Alexander Salomon, der Karlsruher Grüne vom linken Flügel seiner Partei, will eines verhindern: dass die beinahe 900 Seiten Abschlussbericht in irgendwelchen Ministeriums- und Verwaltungsschubladen zuerst zwischen- und dann endgelagert werden. In 22 öffentlichen Sitzungen hat die Enquetekommission "Krisenfeste Gesellschaft" 136 Sachverständige angehört und Konzepte zur gesteigerten Resilienz in schwierigen Zeiten entwickelt. Alle Einzelheiten sind breit dokumentiert, einerseits, um Verschwörungstheorien rund um die aus der Pandemie zu ziehenden Konsequenzen den Boden zu entziehen. Und andererseits, um Entscheider:innen und Betroffene über die notwendigen Veränderungen zu informieren – etwa bei der Katastrophenschutzplanung oder der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit oder zur Erarbeitung einer "HiAP-Strategie" (Health in All Policies) unter "Berücksichtigung verschiedener Themen von herausragender Bedeutung für die Gesundheit". Konkret genannt sind Klimawandel und die Reduzierung sozialer Ungleichheit.
Eine Zahl steht für eine der ungezählten Herausforderungen: Gegenwärtig fließen 96 Prozent der Gelder im Gesundheitswesen in Kuration, also die Wiederherstellung von Patienten, und nur vier Prozent in Prävention. "Investitionen in Prävention stellen aber Investitionen in die Zukunft dar", erläutert Birgit Walter-Frank, die Leiterin des Tübinger Gesundheitsamts. Eine besonders wichtige Zielgruppe seien Kinder und Jugendliche, weil im Schulunterricht viel praktisches Wissen vermittelt werden könne, das durch die Kinder auch deren Eltern erreiche. Ziel müsse sein, "eine gewisse Zahl" von Erkrankungen, etwa Adipositas, Diabetes mellitus oder Demenz, ganz zu vermeiden.
Unvermeidlich dagegen ist, dass mit der Erderwärmung die Zahl der Hitzetage in ganz Baden-Württemberg immer weiter steigen wird. Andreas Christen, Umweltmeteorologe an der Uni Freiburg, untersuchte die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels anhand des Beispiels ansteigender Mortalität durch Hitzebelastung. Seine Forderungen: Weil sich in Städten die dicht bebaute Umgebung nachts weniger abkühlt, müsse die "blaue Infrastruktur", also die Kaltluftbahnen, ausgebaut, Begrünungen erhalten und erweitert werden.
Wissenschaftlich Sinnvolles als Ideologie diskreditiert
Dabei könnte Baden-Württemberg deutlich weiter sein. Grün-Rot hatte sich 2014 mit einer Änderung der Landesbauordnung auf den Weg gemacht und einen Entrüstungssturm ausgelöst, obwohl deren Sinnhaftigkeit schon damals wissenschaftlich völlig unstrittig war. Der Eigentumsverein "Haus und Grund" kritisierte die "ideologiegetriebene Reform". Winfried Mack, damals CDU-Fraktionsvize im Landtag, sprach von einem "Griff in die obrigkeitsstaatliche grüne Mottenkiste" und zitierte genüsslich die Springer-Presse, die die so wichtige Maßnahme zur Anpassung an den Klimawandel als "absurde Efeunovelle" diskreditierte. Noch Jahre später wetterte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke gegen den "Unsinn mit der Dachbegrünung". In der Enquete nennen Sachverständige die Begrünung dagegen geboten, um der Hitzebelastung zu begegnen. "Auf politischer Ebene sind gesamtgesellschaftliche Aktionspläne relevant", erklärt der Freiburger Professor.
Mannheim hat bereits einen Aktionsplan, ebenso der Landkreis Ludwigsburg, Stuttgart legte eben erst unter dem Motto "Sommer, Sonne, Schwitzen" eine interaktive Karte kühler Orte an. Auf dem Bismarckplatz im Stuttgarter Westen stehen jetzt weithin sichtbare gelbe, schattenspendende Schirme, Stadteilbibliotheken werden als Cool-Spots zum Verweilen angeboten, auch die Kneipp-Anlage in Botnang oder der "Schlossgarten mit vielen Bäumen" sind eine Empfehlung für heiße Tage. Der Enquete wird das bei Weitem nicht reichen, denn die sieht den Klimawandel "als bedeutende Gesundheitsgefahr für die Menschen in Baden-Württemberg" und verlangt, "das Thema Hitze in den Fokus zu nehmen, weil Hitze schon jetzt als konkrete Beeinträchtigung erlebbar ist und das Ziel der Entwicklung einer hitzeresilienten Gesellschaft drängt".
Insgesamt kommen im Abschlussbericht fast 900 Mal "soll" und "sollen" vor, vom "müssen" ist sehr viel seltener die Rede. Teuer wäre die Umsetzung zentraler Empfehlungen dennoch, etwa wenn es unter dem Stichwort "Krisenfall" heißt, die Kommunikation mit der Bevölkerung sei unerlässlich, um größeren Schaden abzuwenden. Die Mitteilungen müssten "vertrauensvoll, vermittelnd, einfach verständlich, barrierefrei und redundant sowie mehrsprachig" sein.
MP: Männer sollen schwitzen, Frauen gebären
Der Landtag hat den Abschlussbericht bereits diskutiert und der Ministerpräsident höchstpersönlich die Latte für etwaige Umsetzungen überaus hoch gelegt, denn "Geld ist grundsätzlich ein begrenzender Faktor", erläutert Winfried Kretschmann (Grüne), "Ende der Durchsage." Was folgte, nennt er selber einen sehr großen Bogen. Seit der Vertreibung aus dem Paradies lebe der sterbliche Mensch unter Knappheiten, "und, wie es in der Schrift heißt, er muss im Schweiße seine Angesichts den Acker pflügen und die Frau ihre Kinder gebären". Keine Rede hingegen davon, dass der Kampf gegen die Erderwärmung eine Menschheitsaufgabe sei und Baden-Württemberg deshalb in den laufenden Haushaltsberatungen Prioritäten setzen würde, um den Erkenntnissen und Appellen der Enquetekommission gerecht zu werden.
1 Kommentar verfügbar
ehem. Korntalerin, noch immer bibelfest
am 26.07.2024Der MP hat danebengeschossen. Abgesehen davon, dass "die Frau" in den allermeisten Fällen SEINE Kinder gebiert: Wo steht das denn in der "Schrift"?
Dort (Lutherbibel)…