Als der Historiker Hellmut G. Haasis einmal Schüler:innen der Stuttgarter Robert-Bosch-Schule die Figur des Hitler-Attentäters Georg Elser nahebringen wollte, schwärmte er von dessen handwerklichen Fähigkeiten. Der Einzeltäter Elser, erzählte der kürzlich gestorbene Haasis, habe die einzige für Hitler bestimmte Bombe gebaut, die richtig funktionierte. Der adlige Offizier Claus Graf Schenk von Stauffenberg dagegen habe bei seinem Attentatsversuch am 20. Juli 1944 den Explosionsdruck falsch eingeschätzt. "Stauffenberg war kein guter Techniker", sagte Haasis den Berufsschüler:innen, "deswegen lernt ihr hier Technik." Und fügte eilig an: "Obwohl ihr jetzt bitte keine Bomben bauen sollt! Wenn einem heute ein Politiker nicht passt, muss man sich politisch engagieren."
Ein Satz, der an all jene gerichtet sein könnte, die bedauern, dass Donald Trump das Attentat auf ihn am vergangenen Samstag überlebt hat. Sicher, der US-amerikanische Präsidentschaftskandidat ist ein Politiker, der mit Lügen und Verleumdungen arbeitet, der nach seiner Abwahl im Januar 2021 seine Anhänger ziemlich direkt zum Sturm auf das Capitol in Washington anstachelte, und ja, er ist ein Politiker, dem, sollte er im November gewählt werden, viele zutrauen, die USA in ein autoritäres System zu transformieren. Aber noch sind die USA eine Demokratie, und in einer solchen muss der Kampf politisch geführt werden und nicht mit Waffen und Sprengstoff.
Etwas anderes ist es bei Diktatoren wie Adolf Hitler, die Vernichtungskriege führen, Völkermorde begehen, politische Gegner ohne viel Aufhebens ausschalten lassen, ein politisches System schaffen, das auf einer rassistischen, antisemitischen, völkischen und damit antipluralen Ideologie beruht. Elser und Stauffenberg wollten beide diesen Diktator ermorden, wenn auch ihre Hintergründe unterschiedliche waren. Elser war ein kommunistisch geprägter Einzeltäter, der seinen Versuch schon im November 1939 kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unternahm, der Offizier Stauffenberg brauchte mehrere Jahre Krieg und Millionen Tote, um zu der Einsicht zu gelangen, dass der anfangs von ihm bewunderte Hitler das Land in den Untergang stürzt. Und die Motive und Ziele von ihm und manchen seiner Mitstreiter waren, nun ja, auch nicht durchweg demokratische.
"Ambivalenz aushalten" forderte in Bezug darauf vor zwei Jahren Erica Zingher in der taz: In der Debatte um Stauffenberg, schrieb Zingher, gelinge es oftmals nicht, "zwei Dinge gleichzeitig zu besprechen und anzuerkennen. Einerseits, dass das versuchte Attentat auf Hitler sicherlich Mut erforderte. Das kann man anerkennen. Andererseits, dass, um als Held verehrt zu werden, Stauffenberg einiges fehlt." Er und einige andere aus dem militärischen Widerstand hatten nichts gegen die NS-Rassenpolitik, fürchteten eher die Niederlage Deutschlands und hatten keine Demokratie, sondern ein eher autoritäres System im Sinne. Aufräumen müsse man, forderte Zingher, "mit der heutigen Inszenierung des 20. Juli als eines heroischen Kampfes für die Demokratie."
Inwieweit das in den kommenden Tagen, wenn sich das Attentat zum 80. Mal jährt, gelingt? In einer Erinnerungsveranstaltung am morgigen Donnerstag, dem 18. Juli im Stuttgarter Haus der Geschichte stehen jedenfalls die Gefahr und das Eintreten für die Demokratie im Mittelpunkt. Nach einem Vortag von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann wird auf dem Podium zu "Opposition, Protest und Widerstand in der Demokratie" diskutiert, es gehe dabei um "die Frage, wie sich Gesellschaft und Staat gegen Feinde der Demokratie zur Wehr setzen können", so die Ankündigung.
Ob das Verbot einer rechtsextremen Zeitschrift wie "Compact" da ein richtiger Weg ist? Kontext-Redakteur Minh Schredle hält zumindest am Prozedere des am Dienstag ausgesprochenen Verbots einiges für fragwürdig.
Eine andere Frage wäre, inwieweit anlässlich des Stauffenberg-Gedenkens auch endlich andere Widerständler:innen gewürdigt werden, die etwa aus dem kommunistischen oder sozialdemokratischen Milieu kamen, deren Handlungen vielleicht weniger spektakulär waren, aber nicht weniger Mut erforderten. Über das "widersprüchliche Erinnern" hat Kontext nicht nur einmal geschrieben, und noch heute gibt es bestimmt einige, für die der haarsträubende Satz des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU) von 1987 gilt: Der deutsche Widerstand gegen Hitler habe aus der Gruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg und aus der Weißen Rose bestanden (Kontext berichtete).
Dass es doch ein paar mehr waren, daran erinnern dankenswerterweise auch am morgigen 18. Juli zwei Stadtteilspaziergänge in Stuttgart, beide ab 17 Uhr (Infos zu Startpunkten und Anmeldung hier): In Zuffenhausen führen Inge und Diethard Möller zu Orten, wo politische Opfer des NS-Regimes lebten: Etwa Kommunist:innen wie Karl Holzlehner oder Erwin Winkler, Sozialdemokrat:innen wie das jüdische Ehepaar Berta und Siegfried Sander, die als politische Gegner und als Juden doppelt verfolgt wurden, oder auch Eugen Spilger, der kurz vor Kriegsende als Defätist ermordet wurde, weil er in einer Gaststätte sagte, der Krieg sei verloren.
Im Stuttgarter Süden führen Hermann G. Abmayr, Melanie Axter und Werner Schmidt unter anderem zur Bahnstation Wildpark, wo Bahnhofsvorsteher Sebastian Imhof seinen Freund Josef Eberle und dessen jüdische Ehefrau Else versteckte (Kontext berichtete), und zum Waldheim Heslach, wo das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold unter Leitung des Gewerkschafters Karl Molt stationiert war. Molt wollte mit der sozialdemokratischen Schutztruppe 1933 die Nazis aus Stuttgart vertreiben (Kontext berichtete). Dazu kam es nicht. Doch in der Erinnerung an den Widerstand gegen die Nazis sollten auch er und all die anderen Widerständigen viel mehr Platz haben neben dem allgegenwärtigen Stauffenberg.
3 Kommentare verfügbar
Reinhard Gunst
am 19.07.2024