich auch eine große Veranstaltung mit Vizekanzler Robert Habeck bei uns. Da geht es um öffentlichen Austausch, um Gespräche, auch mit Parlamentariern, um Anhörungen im Bundestag. Ich halte es für wichtig, die Debattenräume offen zu halten, den Austausch zu suchen. Respektvoll, auch wenn es hitzig wird.

Wie etwa beim Atomausstieg?

Den ziehen tatsächlich viele wieder in Zweifel. Ich habe den Ausstieg befürwortet und tue es immer noch. Man kann viel über das Wie diskutieren, aber es war ökonomisch und umweltpolitisch die richtige Entscheidung.

Hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing Sie schon angerufen? Der könnte womöglich Hilfe brauchen, schließlich hat sein Ressort die abgesprochenen Klimaziele nicht erreicht.

Wir arbeiten nicht konkret zur Verkehrswende in Deutschland, außer dass mein Mitarbeiter ein Papier zur Geopolitik von Elektromobilität geschrieben hat. Wir fokussieren uns auf die Klimaaußenpolitik. Aber natürlich ist es extrem kritikwürdig, dass die Sektorenziele im Verkehrsministerium nicht eingehalten werden.

Bleiben wir in Deutschland: Was muss besser werden bei der Energiewende in Deutschland?

Wir müssen die Entbürokratisierung weiter voranbringen. Es muss erleichtert werden, in großen Städten Solardächer aufzubauen. Regularien, die den Bau von Windkraft hemmen wie die immer noch problematischen Abstandsregeln in Bayern, sollten weiter gelockert werden, um die Bürokratie auf ein sinnvolles, effizientes Maß zu beschränken. Und natürlich die Abschaffung fossiler Subventionen. Das geht nicht schnippschnapp, aber der Zeithorizont sollte festgelegt und kommuniziert werden.

Von Deutschland in die Welt: Die G20-Staaten haben sich bei ihrem Treffen in Washington kürzlich wieder zur Abkehr von fossilen Brennstoffen bekannt. Ist das ein Zeichen für Vernunft oder doch nur eine weitere folgenlose Erklärung?

Wir müssen von den Absichtserklärungen endlich in die Umsetzung kommen. Und das findet auf nationalstaatlicher Ebene statt. Die G7 haben schon mehrfach angekündigt, fossile Subventionen abzuschaffen. Das ist bisher nicht erfolgt. Ich würde auch den Steuernachlass beim Diesel darunter fassen, den es in Deutschland immer noch gibt. Wir brauchen nicht neue Ziele, die sind im Pariser Abkommen genannt. Jetzt geht es darum, wie wir sie umsetzen.

Und immer noch gibt es Klimaleugner, vor allem bei Rechtspopulisten. "Die Energiewende darf nicht zum Futter der AfD werden", sagt Till Kellerhoff, Programmdirektor des Club of Rome. Sehen Sie die Gefahr auch?

Innerhalb der AfD wird sowohl der menschgemachte Klimawandel angezweifelt als auch die Förderung von Erneuerbaren Energien in Frage gestellt. Ja, die Gefahr ist groß, dass Klimaschutz in diesen populistischen Strömungen sehr stark polarisierend benutzt wird. Das fördert Widerstand gegen die Transformation.

Hinter Widerstand steckt auch die Angst vor den Kosten der Transformation. Sprechen wir über Geld. Der kürzlich veröffentlichte Oxfambericht über Ungleichheit nimmt die 50 reichsten Menschen unter die Lupe und zeigt deren Fußabdruck bei Transport und Investments.

Die Nutzung von Superjachten und Privatjets ebenso wie die Investitionen in fossile Industrien führen zur Zementierung des Emissionswachstums. Aber natürlich stellt sich bei einer solchen Akkumulation von Wohlstand auch die Frage, wie viel Einfluss hat diese Personengruppe auf die Politik? Wie groß der ist, sehen wir derzeit am Beispiel Elon Musk und seinem Support für Donald Trump. Die USA steht bei dieser Präsidentenwahl vor dem Scheideweg, was die industrielle Transformation betrifft. Donald Trump ist Klimaleugner, Kamala Harris hat Umweltgerechtigkeit als Profil.

Was haben Sie im Gepäck, wenn Sie nächste Woche zur UN-Weltklimakonferenz nach Baku fahren?

Diese tolle Hülle (hält sie in die Kamera) habe ich bekommen, um mein Mobiltelefon vorm Abhören zu schützen. In Aserbaidschan ist ein Regime an der Macht, das vor drastischen Maßnahmen gegen Kritiker nicht zurückschreckt. Das Abhören von Handies von NGOs gehört dazu oder der Versuch, bei Gipfelteilnehmern Spionagesoftware draufzuladen.

Sie scheinen gewappnet. Auch vor Enttäuschungen?

Meine Erwartungen an die Verhandlungen in Baku sind gering. Aber bei aller Kritik an dem sehr langsamen Vorangehen ist dieses multilaterale Forum wenigstens nicht komplett blockiert. Meine Hoffnung ist, dass es mehr Zusagen für die Finanzierung des Klimaschutzes gibt. Gerade vor dem Hintergrund der Extremwetterereignisse der letzten zwölf Monate dürfen wir den Kopf nicht länger in den Sand stecken. Allen Haushaltszwängen und Krisen zum Trotz. Man müsste ja verrückt sein, wenn man die Welt nicht verändern wollte.

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3 Kommentare verfügbar

  • Werner
    am 10.11.2024
    Antworten
    "Die Nutzung von Superjachten und Privatjets ebenso wie die Investitionen in fossile Industrien ..."
    Klar, die Reichen und Schönen haben Sonderregelungen, war schon immer so und wird auch immer so bleiben.
    Aber das wirklich tragische ist, dass noch nicht einmal diejenigen die sich als die großen…
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