KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Demo "Gemeinsam für Deutschland"

Bemüht nicht rechtsextrem

Demo "Gemeinsam für Deutschland": Bemüht nicht rechtsextrem
|

Datum:

Zum zweiten Mal demonstrierten bundesweit Menschen unter dem Motto "Gemeinsam für Deutschland". Beim ersten Anlauf in Stuttgart waren viele Rechtsextreme dabei, am vorigen Wochenende in Reutlingen versuchten die Veranstalter:innen, ein friedlicheres Bild abzugeben. Doch eine Sache stört sie.

Diesmal sollte es anders werden – oder zumindest aussehen: Ende März waren bei den Demos unter dem Motto "Gemeinsam für Deutschland" eine ganze Reihe rechtsradikaler Mitmarschierer:innen aufgefallen. Den Orgaisator:innen aus "Querdenkerkreisen" hat der so entstandene Eindruck – Seit an Seit mit Rechtsextremisten – nicht gefallen. Vor ihren zweiten Demos, zu denen sie bundesweit für den vergangenen Samstag aufgerufen hatten, meldete sich "Querdenker"-Gründer Michael Ballweg per Videobotschaft auf Telegram. Er sei gefragt worden, was man besser machen könne, sagt er und spricht von einem "schwarzen Block", der sich in Stuttgart in die Menge gemischt habe. Videosequenzen werden eingeblendet, die Neonazis zeigen. "Natürlich hat das nichts mit dem Thema Frieden, Freiheit und Grundrechte zu tun", sagt Ballweg.

Es waren schwarz gekleidete Männer, oft mit kurz geschorenen Haaren oder Glatze und Sonnenbrille. "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!", riefen sie. Ausweislich ihrer Klamotten gehörten sie zu rechtsextremen Gruppen wie "Der Störtrupp" oder "Unitas Germanica". Damit wollen die "Querdenker" nicht in Verbindung gebracht werden, sagen sie. Sollten "solche Gruppen" in Reutlingen erscheinen, würden sie ausgeschlossen, kündigt Ballweg an. Aber: nicht jede Einzelperson, die ein unliebsames Symbol oder eine unerwünschte Flagge zeigt, sei automatisch ein Störer. "Seid da bitte großzügig." Das Wort "rechtsextrem" nimmt Ballweg nicht in den Mund. Eine klare Absage an den rechten Rand sieht anders aus. Offenbar können solche Leute durchaus mitdemonstrieren, wenn sie unauffällig bleiben und sich den "Querdenkern" unterordnen.

Pfeffer und Knüppel für Linke

In Reutlingen sammeln sich anlässlich dieser zweiten "Gemeinsam-für-Deutschland"-Demo gegen 13 Uhr mehrere hundert Gegendemonstrant:innen im Bürgerpark neben der Stadthalle. Aufgerufen hat das Reutlinger Bündnis "Gemeinsam und solidarisch gegen Rechts". Es wehen Fahnen der Jusos, Linkpartei und -jugend sowie der IG Metall. Zwei Redebeiträge eröffnen: Kai Lamparter, der zweite Bevollmächtigte der IG Metall Reutlingen-Tübingen hofft, dass es über dem Kundgebungsort der rechten Demo "so schifft, dass die Schwurbler, die sich dort versammeln, nasse Füße bekommen". Eine Rednerin des Bündnisses kündigt an: "Die Nazis werden heute nicht durch Reutlingen laufen!"

Plötzlich wird's turbulent: Ein Teil der Gegendemo will unangemeldet durch die Stadt zu den "Querdenkern" ziehen. Weit kommen sie nicht: Polizist:innen eilen herbei und stellen sich dem Zug am Busbahnhof in den Weg, drängen die Leute mit Pfefferspray und Schlagstöcken zurück. Später heißt es in der Pressemitteilung der Polizei, es sei "zu tätlichen Angriffen gegen die dort eingesetzten Polizeikräfte" gekommen. Bei einem zweiten Versuch, an der Stadthalle vorbeizuziehen, kesseln Polizist:innen Demonstrierende ein. Am Ende nimmt die Polizei 243 von ihnen in Gewahrsam, stellt die Personalien fest und ermittelt wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz und wegen "tätlicher Angriffe". Erfolgreicher sind Antifaschist:innen, die direkt vom Bahnhof Richtung "Gemeinsam für Deutschland"-Demo starten. Sie blockieren zwei Straßen, die geplante Route der "Gemeinsam-für-Deutschland"-Demonstrant:innen.

Die haben sich kurz darauf auf dem sonst trist-grauen Reutlinger Bösmannsäcker-Festplatz versammelt. Wie einen Monat zuvor in Stuttgart prägen Deutschlandflaggen und Friedenstauben das Bild. Anders diesmal: weiße Rosen werden verteilt, Flyer mit Friedenstauben und Sprüchen wie "Der größte Schaden entsteht durch die schweigende Mehrheit, die nur überleben will, sich fügt und alles mitmacht". Unter dem Zitat der Name der vermeintlichen Urheberin: Sophie Scholl. Laut der Faktencheck-Webseite Mimikama gibt es jedoch keine historischen Belege dafür, dass sie das gesagt hätte. Eine Auswahl anderer Sprüche: "Bargeld ist gedruckte Freiheit"; "Friedenstüchtig"; "Freiheit wird aus Mut gemacht" und "Peace is the way."

Männer mit Steiner-Jacke und Glatze

Am Ausgang zur Tübinger Straße, über welche die Demo in die Innenstadt ziehen sollte, stehen die "Freiheitstrommler", ein Plakat fragt "Ist man Nazi, wenn man für Frieden demonstriert?", ein Rucksack-Anstecker verkündet "Ich bin im Frieden mit Russland", "Stoppt die Volksverachtung" fordert ein weiteres Schild. "Die willigen Schergen von Pharma- und Rüstungsindustrie" ist unter einem Logo der Antifaschistischen Aktion auf einem Schildchen gedruckt, das sich ein Mann über den Rücken gehängt. Ein anderer hat sich ein Foto des früheren SPD-Kanzler Helmut Schmidt umgehängt mit dessen Zitat: "Lieber 100 Minuten umsonst verhandeln als eine Minute schießen." Ein älterer Mann – laut Selbstauskunft Biologe - verteilt Flyer, die über eine vermeintliche "Spermienkrise" aufklären sollen: In wenigen Jahren würden weiße Männer und Japaner, nicht mehr zeugungsfähig sein. Außerdem will er wissen, dass bei Untersuchungen zum Klimawandel getrickst werde, indem Wetterstationen dort abgebaut werden, wo es am kältesten sei.

Anders als in Stuttgart sind keine Transparente und Fahnen rechtsextremer Gruppen zu sehen, keine schwarzen Hoodies des "Störtrupps". Aber wer genau hinguckt, sieht sie doch: Die Männer mit kurz geschorenen Haaren und Glatzen, weiß-graue Camouflage-Hose, Thor-Steinar-Jacke. Einige der Gesichter sind bekannt von der Stuttgarter Demo, dort liefen sie in den Reihen derer, die Ballweg in seiner Videobotschaft als "schwarzen Block" bezeichnet. Von der Kundgebung ausgeschlossen wird in Reutlingen keiner von ihnen.

Diese Melange aus Änhänger:innen von Verschwörungstheorien, vermeintlichem Querdenken und Friedensbewegung wartet darauf, endlich stadteinwärts marschieren zu können. Doch daraus wird vorerst nichts, Antifaschist:innen blockieren weiter die Wege. Nach einer Dreiviertelstunde können sich die rund 500 Leute schließlich in Bewegung setzen. Die improvisierte Strecke werde zwar nicht "so geil" sein wie die geplante, meint ein Mann am Mikro, "aber wir laufen!"

Anders als geplant geht es nicht in die Innenstadt, sondern in die andere Richtung: Vorbei an Feuerwehr, Netzbetreiber und Bosch-Werk, durch ein Wohngebiet, nach knapp einer Stunde endet der Demozug, wo er begonnen hat.

AfD-freundlich und pressefeindlich

Wie schon in Stuttgart war die Demonstration mit dem Zusatz "parteilos" angekündigt worden. Die AfD allerdings warb laut SWR im Vorfeld mit Flyern für die Veranstaltung, im Nachgang postete der Reutlinger AfD-Kreisverband ein Foto von der AfD-Gemeinderatsfraktion auf der Demo. Fraktionschef Hansjörg Schrade durfte sogar ans Mikro und kündigte an, im Gemeinderat irgendeinen Antrag zur Demo zu stellen.

Auch eine Rednerin namens Petra ist unzufrieden. "Unsere Orga ist belogen worden", ruft sie. Dass sie nicht in die Stadt gelassen wurden und Antifaschist:innen die Straßen blockieren konnten, sei ein besorgniserregendes Signal. "Je gewaltvoller ich in diesem Staat bin, desto leichter habe ich es, meine Ziele durchzusetzen." Aber Frieden sei eben nicht einfach. Ungeachtet des AfD-Redners und Männern, die das "White Power"-Zeichen zeigten, findet Petra: Wenn Journalist:innen die Demonstration als rechts bezeichnen, könnten diese ihren Job an den Nagel hängen. Sie glaubt, der Tag in Reutlingen habe die "Gemeinsam-für-Deutschland"-Demo aus der rechten Ecke geholt. Es sei stets wichtig, "unsere eigenen Bilder von der Demo zu erzeugen", hatte Ballweg in seiner Videobotschaft geraten. Ein Tipp, den Petra auch gleich umsetzt und sogar dem SWR – dem "Mainstream", wie sie es nennt – ein Interview gibt. Die Skepsis gegenüber Medienschaffenden allerdings bleibt. "Wir haben Gott sei Dank unsere freie Presse da, und die stand beim Interview hinter mir", sagt sie bei der Schlusskundgebung. Egal was der SWR sende, "wir haben das Original".

"Free Press" ist ein häufiges Motiv auf den verteilten Flyern. Nicht zur "freien Presse" gehören für die Demonstrierenden etablierte Medienhäuser und insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk. "FCK ARD"-Anstecker oder Plakate, die ARD und ZDF "Framing" vorwerfen, gehören ebenso zur Demo wie verbale Attacken gegen Medienschaffende. So bepöbelt ein Radfahrer den Redakteur Denis Raiser der den Liveticker des "Reutlinger General-Anzeiger" betreut. Er würde doch nur schreiben, was ihm vorgegeben werde, wirf der Mann dem Journalisten vor. Ein Foto von ZVW-Redakteur Alexander Roth, der vor Ort ist und auf Social Media seine Eindrücke zur Demo teilt, landet in einem Telegram-Chat. Und auch das Kontext-Team gerät mit einem Demonstranten aneinander, der ein Problem damit hat, dass die Demo fotografiert wird. "Verabscheuungswürdig" nennt er die Journalisten, und überhaupt sei Kontext ja "ein linkes Hetzblatt". Vielleicht hat Ballweg für das Organisationsteam auch Tipps, wie man Demoteilnehmenden beim nächsten Mal einen freundlichen Umgangston mit der Presse beibringt, die nicht die eigene ist. Ein nächstes Mal soll es jedenfalls geben: Die Veranstalter:innen kündigen an, Reutlingen zum Zentrum künftiger Demos zu machen.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • Philipp Horn
    vor 7 Stunden
    Antworten
    Also ich finde nicht, dass Ihr ein linkes Hetzblatt seit & was die gegen den SWR haben ist mir ein Rätzel. Der SWR und auch die BNN berichten ja nicht gerade kritisch über die AfD & co.
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!