Näher befassen muss sich die SPD erstmals mit dem Thema vor den Landtagswahlen 1996 und über den Umweg NRW. Weil die rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf in immer neue Probleme kommt, fühlen sich Spöri und Maurer bemüßigt zu erklären, dass im Fall des Falles in Baden-Württemberg alles ganz anders wäre. Die einen und die anderen streuen sich gegenseitig Rosen. Der SPD-Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident, der so gerne Regierungschef werden wollte, lobt die Grünen als pragmatischer als anderswo in der Republik angesichts der längsten Parlamentserfahrung. "Die SPD im Südwesten ist wesentlich stärker ökologisch orientiert", gibt Grünen-Landeschef Winfried Hermann höflich zurück. Und Fraktionschef Fritz Kuhn nennt die GenossInnen "weniger stur" als jene in NRW.
Der Beweis musste nie angetreten werden. Bei SPD-Ergebnissen von deutlich über 30 Prozent hätten die gut zwölf Prozent, die die wachsenden Grünen bei den Wahlen 1996 auf die Waagschale bringen konnten, vielleicht noch gereicht für einen Regierungswechsel. Inzwischen hielt die Sozialdemokratie im Südwesten allerdings nurmehr 25 Prozent. Ohnehin wären auch damals die Koalitionsverhandlungen eine Quälerei jedenfalls in puncto S 21 geworden. Denn Kuhn und die Seinen wussten ihren Widerstand mittlerweile bestens zu begründen. Mit etlichen parlamentarischen Anträgen hatten sie versucht, Planungsvarianten ins Spiel zu bringen.
Bagger, Arbeitsplätze und Bauaufträge
Als im Januar 1995 die sogenannte Machbarkeitsstudie veröffentlicht wird, warnt Fraktionschef Kuhn vor der "verfrühten Euphorie" und nennt es "in Anbetracht des drohenden Verkehrskollapses im Stuttgarter Raum völlig unzureichend, sich ausschließlich auf den Stuttgarter Tunnelbahnhof für den Fernverkehr zu konzentrieren". Es brauche vielmehr ein neues Gesamtkonzept. Im April 1995 präsentiert eine grüne "Arbeitsgruppe Stuttgart 21/Entwicklungskonzept Filder" ihre Ideen. "Wer heute das 21.Jahrhundert planerisch angeht, muss tragfähige Antworten anbieten können", heißt es. Unter anderem auf die eine Frage, die vor dem Hintergrund heutiger Debatten von beträchtlichem Weitblick der AutorInnen zeugt: "Wie kann die Belastung durch den automobilen Verkehr mit den bekannten Folgen für das Klima deutlich reduziert und Mobilität auf ökologische und sozial verträgliche Art organisiert werden?"
Dass es gerade wegen Stuttgart 21 im Jahr 1996 nie zu einer rot-grünen Regierung gekommen wäre, legt auch der OB-Wahlkampf im Herbst nahe. Der Rechtsanwalt Rezzo Schlauch, im ganzen Land mit seiner Schwertgosch und seiner Leibesfülle bekannt wie ein bunter Hund, will Rommel-Nachfolger werden. Am Ende gewinnt Wolfgang Schuster (CDU) und damit ein glühender Projektfan gegen den erklärten Gegner Schlauch. Denn mit Rainer Brechtken hatte die SPD ebenfalls einen Befürworter ins Rennen geschickt, der wie die Schwarzen mit Arbeitsplätzen und Aufträgen für die heimische Bauwirtschaft argumentiert.
Dass Brechtken seinen grünen Landtagskollegen im zweiten Wahlgang nicht unterstützen will, wird einer der vielen Sargnägel für das Verhältnis zwischen Roten und Grünen. Zur Wahrheit gehört allerdings ebenfalls, dass die Stuttgarter WählerInnen schon damals – der Bahnhof mit den immensen Risiken, etwa für das Mineralwasser, spielt durchaus eine große Rolle im Wahlkampf – den Argumenten der KritikerInnen mehrheitlich nicht folgen mochten. Auch dieser Faden zieht sich bis zur Volksabstimmung 2011 durch.
SPD haucht schlafendem Projekt wieder Leben ein
Paradox wird die Situation ab 1998. Spöri ist Geschichte, die Bundestagsabgeordnete Ute Vogt neue Chefin der Südwest-SPD und vom neuen Kanzler Gerhard Schröder geadelt als "Führungsnachwuchs" der Partei. Die damals 35-Jährige will renommieren mit ihren guten Berliner Kontakten, und Teufel Paroli bieten. Maurer wiederum, noch immer Landtagsfraktionschef, möchte den Ministerpräsidenten ausgerechnet mit "Stuttgart 21" vor sich hertreiben, beklagt sogar, dass das Projekt "vor dem Aus" stehe. Vogt wird beim Kanzler vorstellig.
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