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Klimaneutrales Bauen mit Holz

Another Briq in the wall

Klimaneutrales Bauen mit Holz: Another Briq in the wall
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Kaum etwas ist so klimaschädlich wie Beton, Stahl und Zement. Trotzdem wird fleißig mit den Klimasündern gebaut. Ein Tübinger Start-up will das ändern: mit einem Steckbausteinsystem aus ungenutztem, regionalem Schadholz.

Der Himmel ist grau verhangen, im Hintergrund rauschen die Autos über die asphaltierte Bundesstraße. In die Jahre gekommene Häuser und brachiale Betonbauten prägen diese Ecke in Stuttgart-Weilimdorf. Der Architekt Werner Grosse wartet am Ende einer Sackgasse, hinter ihm führt ein matschiger Weg auf eine Baustelle. Sein Auftrag: Er soll ein großes Einfamilienhaus renovieren, möglichst umweltfreundlich, möglichst mit Holz. Das Anwesen gehört zu einer Gärtnerei, alte Gewächshäuser und ein weitläufiges Grundstück erinnern noch daran.

Über einen aufgebaggerten Hang führt Werner Grosse zur Rückseite des Hauses, hier entsteht das Herzstück seiner Arbeit. Von außen erkennt man einen Anbau, holzverkleidet und gestützt durch zwei Betonpfeiler. Doch unter dem Putz verbirgt sich das, was Werner Grosse und das Tübinger Start-up Triqbriq (sprich: Trikbrik) als eine "Revolution des Bauwesens" bezeichnen. Ein Rohbau, komplett errichtet aus zusammengesteckten Holzbausteinen aus nachhaltigem Schadholz. Ohne Zement, ohne Kleber, komplett recyclebar – und wiederverwendbar. Damit planen Werner Grosse und das junge Unternehmen nicht weniger, als die Bauindustrie komplett zu verändern.

Denn die setzt nach wie vor hauptsächlich auf Stahl, Beton und Zement. Laut der Architektenkammer Baden-Württemberg haftete Holz als Baustoff "nach den Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg mit seinen stadtzerstörenden Feuerstürmen ein negatives Image an". Dadurch wurde in der Nachkriegszeit vor allem mit kostengünstigem Beton, Stahl und Zement gebaut, obwohl sie in ihrer Herstellung besonders klimaschädlich sind. Doch die Kritik an den Baustoffen wächst.

Die Idee entstand bei einer Schwedenreise

Christine Lemaitre ist Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen. Sie beobachtet, dass die Menschen Beton und Zement immer negativer betrachten. "Wäre Zement ein Land, wäre es verantwortlich für acht Prozent des globalen CO2-Ausstoßes", so die Stuttgarter Bauingenieurin. Damit hätte es einen höheren CO2-Ausstoß als Deutschland, Japan, Kanada und Brasilien zusammen. Laut dem UN-Klimaschutzreport 2022 wuchs der Anteil des Gebäude- und Bausektors 2022 am weltweiten CO2-Ausstoß um fünf Prozent an. Rechnet man die CO2-Emissionen aus der Herstellung all dieser Baumaterialien zusammen, macht alleine der Gebäudesektor rund 37 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes aus. Damit stellt die weltweite Bauindustrie selbst China in den Schatten. Außerdem gehen laut dem Landwirtschaftsministerium Baden-Württemberg 50 Prozent des gesamten Müllaufkommens in Deutschland auf das Konto des Bausektors, da Stahl, Beton und Zement als Sondermüll behandelt werden.

"Vor diesem Hintergrund wird klar, dass wir eine Bauwende brauchen in Deutschland, aber auch international. Wir brauchen viel mehr nachwachsende Rohstoffe im Bauen, und das ganze am besten auch kreislauffähig", sagt Lewin Fricke. Er ist Pressesprecher bei Triqbriq. Gemeinsam mit Werner Grosse arbeiten er und das Team des jungen Start-ups an der Entwicklung und Verbreitung ihres Bausteinsystems. Seit November 2022 stellt das Unternehmen in serieller Eigenproduktion ihre sogenannten Briqs her, "die man sich vorstellen kann wie Ziegelsteine, aber eben aus Holz", erklärt Lewin Fricke.

Werner Grosse führt über das Gelände der alten Gärtnerei. Neben den moosbewachsenen Gewächshäusern stehen zwei Pferde auf einer Koppel, dahinter liegt ein charmantes Holzhaus. "Eine Reitschule, die ich vor Jahren gebaut habe, damals noch mit einer Art Palisadensystem", erzählt Werner Grosse. Schon immer sei er von Holz fasziniert gewesen, schon als Kind und später als Architekturstudent. Wie er auf die Idee mit dem Holzbaustein kam? Das sei das Produkt eines 20-jährigen Prozesses gewesen, aber "ein entscheidender Startpunkt war ein Urlaub 2011 in Schweden", sagt Grosse.

Bauen wie im Lego-Land – mit Holzbausteinen

In Skandinavien sieht er "viele schöne, dünne Bäume, zehn bis 12 Zentimeter dick. Perfektes Holz also, und ich habe mich gefragt: Warum macht man da nichts draus?" Er erfährt, dass die Bauindustrie dieses sogenannte Schad- bzw. Schwachholz nicht nutzt, denn für den Holzbau brauchen Bauunternehmen langes und dickes Holz. Dünn gewachsene Bäume werden höchstens für die Papiergewinnung geschreddert. "Und da habe ich mich gefragt, wie kann man diese Bäume und das Bauwesen verbinden?"

Noch auf der Rückfahrt nach Stuttgart fängt er an zu tüfteln. Von Anfang an ist für ihn klar: keine Chemikalien, keine Klebemittel, nur Holz. Wieder daheim, experimentiert er mit verschiedenen Formen und Verbindungsmöglichkeiten. Bis er auf die Idee kommt, einen Holzblock zu entwerfen, der durch Dübel zusammengehalten wird, die dreidimensional angeordnet sind. Das Ergebnis ist ein erster Vorläufer des heutigen Briq.

2021 kommen er und die Gründer von Triqbriq für ein Bauprojekt zusammen, gemeinsam soll mit dem Vorläufer-Modell der heutigen Holzbausteine gebaut werden. Das Projekt scheiterte an den behördlichen Vorgaben, doch der Kontakt war hergestellt. Zusammen gründen sie das heutige Start-up und entwickeln den wiederverwendbaren Baustein für den Rohbau weiter. "Wir können damit ein gigantisches Ressourcenlager schaffen, mit dem wir das Klimaproblem in der Baubranche angehen", sagt Lewin Fricke. Auch wenn bis heute der großflächige Praxistest für die Wiederverwendbarkeit fehlt, ist Lewin Fricke überzeugt, dass ihr System "revolutionär" ist. Schließlich nutzt das junge Unternehmen ausschließlich regionales Schadholz.

BUND kritisiert: Eingriff ins Wald-Ökosystem

Nicht nur findige Start-ups entdecken Holz (wieder) für sich. Seit 2018 setzt auch Baden-Württemberg mit der "Holzbau-Initiative" auf den nachwachsenden Rohstoff. Bis 2040 soll das Land Klimaneutralität erreichen; dem Holzbau kommt dabei eine Schlüsselfunktion zu. Durch finanzielle Förderungen und vereinfachte Baubedingungen will die Landesregierung zudem das Bauwesen in Richtung nachhaltigem Holzbau transformieren. Allein 2021 wurden 620 Holzbauten gefördert, unter anderem Leuchtturmprojekte wie das "Buggi52" in Freiburg oder das "SKAIO" in Heilbronn. Auf Anfrage betont das Landwirtschaftsministerium, dass auch Schadholz vermehrt in den Bau eingeführt werden soll, schließlich gäbe es davon genug. 2022 fiel in baden-württembergischen Wäldern rund 2,8 Millionen Kubikmeter Schadholz an, das laut Ministerium auch für den Bau geeignet wäre.

Doch nicht alle sind so euphorisch. Christoph Schramm ist Referent beim BUND Baden-Württemberg. Der Mann, der Internationale Waldwirtschaft studiert hat, ist skeptisch, was die massenhafte Verwendung von Holz angeht. "Werden geschädigte Waldflächen großräumig geräumt, bleibt oft nichts zurück außer Fahrspuren. Der Boden ist dann so geschädigt, dass es für die nächste Waldgeneration umso schwieriger wird, auf dieser Fläche zu wachsen", kritisiert der Umweltschützer. Dabei, betont er, komme es natürlich immer auf "das Wie und das Wieviel" an. Denn jeder gefällte Baum ist ein Eingriff in das Wald-Ökosystem, das dadurch "außer Kraft gesetzt" werde, so Schramm. "Gleiches gilt für das Entfernen von Schad- und Schwachholz, denn es bietet unzähligen Tieren, Pflanzen und Pilzen einen Lebensraum und erfüllt viele weitere Ökosystem-Dienstleistungen, zum Beispiel Wasserspeicherung." Gerade mit Blick auf wachsende Trockenheit und Sturmgefahr durch den Klimawandel ist Schadholz wichtig für das Überleben des Waldes.

Günstige Alternative auch im sozialen Wohnungsbau

Und eine weitere Frage steht im Raum: Wie teuer wäre denn eine großflächige Nutzung von Schadholz? Im Gespräch mit Kontext erklärt Lewin Fricke, dass das kleine Start-up preislich mit herkömmlichen Herstellern von Betonbauten konkurrieren könne. Eine genaue Zahl, wie teuer ein Rohbau konkret ist, möchte er nicht nennen. Auf ihrer Website findet sich ein Hinweis. Dort bietet das Unternehmen Testbausteine zum Verkauf an. Laut eigenen Angaben benötigt man fünfeinhalb dieser Test-Briqs, um daraus einen Quadratmeter Wand zu bauen. Kosten pro Stein: 49,90 Euro, ergibt rund 277 Euro pro Quadratmeter. Zum Vergleich: Gängige Heimwerkerportale rechnen bei Wänden aus Beton zwischen 200 und 300 Euro pro Quadratmeter.

Langfristig wollen die Tübinger vor allem im urbanen Raum mitmischen, gerne im sozialen Wohnungsbau. Denn von den 100.000 geplanten Sozialwohnungen der Bundesregierung wurden bisher gerade einmal 20.000 gebaut. Gerade hier sieht das Unternehmen seine Chance, preiswert und nachhaltig. "Außerdem ist Holz mit Blick auf die Temperaturen auch sehr angenehm", so Fricke, da es Wärme gut speichert und sich selbst reguliert. Für Christine Lemaitre wäre Holz im sozialen Wohnungsbau deshalb empfehlenswert, da man "mit Holz eine hohe Fertigung realisieren kann, und das sehr schnell, was sich positiv auf die Kosten auswirkt", so die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen. Noch hat das Start-up nur eine Bauzulassung für zwei Stockwerke, es werde aber geprüft, ob bis zu acht Stockwerke möglich sind.

Werner Grosse führt in den Innenraum des Anbaus. Die Wände sind mit Lehm verputzt, auf dem Boden sind moderne Dielen verlegt, die schwache Januarsonne scheint durch die neuen Fenster. Der Raum wirkt beruhigend, auch Werner Grosse scheint entspannter zu sein. "Holz ist unheimlich gut fürs Raumklima", sagt der Architekt und lächelt.


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