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"non nobis" von Werner Sobek

"Dann können Sie nicht mehr schlafen"

"non nobis" von Werner Sobek: "Dann können Sie nicht mehr schlafen"
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In seiner Buch-Trilogie "non nobis" versucht der Architekt Werner Sobek herauszuarbeiten, welche Möglichkeiten es noch gibt, den globalen Klimawandel in Grenzen zu halten. Er konzentriert sich auf den größten Emittenten, sein Fachgebiet: das Bauwesen.

"Ich habe immer über die Professor:innen gefrotzelt, die am Ende ihrer Laufbahn, wenn sie nichts mehr zu tun haben, ein Buch schreiben", bemerkt Werner Sobek, der nun genau das getan hat. Und nicht nur eines, sondern gleich drei. Das kam so: In der Corona-Zeit hatte er bereits, wie er meinte, den letzten Aufsatz seiner Karriere geschrieben. Da fiel ihm auf, dass eine Zahl nicht stimmen konnte: Das Bauwesen sei verantwortlich für 39 Prozent der weltweit vom Menschen verursachten Emissionen.

Die Zahl kam von der Internationalen Energieagentur (IEA). Aber die Berechnungsgrundlage war unvollständig. Alles mitgerechnet – Transporte, Tiefbau und Infrastrukturbauten bis hin zur Deponie – kam Sobek auf 53 Prozent: mehr als die Hälfte aller vom Menschen verursachten Emissionen. Am Ende gab ihm die IEA recht. "Da dachte ich: Wenn eine so wichtige Zahl, tausendfach zitiert, offensichtlich ungeprüft, nicht stimmt, was stimmt dann an diesem ganzen Gebilde – nachhaltiges Bauen, weltweite Emissionen, anthropogene Emissionen – sonst noch nicht?", sagt Sobek.

Von seinem Büro im neunten Stock des runden Hochhausturms an der B 27 fällt der Blick auf ein großartiges Panorama, den Stadtteil Degerloch und die gesamte Filderebene. Doch wenn der emeritierte Leichtbau-Professor, Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), erzählt, wird der Ausblick zur Nebensache. Zu viele Dinge hat er zu sagen, die volle Aufmerksamkeit verlangen.

Er stieß auf immer mehr Widersprüche. "Das schreibe ich jetzt auf für meine Doktorand:innen", dachte er sich. Aus 30 Seiten wurden 40, auf einmal waren es 80. Er besprach sich mit Frank Heinlein, seinem langjährigen Mitarbeiter und "intellektuellen Sparringspartner", der meinte: "Sie müssen ein Buch schreiben." Und dieser zog schließlich die Verlegerin Petra Kiedaisch mit hinzu, die – wie Heinlein – Vorstandsmitglied im von Sobek gegründeten Verein aed (architecture engineering design) ist.

Der Politik und der Gesellschaft fehlt es an Wissen

Die Buch-Trilogie trägt den Titel "non nobis": "Nicht für uns" sollten wir bauen, heißt das, sondern an die zukünftigen Generationen denken. Und sie versucht zu zeigen, wie zukunftsfähiges Bauen funktionieren könnte. Im ersten Band geht es um den Ist-Zustand: Baustoffe, Emissionen und so weiter. Der zweite untersucht die "Handlungskorridore", die uns noch bleiben, um den Klimawandel in erträglichen Grenzen zu halten. Die Bücher sind voller Daten, Zahlen, Diagrammen und Tabellen. Doch sie sehen ganz anders aus, als man es von solchen Büchern gewohnt ist: comicartig bunt, wie die Pop-Art von Roy Lichtenstein. Das Design stammt vom Stuttgarter Grafikdesigner Andreas Uebele.

Sind es Lehrbücher oder Nachschlagewerke? Für wen sind sie geschrieben? "Für ein breites Publikum", sagt der Architekt und Bauingenieur, der um einen allgemein verständlichen Stil bemüht ist. Fachbegriffe kommen vor, werden aber erläutert. Ganz anders als das Fachchinesisch vieler wissenschaftlicher Publikationen. Seit seiner Emeritierung mache er eineinhalb Tage pro Woche Politikberatung, erklärt Sobek: "pro bono", also umsonst. Das betrachtet er als seine staatsbürgerliche Pflicht: "Wer über ein gewisses Wissen verfügt, sollte es den Entscheidungsträgern zur Verfügung stellen." Dabei bemerke er bisweilen eklatante Wissensmängel: in der Politik wie in der Bevölkerung, und auch bei seinen Studierenden.

"Wenn wir beide jetzt rausgehen würden auf den Marktplatz", erklärt Sobek, "und die Leute fragen: Warum dieses 1,5-Grad-Ziel im Pariser Klimaschutzabkommen und nicht 2,7, dann kann es Ihnen eigentlich niemand sagen." Es liegt nicht an den schmelzenden Gletschern oder am steigenden Meeresspiegel, sondern an der globalen Ernährungssicherheit. "Wenn Sie wissen", so Sobek, "wie die Zusammenhänge sind zwischen einer temporären Erwärmung in einer bestimmten Region und dem potenziellen Einbruch des Ernteertrages: Dann können Sie nicht mehr schlafen."

Es gibt noch andere Dinge, die einem den Schlaf rauben können. Sobek spricht die auftauenden Permafrostböden in Nordostsibirien an, wo die Temperaturen doppelt so stark gestiegen sind wie in Mitteleuropa. Wenn der dort im Boden gelagerte Kohlenstoff sich in klimaschädliche Gase verwandelt und diese in die Atmosphäre gelangen, könnten sich alle anderen Bemühungen, den Klimawandel einzudämmen, als unerheblich erweisen.

Geografisch und thematisch breites Spektrum

Sobek springt im Gespräch von den Ursachen des Kriegs in der Ukraine zum Problem seiner Schwiegereltern, die sich in ihrer Einfamilienhaussiedlung in Erlangen nicht mehr wohlfühlen. Beides hängt mit dem 1,5-Grad-Ziel zusammen. Auf Erlangen kommt Sobek, weil in der Siedlung – wie in vielen älteren Einfamilienhausgebieten – jedes dritte Haus leer steht. So könnte es bald auch in Teilen Spaniens aussehen, wenn es zu Ernteeinbrüchen kommt und die Landwirte in Südschweden ihr Glück versuchen. Wo jetzt schon Wein angebaut wird.

Die ukrainischen Schwarzerdeböden, stellt Sobek fest, seien die wertvollsten Ackerböden der Welt. Bei der Suche nach den Preisen für Büroimmobilien in Kiew habe er nebenbei herausgefunden, dass ein Gesetz, durch mehrere Volksentscheide bestätigt, den Verkauf an Ausländer:innen verbietet. Aber amerikanische und schweizerische Fonds haben bereits einen erheblichen Teil gepachtet. Nun bemüht sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj um einen 30-Milliarden-Kredit des Internationalen Währungsfonds.

"Ich bin Argentinien-Kenner", konstatiert Sobek und bezieht sich damit auf die Wirtschaftskrise, die sogenannte Argentinien-Krise, um 2000. "Selenskyj wird seinen Kredit bekommen – unter den üblichen Auflagen: Man muss Handelshemmnisse abbauen, ausländische Industrien reinlassen und, ganz klar, den Agrarmarkt öffnen. Das bedeutet die Abschaffung dieses Gesetzes." Bei global 25 Prozent Bevölkerungszuwachs innerhalb einer Generation und zugleich dramatischen Ernteeinbrüchen wird die Kornkammer Ukraine immer wichtiger. Und damit profitabler. Sobek spricht auch von Land Grabbing.

Geografisch und thematisch beschäftigt sich der Architekt mit einem breiten Spektrum. Und auch wenn es im Kern seiner drei Bücher um Baustoffe und Emissionen, um Energieverbrauch und Abfälle, die zu mehr als 50 Prozent aus dem Bauwesen stammen, geht, bleibt der Professor emeritus dabei nicht stehen.

"Ich dachte mir", so beschreibt er die Idee der Trilogie, "ich schreibe ein Buch, wissenschaftlich korrekt, das zum ersten Mal überhaupt Aspekte aus der Forstwirtschaft, aus dem Bauwesen, aus der Mobilität, der Ozeanografie und anderen Bereichen so miteinander verflicht, dass man die Möglichkeit hat, das Ganze zu verstehen." Darin steckt auch eine Kritik am Wissenschaftsbetrieb: an den Kolleg:innen, die, wie Sobek sagt, in tiefen Löchern nach Gold schürfen, aber oben nicht mehr herausschauen.

Die Endlichkeit der Rohstoffvorräte, die Emissionen, die Müllberge: Die wesentlichen Probleme, die Sobek anspricht, sind seit dem Bericht des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums vor gut 50 Jahren bekannt. Aber es hat sich nur wenig getan. Und wenn doch, dann mit überschaubarer Wirkung. "Man hat es tatsächlich geschafft, den Energiebedarf pro Quadratmeter Wohnfläche innerhalb von 40 Jahren zu halbieren", stellt der Bauingenieur fest. "In der gleichen Zeit hat sich aber die Wohnfläche pro Kopf verdoppelt: Der Bedarf pro Mensch blieb der gleiche." Ein Nullsummenspiel.

Bäume pflanzen für die Klimaziele

Woher nimmt er die Hoffnung, dass sich doch noch etwas ändern könnte? Sobek setzt auf Druck von unten – oder, wie er lieber sagt, nach oben. Wenn die Menschen die Probleme begriffen haben, setzen sie sich auch dafür ein, sie zu lösen. Das merkt er an den Reaktionen. "Ich könnte jeden Tag über das Thema reden: So groß ist der Bedarf. Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich für tolle Briefe kriege." Er befürwortet eine zielorientierte Gesetzgebung. Die Menschen sollen selbst entscheiden können, ob sie lieber dämmen oder Wärmepumpen einbauen.

Deutschland mag sich rühmen, beim Klimaschutz Fortschritte zu machen – während in Brasilien der Regenwald abgeholzt wird. Aber das eine hängt mit dem anderen zusammen. Auf den gerodeten Flächen wird Soja angebaut, das als Tierfutter auch in deutschen Ställen landet. Und es werden Rinder gezüchtet: für den Export. Eigentlich bräuchte es eine Art Weiterentwicklung der UNO, meint Sobek, die solche Probleme bearbeitet. Und einen Internationalen Umweltgerichtshof, der wie der Strafgerichtshof in Den Haag die Kompetenz hätte, die Verursacher von Schäden zu verurteilen.

Doch so dringend notwendig dies wäre: Manche Ziele lassen sich bis 2050 überhaupt nicht erreichen. Überall auf den Weltmeeren schippern riesige Kähne herum, die mit dreckigstem Schweröl betrieben werden. Es fehlt schlicht die Kapazität, die Maschinen alle zu ersetzen. Im Pariser Klimaschutzabkommen sind als Ausgleich für solche unvermeidlichen "residuellen Emissionen" Maßnahmen vorgesehen, die das CO2 wieder aus der Atmosphäre herausziehen. Mit technischen Mitteln, rechnet Sobek vor, wäre das unbezahlbar.

Wie soll das also gehen? "Nur mit Bäumen", sagt Sobek. "Wenn jeder Mensch pro Jahr zwei Bäume pflanzt, sind wir auf einem guten Weg." Die gute Nachricht: China pflanzt 700 Millionen Bäume pro Jahr. "Und wenn Äthiopien in einem Jahr 40 Millionen Bäume pflanzen kann", meint er, "dann sollte Deutschland 80 Millionen schaffen."

Im dritten Band, an dem er noch schreibt, soll es ums Grundsätzliche gehen: um eine nachhaltige Gesellschafts- und Wirtschafsordnung. In Sobeks Worten: "Welche gesellschaftliche Strukturform ist überhaupt in der Lage, die Probleme, die wir seit fünfzig Jahren unangegriffen lassen, zu lösen? Das ist ja schon politische Revolution."


Am kommenden Freitag, 15. März, spricht Werner Sobek mit dem Grafikdesigner Andreas Uebele über das Thema "Komplexität kommunizieren: das non nobis-Projekt". Beginn 19 Uhr, Anmeldung hier. Die drei Bände erscheinen im Verlag av edition. Näheres hier.

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7 Kommentare verfügbar

  • Notter
    am 19.03.2024
    Antworten
    Werner Sobek meinte 2010 im Stern ernsthaft, dass bei S21 keine Stümper am Werk seien.

    Wie soll man den einen Bahnhofsbau nennen, bei dem sich die Baukosten schon vor Eröffnung als Zwischenstand vervierfachten und dabei ein Bahnhof mit einer Gleisneigung von 16 Promille herauskommt, wo Züge …
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