KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Am Ende des Gleises

Am Ende des Gleises
|

Datum:

Wenn schon "Bild" fragt, ob der Bund Stuttgart 21 platzen lässt, dann ist Alarm in Berlin. Von dort kommt ein Papier, das bestätigt, was die Gegner schon immer behauptet haben: S 21 geht nicht. Und die SPD kommt verschärft ins Grübeln. Nur Claus Schmiedel nicht.

Das Kleine zuerst. In einer <link file:4571 _blank download>forschen Resolution fordert die Tiefbauallianz von CDU, SPD, FDP und Freien Wählern im Stuttgarter Gemeinderat, standhaft zu bleiben. Von Bund und Bahn. Trotz neuer Zahlen müsse Stuttgart 21 "planmäßig" umgesetzt werden, verlangt das Bündnis der Befürworter – und hat nur ein Ratsmitglied vergessen: die SPD-Frau Judith Vowinkel, die ihre Fraktionsspitze ausdrücklich gebeten hatte, ihr Nein in die Erklärung aufzunehmen.

Eine Stufe höher. Dejan Perc, der Kreischef der Sozialdemokraten in Stuttgart, ist endgültig sauer. Die SPD dürfe nicht die letzte Partei sein, die an dem Projekt festhalte, sagt der junge Politiker im Gespräch mit Kontext. Angela Merkel habe schließlich bewiesen, "dass sie schnell handeln kann". Siehe Fukushima. In seinen Reihen erkennt Perc einen "Tunnelblick und eine Eindimensionalität im Denken". Mit dem "verbissenen und unkritischen Festhalten" an dem Milliardengrab müsse endlich Schluss sein. Dass er Bahnchef Grube für eine "Fehlbesetzung" hält, sei der Vollständigkeit halber hinzugefügt, wird die Reaktionen der baden-württembergischen Parteispitze aber nicht milder gestalten.

Die finale Frage lautet immer: Was macht Merkel?

Dejan Perc: Die SPD darf nicht die letzte Partei sein, die an diesem Projekt festhält. Foto: spdbwGanz nach oben. Die finale Frage läuft immer auf dieselbe Person hinaus: Angela Merkel. Auch bei Anton Hofreiter. "Wo ist der Schaden geringer für die Kanzlerin", fragt der grüne Verkehrsexperte, "beim Ausstieg oder Weiterbau?" Der 40-jährige Münchner ist nach Stuttgart zur 159. Montagsdemo gekommen, wissend, was am nächsten Tag in der "Stuttgarter Zeitung" stehen würde. Ein Bericht über die "veritable Pleite von Merkel, Grube und allen anderen Befürwortern", wie er es gegenüber Kontext bezeichnet.

Wie die Regierungschefin letztendlich befinden wird, weiß aber auch der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag nicht. Merkel habe Stuttgart 21 "mit ihrem Namen verbunden", sagt Hofreiter, umso schwieriger sei es für sie, aus dem Symbolprojekt auszusteigen. Politisch aufgeladen, wie der Tiefbahnhof nun mal sei, spielten nüchterne Zahlen eine untergeordnete Rolle, meint der Grüne. Fachlich betrachtet sei S 21 "immer Unsinn" gewesen. Neben der Kanzlerin falle ihm dazu noch der SPD-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag, Claus Schmiedel, ein; einer, der ihm "unbelehrbar und faktenimmun" erscheint. Vor diesem Hintergrund warnt er vor zu viel Begeisterung bei den Gegnern. "Die Entscheidung", betont Hofreiter, "ist völlig offen."

Trotz des Dossiers. Was das Berliner Verkehrsministerium auf 15 Seiten aufgelistet hat, ist auch für ihn ein "Hammer". Kurz gefasst: Der Bund als Eigentümer der Bahn sieht derzeit "keine ausreichende Grundlage" für die Weiterführung von Stuttgart 21, "zu schwache Argumente", um weiterzumachen, Mehrkosten, die "nur teilweise belastbar" sind, und einen Zeitverzug, der die Fertigstellung des Tiefbahnhofs ins Jahr 2024 verschieben würde. Laut DB sollten schon im Jahr 2020 Züge durch die Tunnel brausen. Zugleich werfen die Autoren der Bahn vor, die Alternative Kopfbahnhof nicht eingehend genug untersucht und die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm mit S 21 verknüpft zu haben. Für den Bund gibt es keinen zwingenden Zusammenhang, denn die ICE-Trasse könne auch in den bestehenden Kopfbahnhof "eingebunden werden".

Das Dementi kam eilig aus Bagdad. Dort weilt der Chef der Behörde, Peter Ramsauer (CSU), bei einem Wirtschaftstreffen. Bei dem Dossier handele es sich um Einzelmeinungen aus der unteren Ebene, ließ er wissen, um "hinlänglich bekannte Fakten und Probleme", einschließlich der erst kürzlich bekannt gewordenen Kostensteigerungen. Kurzum: ein "alter Hut". Ergo hält der Minister die Aufregung für "Quatsch" und seine Linie weiterhin aufrecht: "Es gibt kein Abrücken vom Vorhaben selbst."

Altminister Dieter Spöri packt das "blanke Entsetzen"

Zurück zur SPD, zu jener Infrastrukturpartei, die bisher in Treue fest stand. Mit "blankem Entsetzen" hat der einstige S-21-Befürworter Dieter Spöri die Nachrichten vernommen. Der frühere SPD-Wirtschaftsminister hatte dem Projekt 1994 noch zugestimmt, weil ihm, so sagt er, zugesichert worden sei, der Bahnhof bleibe unangetastet. Danach sei das Bauwerk "massakriert" und "barbarisch" verunstaltet worden. Seitdem fühlt er sich im gegnerischen Lager zu Hause und wundert sich darüber, wie "sorgenfrei" die Befürworter den Betreibern gefolgt seien. Spöri warnt allerdings davor, angesichts der neuen Erkenntnisse in "Triumphgeheul" auszubrechen. Stattdessen müssten alle Beteiligten von den Barrikaden runter und Brücken bauen. Dies bezieht er auch ausdrücklich auf seine Partei, die SPD. Ihre Spitze müsse sich bewegen wie alle, fordert der Altminister. Alle Alternativen, Kombi- und Kopfbahnhof, müssten "vorurteilsfrei geprüft" werden, und so lange müssten störende Baumaßnahmen unterlassen werden.

Bei seinem Parteifreund Claus Schmiedel dürfte Spöri auf taube Ohren stoßen – wenn bild.de der Maßstab ist. Ramsauer dürfe sich nicht davonstehlen, wird Schmiedel von dem Springer-Portal zitiert, die Regierung müsse endlich entscheiden, wie sie mit dem Projekt weiter verfahren wolle. Im Übrigen stifte das Dossier "mehr Verunsicherung als Klarheit", urteilt Schmiedel. Diese Aussage dürfte auch die Genossen um Klaus Riedel nicht euphorisch werden lassen, die sich seit Monaten mit ihrer Initiative "SPD gegen S 21" an der Parteiführung abarbeiten. Trotz Vermittlung der Verdi-Landeschefin Leni Breymaier ("Ein Plan B muss her") wartet die Truppe, der auch Peter Conradi angehört, immer noch auf einen Termin mit Minister Nils Schmid und Schmiedel. Einzige Botschaft: Man wolle den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen.Anton Hofreiter: Fachlich sei S 21 immer ein Unsinn gewesen. Foto: Thomas Igler

Die Bundes-SPD sitzt Schmiedel und Schmid im Nacken

Wesentlich weiter sind die Genossen in Berlin. Der Bahnbeauftragte der SPD-Fraktion im Bundestag, Martin Burkert, sorgt sich um den Kannibalisierungseffekt von S 21 und spricht damit an, was die Parteifreunde in anderen Bundesländern umtreibt. Hannelore Kraft, die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, hat bereits klargemacht, dass die Milliarden von Stuttgart "keineswegs auf Kosten unserer Region gehen" dürfen. Sie will ihren Rhein-Ruhr-Express. Und dann sind da noch die anstehenden Tarifverhandlungen bei der Bahn. Der Nürnberger Abgeordnete Burkert, der im Verkehrsausschuss des Bundestags und im Vorstand der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG sitzt, weiß, wie schwierig es wird, den Bahnern moderate Lohnerhöhungen abzuverlangen, wenn S 21 immer teurer wird.

Uwe Beckmeyer, ebenfalls Verkehrsexperte der SPD-Bundestagsfraktion, vermutet, dass das "gesamte Projekt aus dem Ruder gelaufen ist". Wenn der Weiterbau unwirtschaftlich sei, müsse es Bahnchef Grube "von sich aus" beenden. Der Manager sei kurz davor, das Unternehmensziel aus den Augen zu verlieren, und dies sei in der Regel ein Grund, "sich von Bahnvorständen zu trennen". An die Adresse des Aufsichtsrats wendet sich Beckmeyers Kollege Sören Bartol, der dem Gremium vorhält, "grob fahrlässig" zu handeln, wenn er einem Vorhaben zustimme, das sich als unwirtschaftlich herausstelle. Jetzt müsse ein "realistisches Ausstiegsszenario" berechnet werden. Die Schmiedels und Schmids werden sich also auf Berliner Druck einstellen, sich bewegen müssen, wenn sie nicht die Rolle der letzten Mohikaner übernehmen wollen.

Was sie nicht müssen, ist, dem Vorschlag Volker Becks zu folgen. Der grüne Fraktionsgeschäftsführer im Bundestag war jüngst im Stuttgarter Hauptbahnhof, es zog "fürchterlich" und sah aus "wie nach einem Bombardement". Sein Ansinnen: Die CDU soll den Wiederaufbau der Seitenflügel aus der Parteikasse bezahlen.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


4 Kommentare verfügbar

  • tillupp
    am 14.02.2013
    Antworten
    Stuttgart sollte sich jetzt schon eine außerplanmäßige Landesgartenschau 2014 mit kulturhauptstattwürdigem Rahmenprogramm planen um die entstandene Zerstörungen schnellstmöglich nach der Einstellung des Bahnhofs Irrwegs in einem kreativen miteinander wieder zu rekultivieren.
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!