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SWR-Tarifrunde

Bei Streik kein live

SWR-Tarifrunde: Bei Streik kein live
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Es geht ums Geld: Beim SWR kämpfen Beschäftigte derzeit um eine Tariferhöhung. Die Gewerkschaften fordern zehn Prozent mehr, der Sender sagt, das sei zu viel. So weit, so bekannt – dass bei den Öffentlich Rechtlichen überhaupt gestreikt wird, ist allerdings eher ungewöhnlich.

Auffällig viele junge Frauen und Männer stehen an diesem Freitagmittag in der Sonne vor dem SWR-Funkhaus in Stuttgart. Etwa 70 bis 80 sind dem Aufruf der Gewerkschaften Verdi und DJV (Deutscher Journalistenverband) zum Warnstreik an diesem Tag gefolgt. Sechs Mal haben sich Gewerkschaften und Geschäftsleitung bereits getroffen, um über Tariferhöhungen zu verhandeln. Bislang ergebnislos. Verdi und DJV fordern mit Blick auf die Inflation 10,5 Prozent rückwirkend ab Januar, der Sender bot zuletzt 4,71 ab Oktober und eventuell später etwas mehr. Da klafft noch eine ziemliche Lücke, also versuchen die Mitarbeitenden Druck aufzubauen mit Arbeitsniederlegung. Am vergangene Freitag, an dem Tag an dem der Rundfunkrat im SWR tagt – 74 Menschen aus allen möglichen gesellschaftlichen Gruppen, und die sollten alle wissen, dass die Tarifverhandlungen stocken.

Was in der Automobilindustrie in harten Tarifauseinandersetzungen mehrere Tausend Arbeiter vors Werkstor in Untertürkheim zieht, ist allerdings im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk (ÖRR) deutlich mühsamer. Insgesamt arbeiten an allen Standorten des SWR etwa 4.500 Menschen, die Streikbeteiligung ist traditionell so mittel. Eher legen Techniker:innen die Arbeit nieder als Journalist:innen.

"Das ist schade", sagt Laura Schindler. Die 28-Jährige ist eine der vielen Festfreien beim SWR und eine der gewerkschaftlich Aktiven. Im Vergleich zu früheren Tarifrunden sind an diesem Vormittag vor dem Sender deutlich mehr Menschen zu sehen, darunter viele Jüngere, denen es zum Teil geht wie Schindler – sie sind festfrei. So werden diejenigen bezeichnet, die formal Freischaffend sind, aber einen Rahmenvertrag mit dem SWR haben, der per Tarifvertrag einiges regelt: Honorar, Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Sozialversicherung. Das ist im Vergleich mit anderen ARD-Anstalten gut, doch eine Unsicherheit bleibt – etwas, das die normal Angestellten kaum kennen. Letztere finden sich im journalistischen Bereich vor allem unter den Älteren.

Zwischen den festangestellten Redakteur:innen auf der einen Seite und den Festfreien auf der anderen klafft "ein unsichtbarer Riss", sagt Schindler. Seit April arbeitet sie beim SWR in Mainz mit einer halben Stelle beim "Demokratieforum", eine Talksendung mit Michel Friedman und laut Schindler eine "mittlerweile gar nicht mehr so kleine Vorzeigeperle". Die Arbeit – Themenfindung, Gäste suchen, Dramaturgie der Sendung, Socialmedia-Werbung, Schnitt – macht ihr Spaß. "Ist allerdings auch viel für zehn Arbeitstage im Monat." Pro Tag gibt es etwa 250 Euro brutto, da ihre Arbeit als relativ frisch gewählte Personalrätin extra vergütet wird, gehe es aber, sagt sie.

Vorher hatte sie als ersten Job nach dem SWR-Volontariat ein Jahr in Ludwigshafen gearbeitet – online, Radio, Fernsehen –, doch da wurde ihr Vertrag nicht verlängert. Das ist ein Punkt, der nicht nur sie ärgert: die befristeten Kettenverträge, die der SWR nach der Ausbildung vergibt. Immer für ein Jahr, maximal sechs Jahre lang. "Wie soll ich da etwas planen?"

Rund 700 Frauen und Männer arbeiten im SWR unter diesen Bedingungen, vor allem Journalist:innen. Diese Unsicherheit – wird mein Vertrag verlängert? Bekomme ich eine Festanstellung? – führe zu einer gewissen Zurückhaltung in den innerbetrieblichen Diskussionen, meint Schindler. "Obwohl – beim SWR wird so gut wie gar nicht diskutiert." Eine Reihe Festfreier hätten ihr signalisiert, dass sie Angst hätten, mit Streik Unmut auf sich zu ziehen. Festangestellte dagegen hätten ja überhaupt nichts zu befürchten, aber mitstreiken würden aus dieser privilegierten Redakteursschicht eher wenige. Solidarität: Mangelware. Teilweise würde über diejenigen, die mitstreikten, sogar gelacht, erzählt einer derjenigen, die nicht genannt werden möchten, oder sie bekämen zu hören: "Streik du ruhig, ich brauche keine Tariferhöhung, ich verdiene genug."

Um die 7.000 Euro bekomme ein angestellter Redakteur in der mittleren Führungsebene gegen Ende seiner Laufbahn, sagt Maximilian Heß, der bei Verdi für den SWR zuständig ist. Das ist zwar nicht schlecht, aber kein Maßstab für Tarifverhandlungen. Für die Gewerkschaften geht es diesmal vor allem um die unteren Gehaltsgruppen: Azubis, die Festfreien. Man wolle keine reicheren Menschen, man wolle die Inflation ausgleichen, erklärt Heß. Deswegen fordere man zehn Prozent, zumal in den vergangenen Jahren die Tariferhöhungen zu gering gewesen seien, um die Preissteigerungen auszugleichen.

Die gutverdienenden Boomer gehen

In die Tarifrunde hinein wirkt in diesem Jahr auch die Debatte über die Aufgabe und Arbeit des ÖRR an sich, die vor allem von Rechtsaußen befeuert wird. Manche Ministerpräsidenten gerade im Osten meinen, die Rundfunkgebühr dürfe nicht erhöht werden, außerdem müssen ARD und ZDF sparen. Das mit dem Sparen sieht auch die Kommission zur Ermittlung der Rundfunkgebühren (KEF) so. Die ermittelt den Finanzbedarf des ÖRR, streicht Wünsche der Sender, macht Sparvorgaben und schlägt dann die Höhe der Rundfunkgebühr vor, über die anschließend die Ministerpäsident:innen entscheiden müssen. Ein zäher Prozess, der sich aktuell auf der Zielgeraden befindet. Der Vorschlag der KEF lautet, ab nächstem Jahr die Rundfunkgebühr um 58 Cent pro Monat anzuheben, was dann 18,94 pro Monat pro Haushalt wären. Mehrere Länder haben bereits angekündigt, gegen die Erhöhung zu stimmen, allerdings ist das rechtlich ziemlich schwierig.

Für den SWR bedeuten die KEF-Ergebnisse jedenfalls, 70 Millionen Euro einsparen zu müssen. Bereits vor einigen Wochen hatte er angekündigt, Immobilien zu verkaufen, Sendungen wie "Verstehen Sie Spaß" einzudampfen, die Sendung "Menschen und Momente” wird gestrichen und noch einiges mehr. In den Tarifverhandlungen bringt der Sender neben diesen Sparvorgaben auch die noch nicht beschlossene geringe Gebührenerhöhungen vor. Zuletzt bot er eine Tariferhöhung von 4,71 Prozent ab Oktober und 2,46 Prozent ab Januar – die zweite Erhöhung allerdings nur, wenn die Gebühr tatsächlich steigt und das Ganze für eine Laufzeit von 36 Monaten. Verdi hat ausgerechnet, dass das umgerechnet gerade mal 1,57 Prozent pro Jahr beziehungsweise, falls die zweite Stufe kommen würde, 2,39 Prozent wären – zu wenig. Und das Argument geringe Gebührenerhöhung lässt Verdi-Sekretär Heß auch nicht so stehen: In den nächsten Jahren gehe die Boomer-Generation in Rente, und darunter seien sehr viele Hochbezahlte, da sei dann viel Geld übrig. Und auch wenn 2029 die Amtszeit von Intendant Kai Gniffke endet, dürfte einiges frei werden. Gniffke bekommt knapp 380.000 Euro im Jahr (ohne Zulagen) und steht damit auf Platz zwei im Gehaltsranking in der ARD. Dass der oder die Nachfolger:in weniger verdienen wird, ist nach derzeitigem Diskussionsstand ziemlich sicher.

Zu träge, zu altmodisch

Für Jungredakteurin Schindler ist eines der großen Ärgernisse im SWR die hierarchischen und bürokratischen Strukturen, die Entscheiungsprozesse elend langsam machen oder im Nirwana enden lassen. Das, so ist sie überzeugt, schreckt auf Dauer vor allem junge Kolleg:innen ab. Ihr wird zu viel fremdvergeben, zum Beispiel beim Jugendprogramm Funk. Schindler: "Wenn man fancy Produktionen rausgibt an Fremdfirmen, die ihre Leute schlechter bezahlen, dann fehlen den Jungen bei uns spannende Aufgaben." Für "Oma- und Opa-Shows" dagegen, wie sie es nennt, würde viel Geld rausgehauen. Als Vertreterin einer jüngeren Generation ist sie der Ansicht, der SWR müsse dringend digitaler und jünger werden – für seine eigene Zukunft und um guten Nachwuchs zu halten.

Dazu kommt eine extreme Arbeitsverdichtung. Gingen früher für einen Fernseh-Nachrichtenbeitrag drei Leute raus – Redaktion, Kamera, Ton –, sind es heute manchmal nur zwei Leute, ein:e Redakteurin und ein Mensch für Bild und Ton. Und es gibt auch Einsätze, in denen ein:e Redakteur:in tatsächlich alles alleine machen muss. Bei manchen Drehs sei das gar nicht so schlecht, findet Schindler zwar, weil es manchmal einfacher sei, alleine eine vertrauliche Atmosphäre mit Gesprächspartner.innen herzustellen. "Aber draußen, mit Nebengeräuschen und so, geht das so nicht."

Bei der mittäglichen Kundgebung freuen sich die Streikenden über die Nachricht, dass an diesem Tag auch beim WDR, BR und NDR gestreikt wird. Heute, am Mittwoch den 17. Juli, wird weiter verhandelt. Der SWR hatte angekündigt, vor der Sommerpause fertig sein zu wollen. Dagegen haben auch die Gewerkschaften nichts, allerdings nur, wenn der Sender ein ordentliches Angebot auf den Tisch legt. Sonst werde der Druck erhöht, sagt Heß. Trillerpfeifen signalisieren Zustimmung. Immerhin hat es vor ein paar Wochen ja geklappt, dass im Laufe eins Drei-Tage-Streiks sogar Sendungen nicht oder nur eingeschränkt gesendet wurden. Auch dieser Freitag zeigt Wirkung, berichtet "tagesschau.de": Mehrere Sendungen konnten nicht live gesendet werden, sondern wurden vorher aufgezeichnet, am Nachmittag wurden die Nachrichten aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zusammengelegt.


Berichtigung: Die von der KEF vorgeschlagene künftige monatliche Beitragshöhe beträgt 18,94 Euro und nicht wie urspünglich geschrieben 18,36 - das ist der bisherige Beitrag.

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3 Kommentare verfügbar

  • Philipp Horn
    am 17.07.2024
    Antworten
    Wenn sich Verdi wirklich durchsetzt würde & gleichzeitig die Einnahmen nicht deutlich steigen (politisch nicht durchsetzbar ) werden Stellen gestrichen werden. Schon jetzt SWR Aktuell ziemlich flach .Laut billig produzierte bunte Geschichten bzw Umfragen.
    Und im restlichen Programm noch mehr…
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