Brot und Spiele. Das alte Herrschaftsspiel.
Im Grundgesetz, Artikel 5, heißt es: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt." Die Pressefreiheit ist also ein hohes Gut.
Aber, das ist die entscheidende Frage: Wie geht die Presse mit diesem Gut um? Versteht sie sich als Vierte Gewalt? Ist sie Vierte Gewalt? Hat sie also tatsächlich Lust, hat sie die Kraft, hat sie überhaupt die Intention, den Mächtigen, den Regierenden auf die Finger zu gucken? Auch mal auf die Finger zu hauen? Sind die Medien gefährlich für die, sagen wir mal ganz altmodisch: die Herrschenden?
Im Adlon sind die Chefredakteure bollestolz
Jedes Jahr, im Winter, gibt es den Bundespresseball an einem noblen Ort in Berlin, im Adlon. Es ist ein hochwichtiges gesellschaftspolitisches Großereignis, ein Hochamt der Eitelkeiten, 2500 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Kultur sind geladen, der Bundespräsident eröffnet den Ball traditionell mit einem Walzer, er tanzt mit der Frau des Vorsitzenden der Bundespressekonferenz. Aber das Wichtigste ist: Wer darf am Tisch des Bundespräsidenten, der politisch Mächtigsten sitzen? Wenn man da sieht, wie bollestolz die Chefredakteure oder Herausgeber der wichtigsten Zeitungen oder anderer Medien dann sind, wenn sie da, direkt bei der Macht, Wange an Wange sitzen dürfen – da kann man den Glauben an die Vierte Gewalt verlieren.
Die Botschaft, die von diesem Regierungs-Macht-Tisch ausgeht: Wir gehören zu Euch. Wir sind eins.
"So lange es Zeitungen wie die Neue Zürcher Zeitung gibt", sagte Max Frisch in den 1970er Jahren, "braucht man keine Zensur." Das sagte dieser Schriftsteller – wohl wissend, dass die NZZ weltweit (und dies seit Jahrhunderten) als eine der besten Zeitungen gilt.
Er war kein Linker wie Max Frisch, das ganz gewiss nicht, Paul Sethe war ein Konservativer, CDU-Mitglied, er war Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, aber was den Journalismus betrifft, war er von einer Klarheit, die man heute als altmodische Klassenkampf-Rhetorik diffamieren würde. Am 5. Mai 1965 schrieb Sethe an den Spiegel einen Leserbrief, ich zitiere: "Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten." In dem Brief hieß es weiter: "Da die Herstellung von Zeitungen und Zeitschriften immer größeres Kapital erfordert, wird der Kreis der Personen, die Presseorgane herausgeben, immer kleiner. Damit wird unsere Abhängigkeit immer größer und immer gefährlicher." Er wisse, dass es im deutschen Pressewesen Oasen gebe, "in denen noch die Luft der Freiheit weht, [...] aber wie viele von meinen Kollegen können das von sich sagen?"
Es gibt eine mediale Autoritätsgläubigkeit gegenüber Politik, auch gegenüber der Wirtschaft, die für die Regierenden sehr praktisch ist. Eine irre Autoritätsgläubigkeit gegenüber PR-Abteilungen, die heute professionell arbeiten, Journalisten freundlichst unterstützen: mit gut geschriebenen Artikeln, farbigen Charts, klaren Diagrammen, alles so perfekt, dass man das Ganze, der überarbeitete Redakteur ist dafür froh, ins Blatt fallen lassen kann.
Nationale Themen werden im Gleichschritt genommen
Ärgerlich: Bei wichtigen Themen, Themen von nationaler oder systemischer Bedeutung laufen Medien zu oft im Gleichschritt mit – vor allem, wenn es ums Militär geht, wenn es um Schlüsselindustrien, wenn es um Großprojekte geht, wenn es um G7 oder G20, irgendwie um Ehre und Ruhm geht.
1999 greifen Nato-Jets die Bundesrepublik Jugoslawien an. Mit dabei: Deutschland. Kriegsfreudig: Kanzler Schröder, Vizekanzler Fischer. An der Heimatfront, medial bis heute nicht hinterfragt, wird mit Lügen (fast mustergleich wie im Ersten und Zweiten Weltkrieg) gearbeitet, um eine kriegsunwillige Bevölkerung umzustimmen. Fischer, komplett durchgeknallt, spricht davon, dass man "ein neues Auschwitz" verhindern müsse, Scharping, völlig irre, erfindet einen "Hufeisenplan", nach dem Serben albanische Zivilisten vertreiben: "Wenn ich höre, dass man die Eltern und die Lehrer von Kindern zusammentreibt, und die Lehrer von den Kindern erschießt ... dann ist da etwas im Gange, wo kein zivilisierter Europäer mehr die Augen zumachen darf." Und: Die Serben, so Scharping, "spielen mit abgeschnittenen Köpfen Fußball, zerstückeln Leichen, schneiden den getöteten Schwangeren die Föten aus dem Leib und grillen sie". Er schildert das so, als wäre er dabei gewesen.
Aber: Dieser KZ-Horror – reine, nein, unreine Lüge. Später, als die Nato-Bomben aus den Flugzeugen fielen, gab es unfassbare Gräuel – <link https: www.kontextwochenzeitung.de politik external-link-new-window>an Zivilisten, Soldaten, das ist leider wahr. Krieg ist Krieg. Heute wird über die Bundeswehr wieder viel geredet: Die Bundeswehr ist doch eine Lachnummer! Sie ist am Ende, sie hat U-Boote, die nicht tauchen können, sie kriegt nichts mehr hoch, keinen Hubschrauber, kein Flugzeug, gar nichts funktioniert, sie schafft es nicht mal, ihre Soldaten aus Afghanistan zurückzuholen! Da lacht der Komiker. In der satirischen "Heute-Show" spottet ZDF-Mann Oliver Welke über "Uschis Resterampe", und er lästert über die "vielen Panzer, die nur noch von Tesafilm und von der Leyens Haarspray zusammengehalten" werden.
Aber noch viel mehr, viel, viel mehr als Komiker Welke lachen die Militärstrategen in ihren Büros und Bunkern. Sie lachen sehr, weil der Komiker ihr Geschäft unterstützt: Aufrüstung. Umrüstung der Bundeswehr zu einer Angriffs- und global agierenden Interventionsarmee. Es waren die Inspekteure der Bundeswehr, die die Aufregung über die angebliche Schrott-Armee mit einem internen Papier für den Verteidigungsausschuss entfacht haben, wohl wissend, dass ihr Manöver zum Sieg führen würde.
Der Krieg ist nicht das Thema, sondern die Gurkentruppe
Statt über den 18-jährigen Krieg in Afghanistan zu reden, was er insgesamt gekostet hat (fast 800 Milliarden Euro), was er gebracht hat (ein zerstörtes, nicht befriedetes Land): dass er und die Irak-Kriege neben Tausenden Toten auch Hunderttausende, ja Millionen Verletzte, Verstümmelte, Verzweifelte und Vertriebene (die auch nach Europa drängen) verursachten – also statt darüber zu reden und in den Medien zu debattieren, spottet die Nation über die Gurkentruppe. Und diskutiert vor allem auch nicht darüber, ob die unerklärten, jahrzehntelangen Kriege gegen den Irak und Afghanistan, die außergerichtlichen Tötungen durch US-Spezialeinheiten, die völkerrechtswidrigen Exekutionen durch Drohnen in vielen muslimischen Staaten Terror-Zuchtprogramme sind, die eben jene Monster schaffen, gegen die man glaubt, nur durch noch mehr Bomben siegen zu können.
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Philipp Horn
am 23.04.2019