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Karl und Carl Oster

Vater und Sohn gegen die Nazis

Karl und Carl Oster: Vater und Sohn gegen die Nazis
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Zwei widerständige Stuttgarter: Karl Oster, Gründer des Waldheims Heslach, kämpfte bis 1933 im Landtag für die Republik. Sein Sohn Carl kämpfte ab 1936 in Spanien, später in Frankreich gegen die Nazis. Über sein Leben war wenig bekannt. Unsere Autor:innen haben bei seinen Verwandten in Frankreich recherchiert.

Die Geschichte von Vater und Sohn beginnt in Pinache südlich von Mühlacker, das damals zum Oberamt Maulbronn in Württemberg gehört. Dort kommt 1874 Karl Oster zur Welt. Sein Vater ist von Beruf Schuhmacher und arbeitet ab den 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts als Eisenbahnhilfswärter. Der Sohn Karl lernt Goldschmied, aber bei diesem Beruf bleibt er nicht: Schon 1897 lebt er in Stuttgart und ist Angestellter bei der Allgemeinen Orts-Krankenkasse (AOK). Ein Jahr später heiraten er und Rosalie Kuhn. 1902 wird ihr Sohn Carl Oster als drittes von neun Kindern geboren.

1906 wird Karl Oster Angestellter der SPD in Stuttgart und 1907 Akquisiteur des SPD-Parteiblattes "Schwäbische Tagwacht". 1908 gründet er zusammen mit anderen Sozialdemokraten das "Waldheim Heslach" im Dachswald im Stuttgarter Süden als Erholungsort für Arbeiter und ihre Familien – es ist damals das erste Stuttgarter Waldheim.

Von 1912 bis 1919 vertritt Karl Oster die SPD im Gemeinderat in Stuttgart. 1919, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und des Kaiserreichs, wird er zum Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung Württemberg gewählt. Bei den ersten Wahlen zum Landtag des freien Volksstaates Württemberg 1920 wird er auf der Liste der SPD gewählt. Dieses Mandat behält er über drei Wahlperioden bis 1932. In dieser Zeit ist er Parteisekretär der SPD in Stuttgart und ab 1931 auch Sekretär des Konsumvereins, der in der Zeit der Weltwirtschaftskrise ab 1929, in der Millionen Menschen arbeitslos werden, Lebensmittel und Gegenstände des täglichen Bedarfs zu günstigen Preisen anbietet.

Republikaner aktiv gegen die braune Gefahr

Der Sohn Carl Oster, von Beruf Buchdrucker, wird wie sein Vater Mitglied der SPD. Er engagiert sich auch in der Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ) und dem "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold", einer republiktreuen paramilitärischen Organisation, zur Verteidigung der Republik. Das "Reichsbanner" trifft sich im Waldheim Heslach und organisiert den Saalschutz für Veranstaltungen der SPD. Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 muss Carl Oster in die Schweiz fliehen und arbeitet in Bern mit ebenfalls geflohenen Gewerkschaftern zusammen. Seine in Deutschland gebliebene Frau, mit der er einen Sohn hat, verlangt die Scheidung. Ihr zweiter Mann ist Nazi-Anhänger und erzieht den Sohn entsprechend.

Ein jüngerer Bruder von Carl namens Eugen, 1914 geboren, wird nach dem Januar 1933 in Heslach beim Verbrennen von Nazi-Plakaten gefasst, ein Schnellgericht verurteilt ihn zu vier Monaten Haft. Anschließend ist er arbeitslos, da die "Deutsche Arbeits-Front" (DAF), die Zwangsorganisation von Unternehmern und Arbeiterschaft unter dem Diktat der Arbeitgeber, seine Beschäftigung verhindert. Er stirbt 1938 an den Folgen der in der Haft erlittenen Misshandlungen.

Der Vater Karl gehört zu den ersten "Schutzhäftlingen" im Ende März 1933 eingerichteten Konzentrationslager Heuberg auf der Schwäbischen Alb. Am 1. Juli 1933 wird er als Sekretär des Konsumvereins entlassen, das Arbeitsgericht spricht ihm eine Abfindung von 750 Reichsmark zu. Im Winter 1934 durchsuchen die Nazis seine Wohnung und beschlagnahmen circa 135 politische Bücher und Broschüren. Über sein Leben während der NS-Diktatur ist sonst nur wenig bekannt. Aber er überlebt und leitet nach Kriegsende von 1945 bis 1947 als kaufmännischer Direktor den Konsumverein. 1954 stirbt er in Stuttgart.

Auf der Seite der Republik in Spanien

Der 1933 aus Deutschland geflohene Sohn Carl wird zu einem der vielen Freiwilligen, die im Spanischen Bürgerkrieg die Republik gegen die Franco-Putschisten verteidigen. Ab August 1936 kämpft er in einer Einheit der CNT ("Confederación Nacional del Trabajo", die anarchistische Gewerkschaft). Später wird er Hauptmann in der republikanischen Armee mit dem Kampfnamen "Carlos" und erleidet bei Teruel schwere Verletzungen.

Im Februar 1939 muss er Spanien verlassen und wird in Frankreich zuerst im Lager Argelès und dann im Lager Gurs interniert. Er ist schon nicht mehr in Gurs, als Ende Oktober 1940 circa 6.500 jüdische Menschen, aus Baden, der Pfalz und dem Saarland verschleppt, im Lager interniert werden. Er meldet sich zu einer der "groupements des travailleurs étrangers" (Gruppe ausländischer Arbeiter), kann so das Lager verlassen und arbeitet in einer Kaserne in Toulouse.

In der Résistance und der französischen Armee

In Toulouse lernt er in der Straßenbahn-Linie Nr. 6 eine junge Frau, Denise Grezel, kennen. Bald hilft Carl Denise in ihrem Geschäft für Uhren und Schmuck. Beide engagieren sich für die Résistance. Nach der Besetzung auch des südlichen Teils von Frankreich durch die Nazi-Wehrmacht im November 1942 kann er sich in Rieumes südlich von Toulouse verstecken. Er beschließt, sich den "Forces françaises libres" (Freie Französische Streitkräfte) in Nordafrika anzuschließen, die auf der Seite der Alliierten weiter gegen Nazi-Deutschland und dessen Verbündete kämpfen.

Nach der Überquerung der Pyrenäen wird er in Spanien festgenommen und bis 1943 im Lager Miranda del Ebro eingesperrt. Nach neun Monaten flieht er – versteckt auf einem Lastwagen mit schmutziger Wäsche – aus dem Lager. Er erreicht Malaga im äußersten Süden Spaniens, kann nach Marokko übersetzen und sich den französischen Truppen anschließen. Mit ihnen macht er die alliierte Landung in Italien im September 1943 mit, ebenso die in der Provence im September 1944 und den Vormarsch entlang der Rhône nach Norden bis an den Rhein. In Strasbourg akzeptieren die Vorgesetzten seinen Wunsch, Deutschland nicht betreten zu wollen.

Glücklich nach zwölf Jahren Unterdrückung und Krieg

Nach dem Kriegsende 1945 kehrt Carl Oster zurück nach Toulouse, 1946 heiraten Denise und er. 1947 kommt die Tochter Rosemarie zur Welt – sie bezeichnet ihn in der Erinnerung als "papa-gâteau", als liebevollen Vater. Er engagiert sich in der sozialistischen Partei SFIO (Section française de l'Internationale Ouvrière), Vorgängerin der heutigen PS. 1954 tritt er aus, als die SFIO den "Pariser Verträgen" und damit der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik zustimmt. Jahrelang ist er Präsident der Vereinigung der nach Frankreich Geflohenen und auch des lokalen Fußball-Clubs. 1952 fährt er erstmals nach dem Krieg nach Stuttgart und noch einmal 1956, dieses Mal mit seiner Frau. Sein Vater Karl stirbt schon 1954. Die Tochter Rosemarie ist in den 1960er-Jahren zweimal zu Besuch bei Verwandten in Stuttgart. 1982 stirbt Carl Oster. Zum 100-jährigen Jubiläum des Waldheims Heslach 2008, das ihr Großvater mitgegründet hatte, reist Rosemarie mit mehreren Cousins und Cousinen auf Einladung der SPD nach Stuttgart.

Für 2025 ist ein Besuch in Stuttgart mit Kindern und Enkeln geplant, um auf den Spuren der Vorfahren Karl und Carl spazieren zu gehen – einen genauen Termin gibt es noch nicht. Die Nachkommen von Karl und Carl Oster, Mitbegründer und Verteidiger der Republik, würden sich sicher über einen Empfang im Landtag freuen.

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1 Kommentar verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 25.03.2025
    Antworten
    Grad gestern Abend im "Erinnerungsort Hotel Silber" -Abriss allein durch das Engagement der Bürgerschaft verhindert [Fn_1]- an dieser Szenische Lesung teilgenommen:
    Oppenheimer – aus dem Leben einer jüdischen Familie. Vier Heidelberger Schicksale
    https://www.fes.de/veranstaltungen/veranstaltungsd…
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