KONTEXT:Wochenzeitung
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Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts

"Emissionen nicht mehr fördern"

Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts: "Emissionen nicht mehr fördern"
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Dienstwagenprivileg, Steuervergünstigungen auf Kerosin und Diesel – das geht anders und vor allem besser, meint Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts. Im Gespräch mit Kontext wünscht er sich einen Pakt der Demokrat:innen für den Klimaschutz.

Herr Messner, die UN-Klimakonferenz 2015 in Paris hat sich darauf geeinigt, dass der globale Temperaturanstieg bis zum Jahr 2100 die 1,5 Grad-Marke nicht übersteigen darf, um katastrophale Folgen für Mensch und Umwelt zu vermeiden. Frage an den Experten, den Präsidenten des Umweltbundesamtes: Gehören Sie zu den Optimisten, die das für möglich halten?

Das Zeitfenster wird immer enger. Das sagen wir Klimaberaterinnen und -berater ja schon seit vielen Jahren. Und von Jahr zu Jahr schließt sich die Tür einen Spalt weiter. Im Augenblick sind wir auf einem Pfad zwischen zweieinhalb und drei Grad plus. Damit wir noch eine Chance haben, unter 1,5 Grad oder um die 1,5 Grad zu landen, müssten wir die globalen Emissionen halbieren. Weltweit. Bis Ende der Dekade. Das sind jetzt noch sechs Jahre.

Wir tun nicht nur zu wenig gegen den Klimawandel, sondern unterstützen ihn sogar mit klimaschädlichen Subventionen. Zu deren Abbau hat das Umweltbundesamt konkrete Vorschläge gemacht. Können Sie die wichtigsten kurz konkretisieren?

Unsere Kernüberlegung ist: Wir sollten in der Wirtschaft das fördern, was wir erreichen wollen, zum Beispiel Beschäftigung, Wettbewerbsfähigkeit oder eben Klimaneutralität. Wir sollten nicht fördern, was wir vermeiden möchten. Es gibt in unserem Wirtschaftssystem etwa 65 Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen, rund 90 Prozent davon sind klimaschädlich. Der Steuerausfall durch Vergünstigungen bei der Dieselbesteuerung macht sieben bis acht Milliarden Euro aus. Das passt nicht zu den Zielsetzungen der Bundesregierung, die Treibhausgase rasch zu reduzieren. Wir schlagen vor, dass man einen Teil der zu erwartenden Mehreinnahmen in Milliardenhöhe in die Förderung von E-Mobilität, insbesondere bei kleineren und mittleren Wagen investiert. Ein zweites Beispiel ist das Dienstwagenprivileg, das uns pro Jahr 3,5 bis fünf Milliarden Euro kostet. Davon profitieren besonders gutverdienende Dienstwagennutzerinnen und -nutzer. Das halten wir für keinen guten Ansatz, das ist nicht gerecht. Außerdem handelt es sich da oft um große Autos mit besonders kräftigem Treibhausgas-Ausstoß. Und wir haben auf der Ebene der Europäischen Union die Steuerbefreiung für Kerosin, die Deutschland vor Ausbruch der Corona-Pandemie bis zu 8,4 Milliarden Euro pro Jahr gekostet hat. Das ist komplett aus der Zeit gefallen.

Wir könnten diese Subvention abschaffen und für die Elektrifizierung im industriellen Bereich oder die Entwicklung von klimaneutralem Luftverkehr nutzen. In das gleiche Feld fällt auch die Mehrwertsteuerbefreiung für den Flugverkehr innerhalb Europas. Das sind vier unserer insgesamt 41 Subventionstatbestände, zu denen wir arbeiten. Grundsätzlich müssen wir davon wegkommen, Treibhausgasemissionen zu fördern und uns stattdessen in Richtung Umweltverträglichkeit ausrichten.

Warum ist überhaupt mal eingeführt worden, das Fliegen durch die Mehrwertsteuerbefreiung zu unterstützen?

Vielleicht weil man die Flugindustrie fördern wollte? Die Subvention stammt aus einer Zeit, in der wir uns über Klimapolitik noch keine großen Gedanken gemacht haben. Mit der Steuervergünstigung für Diesel wollte man den LKW-Verkehr und die Logistik unterstützen. Das könnte man auch weiterhin tun. Aber dann auf eine Weise, mit der die Elektrifizierung in diesem Bereich vorankommt und nicht mit Dieselförderung, die Treibhausgase produziert. Die Politik sucht ja in allen möglichen Bereichen nach Geld. Hier sind Ressourcen, die umgeschichtet werden können.

Und das Dienstwagenprivileg? Wurde das mal eingerichtet, um Unternehmen darin zu unterstützen, gutes Personal in leitenden Positionen zu haben?

Das Dienstwagenprivileg ist zugeschnitten auf qualitativ hochwertige, große und teure Autos, für deren Produktion Deutschland steht. Im Grunde wurde da einem erfolgreichen Wirtschaftszweig in der Bundesrepublik noch mal ein zusätzlicher Schub verliehen.

Bundesfinanzminister Christian Lindner möchte ja die Schuldengrenze einhalten. Und er möchte auch keine Steuern erhöhen, auch nicht für die oberen fünf oder zehn Prozent. Umso mehr müssten dem doch Ihre Vorschläge entgegenkommen. Wie ist das Echo?

Zunächst mal: Der Finanzminister interpretiert Subventionsabbau interessanterweise als Steuererhöhung. Das ist eine Perspektive, die ich nicht teile – in Übereinstimmung mit der OECD. Auch die G7-Länder haben sich bereits für einen Abbau der umweltschädlichen Subventionen ausgesprochen. Ich bin nicht generell gegen Subventionen. Aber wir sollten die Aktivitäten entlasten oder fördern, die uns dem Ziel der Klimaneutralität näherbringen. Aus unserer Sicht geht es insgesamt um einen Umbau öffentlicher Investitionen. Zur Schuldenbremse: Erstens ist Deutschland im G7-Kontext das am wenigsten verschuldete Land. Deshalb irritiert es nicht nur viele deutsche Expertinnen und Experten, sondern auch ausländische Ökonominnen und Ökonomen, dass Deutschland hier ein fiskalpolitisches Problem generiert, das sich im Vergleich zu anderen führenden Industrieländern als ein handhabbares zeigt. Viele Ökonominnen und Ökonomen – dazu gehört auch das Gremium der fünf Wirtschaftsweisen, das vor Kurzem ein Papier in diese Richtung vorgelegt hat – plädieren dafür, die Schuldenbremse aus der Investitionsperspektive flexibler zu gestalten und neu auszurichten. Dem würde ich mich anschließen. Und es gibt auch Ökonominnen und Ökonomen sowie auch Unternehmen, die sich für Klimaschutz einsetzen und einfordern, dass wir ein Sondervermögen auflegen sollten, um unsere Klimaziele erreichen zu können. Dem würde ich ebenfalls zustimmen.

Ich glaube, es geht Christian Lindner vor allen Dingen darum, sein Gesicht zu wahren. Wenn irgendwas für irgendjemanden teurer wird, dann sind das für ihn Steuererhöhungen. Und dann kommt die Bildzeitung und titelt, die Grünen machen wieder irgendwas teurer.

Man muss zeigen, was man mit dem Geld stattdessen erreichen könnte, und dann versuchen zu überzeugen. 80 bis 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger vertreten die Meinung, dass die Klimaneutralität rasch vorangebracht werden müsste – trotz all der Krisen, die wir durchleben.

Zur Person

Der international renommierte Nachhaltigkeitsforscher Prof. Dr. Dirk Messner übernahm zum 1. Januar 2020 das Amt des ⁠UBA⁠-Präsidenten. Zuvor war er Direktor des "Institute for Environment and Human Security" an der Universität der Vereinten Nationen in Bonn und Ko-Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) der Bundesregierung.  (red)

Ja, im Allgemeinen ist die Bevölkerung für Klimaschutz. Aber in derselben Umfrage sagen die Leute auch, dass sie keine CO2-Abgabe bezahlen wollen.

80 bis 90 Prozent der Menschen, die sagen, Klimaneutralität ist ein wichtiges Ziel, ist doch ein Fundament, auf dem wir aufbauen können. Der zweite wichtige Punkt ist: 40 Prozent – das muss uns natürlich hellhörig machen – sind davon überzeugt, dass die Transformation ihre ökonomische und soziale Situation verschlechtern wird. Das sind soziale Abstiegsängste. 40 Prozent sind sehr viel. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Transformation sozial gerecht gestalten. Die Menschen wollen, dass es fair zugeht. Unsicherheit ist ein weiteres großes Thema – wo soll das alles eigentlich hingehen? Und das ist wiederum eine Frage von Kommunikation. Ich weiß, dass das ein bisschen naiv klingt, aber ich traue mich jetzt mal, das zu formulieren: Ich wünsche mir, dass es zur Klimaneutralität einen Pakt der Demokraten gäbe. Dieses gesellschaftliche Ziel wird momentan von vielerlei Seiten in Frage gestellt oder relativiert. Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen machen sich Sorgen, dass es heute in die eine Richtung geht, morgen in die andere Richtung. Wir müssen die Unsicherheit reduzieren. Das wäre für wirtschaftliche Entwicklung und auch für soziale Stabilität wichtig.

Natürlich sind wir uns einig, dass man ärmere Leute nicht sitzen lassen kann. Aber Strom und Gaspreisbremse und auch ein Klimageld für alle: Ist das nicht einfach eine Maßnahme, die auch kontraproduktiv ist? Sie regt ja nicht an zum Sparen von Energie?

Die Idee des Klimageldes ist, dass es die CO2-Bepreisung ausgleicht und zu einer Entlastung der Bürgerinnen und Bürger beiträgt. Wir wollen die Menschen nicht schröpfen für den Klimaschutz. Wir wollen durch die CO2-Bepreisung eine Lenkungswirkung erreichen. Deswegen finde ich das Klimageld vernünftig. Damit würden auch diejenigen, die weniger emittieren, also eher die unteren Einkommensschichten, mehr profitieren als die oberen Einkommensschichten. Wir sollten beim Klimageld jedoch nicht stehen bleiben. Wir haben einige Millionen Haushalte in Deutschland mit Menschen jenseits der 65 mit einer niedrigen Rente. Sie wohnen oft in älteren Häusern, mit alten Heizungen, die schlecht isoliert sind. Diese Menschen sind davon ausgegangen, dass ihre Häuser ihre Altersvorsorge sind. Die machen sich jetzt Sorgen, ihr Haus klimaneutral mit hohen Kosten umrüsten zu müssen, und diese Sorgen sind nicht ungerechtfertigt. Entsprechende Förderung auf diese vulnerablen Gruppen zu konzentrieren, scheint mir besser zu sein, als Förderungen mit der Gießkanne zu verteilen.

Wer mehr zahlen muss, ist verärgert. Was halten Sie von den Bauerndemos?

Die Bauern haben an zwei Punkten recht. In der Landwirtschaftspolitik ging es, wenn Sie sich die letzten 20, 30 Jahre angucken, oft hin und her. Alle paar Jahre gab es neue Auflagen in die eine oder die andere Richtung. Das macht Investition und Planung sehr schwierig. Dass die Bauern darauf hinweisen, kann ich gut nachvollziehen. Womit sie auch recht haben, ist, dass die Regelungen häufig sehr kompliziert und detailliert sind. Gleichzeitig entstehen im landwirtschaftlichen Sektor auch Umweltprobleme. Ungefähr 25 Prozent der Treibhausgasemissionen weltweit und um die 14 Prozent in Deutschland sind mit dem landwirtschaftlichen Sektor verbunden. Dabei sind die landwirtschaftlichen Betriebe auch selbst direkt vom Klimawandel betroffen. Die gute Nachricht ist: Wir haben die Ergebnisse der Borchert-Kommission, die sich mit der Tierhaltungsproblematik beschäftigt und gute Ergebnisse erarbeitet hat. Die Zukunftskommission Landwirtschaft hat erstaunliche Kompromisse zwischen Landwirtschaft, Bauernverbänden, Umweltverbänden und der Wissenschaft zustande gebracht. Die sollten jetzt umgesetzt werden und gewissermaßen das Drehbuch für die Veränderungen bilden.

Die Wissenschaft, Umfragen, sogar die Industrie fordern ähnliche Dinge wie Sie jetzt gerade mit dem Einsparen oder Vermeiden von klimaschädlichen Subventionen. Und auch in der Justiz findet das Anklang. Wir hatten nicht nur das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Regierung mahnt, mehr für den Klimaschutz zu tun. Es gab kürzlich auch vom Oberlandesgericht Berlin ein Urteil in die gleiche Richtung. Haben Sie Hoffnung, dass Ihre Forderung von der Regierung erhört wird?

Ich war 2020/21 sehr optimistisch. Damals gab es das Bundesverfassungsgerichtsurteil, das Sie gerade angesprochen haben. Die Ampel kam an die Regierung und legte ein ambitioniertes Klimaschutzprogramm vor. Wir hatten Fridays for Future auf der Straße und auf EU-Ebene den European Green Deal. Klimaschutz und Umweltverträglichkeit nahmen Fahrt auf. Von diesem Pfad sind wir abgewichen. Wirtschaft und Gesellschaft sind irritiert durch neue Krisen, die uns das Leben schwer machen. Der Krieg in der Ukraine, der Nahostkonflikt, Inflation – das lenkt ab von Klimaschutz und grüner Transformation. Da muss man Durchhaltevermögen mobilisieren. Die Transformation ist keine einfache Angelegenheit. Da müssen sich viele Akteure anstrengen. Wir erleben jetzt Widerstände von denjenigen, die den Eindruck haben, dass ihnen alles zu schnell geht. Wir brauchen deswegen eine erneute Versicherung der demokratischen Parteien, dass die klimaneutrale Transformation keine Sonntagsreden-Veranstaltung ist, sondern die Lebensversicherung für die folgenden Generationen auf diesem Planeten. Das ist aus manchen Köpfen wieder verschwunden und muss erneut befestigt werden.

Man darf niemanden alleine lassen, weder den kleinen Bürger noch die Industrie. Aber ist es nicht auch ökonomisch vernünftig, heute vielleicht 100 Milliarden Schulden zu machen? Denn um das gleiche Ziel zu erreichen, müsste ich morgen wahrscheinlich 200 Milliarden in die Hand nehmen.

Nicht zu handeln ist die teuerste Option. Alle Studien auf nationaler, europäischer und auch globaler Ebene besagen, dass Investitionen in die Transformation zur Klimaneutralität in jedem Fall billiger sind als die Kosten, die wir zu erwarten haben, wenn wir nichts ändern. Nicht zu handeln ist die teuerste Option. Hätten wir vor 20 Jahren ambitionierter damit angefangen, wäre es uns billiger gekommen, als es heute der Fall ist. Wir müssen jetzt anspruchsvoll sein. Klimaschutz ist das Gebot der Stunde. Ansonsten schließt sich die Tür, um gefährlichen Klimawandel noch wirksam begrenzen zu können.

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