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Demo gegen AfD-Landesparteitag in Ulm

Ulm zeigt Flagge

Demo gegen AfD-Landesparteitag in Ulm: Ulm zeigt Flagge
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 Fotos: Jens Volle 

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Tausende sind am Wochenende in Ulm auf die Straße gegangen, um ihre Stimme gegen die AfD zu erheben. Die hatte zum Landesparteitag geladen, was in der Stadt von Sophie und Hans Scholl nicht gut ankam.

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Wer am Samstagmorgen mit dem Zug nach Ulm anreiste, sah dutzende Polizeitransporter und Uniformierte zwischen Bahnhof und Theater. Um 8 Uhr startet der Demonstrationszug "Klare Kante gegen Rechts", organisiert von Antifa-Gruppen, in Richtung Ulmer Messe, wo die AfD ihren Landesparteitag abhält. Dort schließt er sich der Kundgebung des bürgerlichen "Bündnisses für Vielfalt und Demokratie" an, die eine Stunde später beginnt. Von 5.000 Protestierenden sprechen die Veranstalter:innen zum Schluss, 2.000 zählte die Polizei.

Geld fürs Abstimmen

Der Parteitag scheint sich zumindest für manches AfD-Mitglied zu lohnen: Laut Berichten von SWR und Spiegel, haben einige Kreisverbände ihren Mitgliedern 50 Euro pro Tag versprochen, wenn sie zum Parteitag fahren. Auch Hotel und Anreise sollen einige Kreise übernommen haben. Zudem habe es in diesen Kostenübernahme-Mails diskrete Wahlempfehlungen gegeben für Alice Weidel und Weidel-Anhänger. Das hat geklappt: Die Parteichefin wurde auf Platz eins der Landesliste für die Bundestagswahl gewählt. Auch alle weiteren Listenplätzte wurden an diesem Wochenende vergeben, wodurch das ursprünglich zweite Wochenende für den Parteitag im November nicht mehr notwendig ist. (ks)

Ein AfD-Verbot wird nach den Landtagswahlen im Osten derzeit zwar heiß diskutiert, scheint aber nicht in greifbarer Nähe. So bleibt es den Bürger:innen überlassen, sich gegen rechtspopulistische und -radikale Politik zu stellen. Nach den "Correctiv"-Recherchen im vergangenen Frühjahr, die klar machten, dass die Rechtsradikalen die Ausweisung von Migrant:innen ernst meinen, entstanden bundesweit Bündnisse, in denen sich Parteien und Gewerkschaften, Vereine und Unternehmen zusammenschlossen – im besten Falle nicht nur, um Demonstrationen gegen die AfD und rechte Politik auf die Beine zu stellen. Auch in Ulm, wo dem "Bündnis für Vielfalt und Demokratie" inzwischen 91 Organisationen angehören. Alle vier bis fünf Wochen tritt es mit rund 30 bis 40 Personen zusammen, in kleinerer Runde häufiger. Sie wollen auch außerhalb von Demos in die Gesellschaft wirken. Ihre nächste Veranstaltung: Vorstellung des Buches "Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen", das die Gefahr der AfD behandelt, der Autor Hendrik Cremer wird am 17. Oktober auch dabei sein. 

"Sophie Scholl" verkünden im Wageninneren schwarze Lettern auf gelbem Grund den Namen einer Tram, die üblicherweise bis zum Messegelände fährt. Mehrere Straßenbahnen tragen hier Namen von Ulmer Persönlichkeiten. An diesem Samstag entfällt der Messe-Halt wegen "einer Veranstaltung", wie der Straßenbahnführer per Lautsprecher durchsagt. Wer dorthin wolle, müsse eine Station früher austeigen. "No AfD" wurde an der dortigen Haltestelle mehrmals mit Farben auf den Boden gesprüht. In Sichtweite hängen am Geländer der Fußgängerbrücke über die Wielandstraße Banner des Bündnisses. "Bei Hitler's brennt noch Licht", mahnt eines davon mit falschem Apostroph.

Urgestein neben Politiknachwuchs

Kurz vor 8 Uhr ist der Parkplatz gegenüber der Messe bis auf Grüppchen von Polizist:innen fast leer, braune Pfützen im sandigen Kiesboden sind Zeugen des Regens der vergangenen Nacht. Etwa 200 Meter vom Parteitagsgelände entfernt hantieren drei Männer auf einem weißen Lastwagen, der dem Bündnis als Demobühne dient. Zeit für den Soundcheck. "Scheint die Sonne auch für Nazis? Wenn's nach mir geht, tut sie es nicht!", schallt ein Lied der Ärzte aus den Lautsprechern, als Maria Winkler eintrifft und sich mit den Uniformierten abspricht. Die Verdi-Bezirksgeschäftsführerin ist Versammlungsleiterin der Bündnis-Demo und moderiert die Redebeiträge.

An Winklers Seite wird während der Kundgebung ein Ulmer Urgestein auf dem Lastwagen stehen, Mitinitiator und Sprecher des Bündnisses: der 74-jährige Peter Langer. Er ist spürbar Nukleus des Bündnisses. Als er kurz nach 8 Uhr am Parkplatz ankommt, ist er erstmal mit Händeschütteln beschäftigt, es scheint, dass jede und jeder ihn kennt. Darunter ist auch Günter Fröscher vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, der sagt: "Wir sind für alles, gegen das die AfD ist."

Der graubärtige Langer, der sich laut eigener Aussage im "Unruhestand" befinde, trägt Brille, Hut und Mantel. 1983 wurde er auf Grund des Radikalenerlasses aus dem Schuldienst entlassen, weil er "gesellschaftskritischen Unterricht" gehalten habe, wie er sagt: Brecht, Böll und Enzensberger. Danach fand Langer Anschluss in der Friedensbewegung, organisierte 1983 die Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm gegen die Stationierung von Atomwaffen. Heute unterrichtet er ukrainische Kinder und Jugendliche.

Das Bündnis erfährt viel Rückhalt von der Stadt Ulm, die selbst ein Teil davon ist. Bis auf die zwei AfD-Räte haben alle Gemeinderatsfraktionen eine Erklärung unterschrieben, in der sie die Ulmer Bürger:innen auffordern, sich für Rechtsstaat und Demokratie einzusetzen. Bei der Kundgebung tritt auch der Ulmer SPD-Oberbürgermeister Martin Ansbacher ans Mikro. "Heute heißt es aufstehen gegen Fremdenhass und Deutschtümelei", ruft er und erklärt, dass es für ihn selbstverständlich gewesen sei, "heute Flagge zu zeigen". Flagge zeigt die Stadt an diesem Tag wortwörtlich: Ansbacher hatte verfügt, dass an diesem Wochenende Busse, Straßenbahnen und das Rathaus mit Regenbogenfahnen geschmückt werden.

Auch ein junges Gesicht grüßt Langer herzlich, den 17-jährigen Felix Polianski, ein blonder Wuschelkopf mit Zahnspange. Er ist Schüler des Schubart-Gymnasiums, bei den Jusos und aktiv im Demokratie-Bündnis. Auf dem Parkplatz verteilt er vor Beginn der Kundgebung rote Karten aus einem Jutebeutel: "Gegen Hass und Hetze", ist darauf zu lesen. Später steht der Jugendliche, der sonst mit sanfter Stimme spricht, auf der Bühne und hält eine feurige Rede, für die er viel Applaus und Lob erntet: Man dürfe nicht die Rhetorik und Ideen der AfD übernehmen und er mahnt, in diesen Krisenjahren die Jungen nicht zu vergessen. Es gebe zwar eine Mehrheit für Demokratie und Vielfalt, "trotzdem spricht mich eine Mitschülerin mit Migrationshintergrund an und fragt, ob sie abgeschoben wird". Seine Eltern haben die Rede nicht gehört, sie waren gar nicht vor Ort. Nach einer 40-Stunden-Woche seien sie zu erschöpft, um an einem Samstag so früh aufzustehen, erklärt der 17-Jährige.

Hohe Hemmschwelle für junge Menschen

Als Schülersprecher organisierte er im Mai an Ulmer Schulen einen Aktionstag anlässlich des 75. Jubiläums des Grundgesetztes: Workshops am Vormittag und Abschlussfest im "Roxy", dem Ulmer Kulturzentrum – das übrigens Peter Langer 1989 mitbegründete. Dass Jugendliche unpolitisch seien, sei ein Klischee, das laut Polianski zutrifft. "Dagegen will ich kämpfen", sagt er. Die Hemmschwelle, sich politisch zu engagieren, sei für viele in seinem Alter zu hoch. Auf vielen laste zudem großer Druck durch die Schule, sie hätten keine Zeit neben dem Lernen politisch aktiv zu werden. Er dagegen habe sich in der Schule immer leichtgetan. "Ich hätte gerne, dass mehr junge Menschen dabei sind", sagt er über das Demokratie-Bündnis. Für seine politischen Aktionen könne er in seinem persönlichen Umfeld immerhin auf vier, fünf Leute zählen. Seine Gedanken sind bereits bei der nächsten Aktion: dem Tag der sozialen Gerechtigkeit am 20. Februar. "Ich bin dabei, ein Netzwerk aufzubauen und dann in die Planung einzusteigen."

Aus Geislingen an der Steige zur Kundgebung angereist ist Susanne Beyer, sie wiederum gehört zur älteren Generation. "Ich bin eine Oma gegen rechts, weil ich die Errungenschaften unseres Landes bewahren möchte", sagt die Frau, die ihre grauen Haare kurz trägt und in weißer Signalweste mit "Omas gegen rechts"-Schriftzug vorm Mikro auf dem Lastwagen steht. Zu dieser Errungenschaft zähle Vielfalt und Toleranz. "Wir wollen, dass unsere Kinder und Enkelkinder in einer freien, demokratischen Gesellschaft leben können."

Unverhoffte Hochzeitsgäste

Der Nieselregen, der während der Redebeiträge einsetzte, hatte schon wieder aufgehört, als die Menschenansammlung kurz vor 11 Uhr in die Stadtmitte zieht. Im Februar seien die "Omas" in Geislingen mit 25 Personen gestartet, heute seien es 60, erzählt Beyer auf dem Weg in die Innenstadt. In ihrem Wahlbezirk wollen sie das Gespräch mit Menschen suchen, beispielsweise über Kirchen und Schulen. Ihr Ziel sei es, unter anderem Nicht-Wähler:innen zu überzeugen, gegen rechts an die Wahlurne zu treten. Druck möchten sie aber auch auf die Lokalpolitik ausüben. Sie wollen "unbequem sein", sagt sie. Die Omas gehen zu Gemeinderatssitzungen, suchen das Gespräch mit dem Bürgermeister und stellen die Fraktionen zur Rede: Was tun sie gegen die AfD?

Vor dem Ulmer Rathaus stehen Markus und Gabriele Bartels. Sie sind gerade frisch getraut und treten auf die Straße, als der Protestzug vorbezieht. Sie hält den Hochzeitsstrauß, er ein Baby im Arm. Die Demonstrierenden applaudieren und gratulieren dem Paar zur Eheschließung. Lächelnd nehmen die beiden die roten Karten gegen Hass und Hetze entgegen und wünschen den vorüberziehenden einen erfolgreichen Protesttag. Die Szene wirkt wie ein Symbol für den Zusammenhalt der Ulmer Gesellschaft an diesem Tag.

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1 Kommentar verfügbar

  • SSV Ulm Fans
    am 11.10.2024
    Antworten
    Stark! Ganz Ulm hat gezeigt, dass die Faschisten der Afd niemals akzeptiert werden.
    Nie wieder Faschismus bedeutet: niemals Afd!
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