Viele wissen vom aktuellen Ärger: die scheidende Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat, Roswitha Blind, ihr Stellvertreter Hans Pfeifer, Martin Körner, der neue Fraktionschef, der Kreisvorsitzende Dejan Perc, mehrere Ortsvereinsvorsitzende, einfache wie frühere Genossen und Genossinnen. Sie alle kennen Peter Conradis Brief mit der Frage, ob es noch tiefer geht. Die Antwort liefert der langjährige frühere Bundestagsabgeordnete frei Haus dazu: "Ja, eine Partei, die nicht bereit ist, ihre bisherige Politik zu überprüfen und wo notwendig zu ändern, die stur an alten Beschlüssen festhält, darf sich nicht wundern, wenn WählerInnen und Mitglieder sich abwenden." Verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen "ist schwer und beginnt mit der selbstkritischen Prüfung und der Bereitschaft, neue Antworten zu finden". Und weiter: "Wann beginnt die SPD Stuttgart damit?"
Jedenfalls nicht an diesem Montag. Die Kreiskonferenz im Möhringer Bürgerhaus ist schon zwei Stunden alt. Zwei Stunden lang zähe Aufarbeitung, Organisatorisches zum Wahlkampf, Kritik an den Farben der Plakate, die Warnung vor schnellen, monokausalen Antworten, dazu Appelle sonder Zahl, doch zusammenzustehen, auf die eigenen Stärken und Grundüberzeugungen und Werte zu bauen. Zwei Stunden lang wird drum herum geredet um den heißen Brei. Bis Hermann Wilhelm aufsteht. Der Genosse aus Botnang, dessen Nichte Oberbürgermeisterin werden wollte, redet Klartext. Hauptgrund dafür, warum die Sozialdemokratie in der Landeshauptstadt so viel schlechter abgeschnitten hat als in anderen Kommunen – etwa in Schorndorf mit 28,5 Prozent –, sei Stuttgart 21. "Der Umgang mit den Kritikern war falsch", klagt der frühere Studienrat und langjährige Ortsvereinsvorsitzende. Viele Ältere applaudieren. Andere sitzen da mit vor der Brust verschränkten Armen und steinernen Mienen. Das Thema sei durch und abgehakt, meint einer. Vom neuen Stadtquartier, das dank des Tiefbahnhofs entstehen werde, träumt eine ehemalige Gemeinderätin. Aus Vorstand und Fraktion will niemand einsteigen in den offenen Austausch von Argumenten über Kostensteigerungen, Verzögerungen oder fehlender Genehmigungen. Nicht hier, nicht vor den – gewählten! – Vertretern und Vertreterinnen der Basis. Stattdessen wird intern per Mail ausgeteilt: Es sei "zum Markenzeichen" geworden, schreibt Blind an die Adresse störrischer Projektgegner, "dass wir streiten". Warum sollten "die BürgerInnen eine Partei wählen, die gar nicht weiß, was sie will".
"Unter Parteimist gespeichert"
Natürlich erwartet Blind die Antwort allein von den Freunden des Kopfbahnhofs. Natürlich wird – wie schon so oft – vor der Tür anderer gekehrt. Pippi Langstrumpf reitet auf einem Vogel Strauß durch einen Kreisverband, der gerade noch attraktiv ist für 14,3 Prozent oder in absoluten Zahlen knapp 30 000 Stuttgarter und Stuttgarterinnen: Die Welt machen, wie sie einem gefällt, und den Kopf in den Sand stecken, wenn die Realität zu nahe kommt. Vor den Delegierten aus dem Ortsvereinen schwärmt Pfeifer von der "Emotionalität", die ihn vor 42 Jahren in die Partei von Willy Brandt brachte, und von den Großflächen-Plakaten mit Martin Schulz als "grandiose kommunikative Plattform". Beim internen Großreinemachen per Mail keilt er auch persönlich gegen den unbequemen Conradi, erinnert "die Jüngeren" an dessen Sündenregister: "Erfolge verhindern, dies begann ja schon bei der OB-Wahl 1974." Conradi habe vor vierzig Jahren "den aussichtsreichen SPD-Bürgermeister Martin Hahn innerhalb der SPD verhindert (...) und dann selbst eine grandiose Wahlniederlage" eingefahren, so der Ex-Geschäftsführer der City-Initiative Stuttgart. Als Wahlkampf-Manager der erfolglosen Bettina Wilhelm hat er Erfahrung mit grandiosen Niederlagen. Er macht in seinem Furor aus Jürgen Hahn einen Martin. Und der Ausflug in die Geschichte ist ebenfalls geklittert. Denn damals gibt die Kreiskonferenz nur gut zwei Wochen nach dem plötzlichen Tod von Oberbürgermeister Arnulf Klett dem linken Bundestagsabgeordneten Conradi mit 139 Stimmen den Vorzug gegenüber dem Ersten Bürgermeister Jürgen Hahn (107). Ausgerechnet Pfeifer wünscht sich eine Partei, die zusammensteht, nicht Egoismen pflegt und eine "Atmosphäre vermittelt, die sie wählbar" macht. "Ich finde Euren Umgang entsetzlich und habe mir das unter Parteimist gespeichert", mailt einer an die Kontrahenten. "Macht ruhig weiter so mit Eurer Unfähigkeit, Fehler einzugestehen", ein anderer.
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libuznik
am 30.06.2014