"Vor diesem Hintergrund wird klar, dass wir eine Bauwende brauchen in Deutschland, aber auch international. Wir brauchen viel mehr nachwachsende Rohstoffe im Bauen, und das ganze am besten auch kreislauffähig", sagt Lewin Fricke. Er ist Pressesprecher bei Triqbriq. Gemeinsam mit Werner Grosse arbeiten er und das Team des jungen Start-ups an der Entwicklung und Verbreitung ihres Bausteinsystems. Seit November 2022 stellt das Unternehmen in serieller Eigenproduktion ihre sogenannten Briqs her, "die man sich vorstellen kann wie Ziegelsteine, aber eben aus Holz", erklärt Lewin Fricke.
Werner Grosse führt über das Gelände der alten Gärtnerei. Neben den moosbewachsenen Gewächshäusern stehen zwei Pferde auf einer Koppel, dahinter liegt ein charmantes Holzhaus. "Eine Reitschule, die ich vor Jahren gebaut habe, damals noch mit einer Art Palisadensystem", erzählt Werner Grosse. Schon immer sei er von Holz fasziniert gewesen, schon als Kind und später als Architekturstudent. Wie er auf die Idee mit dem Holzbaustein kam? Das sei das Produkt eines 20-jährigen Prozesses gewesen, aber "ein entscheidender Startpunkt war ein Urlaub 2011 in Schweden", sagt Grosse.
Bauen wie im Lego-Land – mit Holzbausteinen
In Skandinavien sieht er "viele schöne, dünne Bäume, zehn bis 12 Zentimeter dick. Perfektes Holz also, und ich habe mich gefragt: Warum macht man da nichts draus?" Er erfährt, dass die Bauindustrie dieses sogenannte Schad- bzw. Schwachholz nicht nutzt, denn für den Holzbau brauchen Bauunternehmen langes und dickes Holz. Dünn gewachsene Bäume werden höchstens für die Papiergewinnung geschreddert. "Und da habe ich mich gefragt, wie kann man diese Bäume und das Bauwesen verbinden?"
Noch auf der Rückfahrt nach Stuttgart fängt er an zu tüfteln. Von Anfang an ist für ihn klar: keine Chemikalien, keine Klebemittel, nur Holz. Wieder daheim, experimentiert er mit verschiedenen Formen und Verbindungsmöglichkeiten. Bis er auf die Idee kommt, einen Holzblock zu entwerfen, der durch Dübel zusammengehalten wird, die dreidimensional angeordnet sind. Das Ergebnis ist ein erster Vorläufer des heutigen Briq.
2021 kommen er und die Gründer von Triqbriq für ein Bauprojekt zusammen, gemeinsam soll mit dem Vorläufer-Modell der heutigen Holzbausteine gebaut werden. Das Projekt scheiterte an den behördlichen Vorgaben, doch der Kontakt war hergestellt. Zusammen gründen sie das heutige Start-up und entwickeln den wiederverwendbaren Baustein für den Rohbau weiter. "Wir können damit ein gigantisches Ressourcenlager schaffen, mit dem wir das Klimaproblem in der Baubranche angehen", sagt Lewin Fricke. Auch wenn bis heute der großflächige Praxistest für die Wiederverwendbarkeit fehlt, ist Lewin Fricke überzeugt, dass ihr System "revolutionär" ist. Schließlich nutzt das junge Unternehmen ausschließlich regionales Schadholz.
BUND kritisiert: Eingriff ins Wald-Ökosystem
Nicht nur findige Start-ups entdecken Holz (wieder) für sich. Seit 2018 setzt auch Baden-Württemberg mit der "Holzbau-Initiative" auf den nachwachsenden Rohstoff. Bis 2040 soll das Land Klimaneutralität erreichen; dem Holzbau kommt dabei eine Schlüsselfunktion zu. Durch finanzielle Förderungen und vereinfachte Baubedingungen will die Landesregierung zudem das Bauwesen in Richtung nachhaltigem Holzbau transformieren. Allein 2021 wurden 620 Holzbauten gefördert, unter anderem Leuchtturmprojekte wie das "Buggi52" in Freiburg oder das "SKAIO" in Heilbronn. Auf Anfrage betont das Landwirtschaftsministerium, dass auch Schadholz vermehrt in den Bau eingeführt werden soll, schließlich gäbe es davon genug. 2022 fiel in baden-württembergischen Wäldern rund 2,8 Millionen Kubikmeter Schadholz an, das laut Ministerium auch für den Bau geeignet wäre.
Doch nicht alle sind so euphorisch. Christoph Schramm ist Referent beim BUND Baden-Württemberg. Der Mann, der Internationale Waldwirtschaft studiert hat, ist skeptisch, was die massenhafte Verwendung von Holz angeht. "Werden geschädigte Waldflächen großräumig geräumt, bleibt oft nichts zurück außer Fahrspuren. Der Boden ist dann so geschädigt, dass es für die nächste Waldgeneration umso schwieriger wird, auf dieser Fläche zu wachsen", kritisiert der Umweltschützer. Dabei, betont er, komme es natürlich immer auf "das Wie und das Wieviel" an. Denn jeder gefällte Baum ist ein Eingriff in das Wald-Ökosystem, das dadurch "außer Kraft gesetzt" werde, so Schramm. "Gleiches gilt für das Entfernen von Schad- und Schwachholz, denn es bietet unzähligen Tieren, Pflanzen und Pilzen einen Lebensraum und erfüllt viele weitere Ökosystem-Dienstleistungen, zum Beispiel Wasserspeicherung." Gerade mit Blick auf wachsende Trockenheit und Sturmgefahr durch den Klimawandel ist Schadholz wichtig für das Überleben des Waldes.
Günstige Alternative auch im sozialen Wohnungsbau
Und eine weitere Frage steht im Raum: Wie teuer wäre denn eine großflächige Nutzung von Schadholz? Im Gespräch mit Kontext erklärt Lewin Fricke, dass das kleine Start-up preislich mit herkömmlichen Herstellern von Betonbauten konkurrieren könne. Eine genaue Zahl, wie teuer ein Rohbau konkret ist, möchte er nicht nennen. Auf ihrer Website findet sich ein Hinweis. Dort bietet das Unternehmen Testbausteine zum Verkauf an. Laut eigenen Angaben benötigt man fünfeinhalb dieser Test-Briqs, um daraus einen Quadratmeter Wand zu bauen. Kosten pro Stein: 49,90 Euro, ergibt rund 277 Euro pro Quadratmeter. Zum Vergleich: Gängige Heimwerkerportale rechnen bei Wänden aus Beton zwischen 200 und 300 Euro pro Quadratmeter.
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