Michael Würz ist Lokalredakteur mit Herz und Verstand. Gut vorbereitet sitzt er in seinem kargen Redaktionsbüro, der Bildschirm erholt sich im Ruhemodus, und kurz nach dem Hallo legt Würz schon los: Wie schwierig es war, manch altgediente Journalisten für Facebook zu gewinnen. Wie viele Balinger ihn als linksgrünversifften Mainstream-Journalisten und ihre Lokalzeitung als Lügenpresse beschimpft haben. Wie er nach Öneys Ankündigung ununterbrochen online war, erklärte, antwortete, argumentierte, löschte, Tag und Nacht, sodass der Betriebsrat mehr als einmal protestierte.
Sein Motto: sich nichts gefallen lassen
Der ganze Kerl vibriert vor Mitteilungsdrang. Der Ring im Ohr blitzt kämpferisch, die Hände rudern mit, doch die Sätze sind wohlüberlegt. Das Telefon blinkt anhaltend, doch kein Klingeln stört, keine Mails fordern lautstark Aufmerksamkeit. Der Facebook-Aficionado ist offline? "Passt schon", sagt Würz. Der Mann hat vorgearbeitet.
Journalismus mit Haltung, lautet sein Credo, sich nichts gefallen lassen, sein Motto. Es geht ja nicht nur um die Geflüchteten. Wenn er rausfährt, um über einen Brand zu berichten, schreibt er, in guter journalistischer Tradition, was er sieht. Etwa, dass die Feuerwehrkinder gefährlich nahe um die Gasflaschen herumwuseln, als sei dies ein vergnügter Familienausflug und kein Ernstfall. Und wenn dann Kommandant und Bürgermeister in die Redaktion kommen, um sich zu beschweren, dass man das doch nicht schreiben könne, weil es den Ruf der Feuerwehr beschädige, bleibt er stur. "Wenn ich das nicht mehr täte, wäre ich nicht mehr glaubwürdig", sagte er ihnen, "Sie alle wollen eine unabhängige Presse, der Sie vertrauen können." Nach wenigen Minuten hat sich die Delegation verabschiedet. Nicht glücklich, aber überzeugt. Ein couragierter Lokalreporter kämpfte um den Ruf seiner Profession. Ob es um Feuerwehr, Geflüchtete oder um Sternschnuppen über der Zollernburg geht.
Flüchtlingshetze und Hass haben bei ZAK-Facebook nix verloren
Für sein Engagement hat ihn die Jury des "Medium Magazins" unter die Journalisten des Jahres 2015 gewählt. Über seinen Kampf um das Vertrauen der ZAK-Leser hat er in Stefan Niggemeiers Medienblog <link http: uebermedien.de wie-wir-mit-der-hetze-fertig-geworden-sind external-link-new-window>einen Erfahrungsbericht geschrieben. Das NDR-Medienmagazin "Zapp" hat <link https: www.ndr.de fernsehen sendungen zapp external-link-new-window>vor wenigen Wochen über seine Mission impossible, über die Jagd nach Gerüchten, berichtet. In Balingen und Umgebung ist der Journalist schon längst bekannt wie ein bunter Hund. Ob er Tomaten im Supermarkt kauft oder in der Kneipe ein Bier trinkt – Würz wird angesprochen. Seit seinen fieberhaften Netzaktivitäten nach der Meßstetten-Entscheidung sowieso. "Ich habe inzwischen wohl mit jedem unserer 20 000 Abonnenten gechattet", scherzt er mit diesem schiefen Grinsen, das nicht so recht weiß, ob es dem Braten trauen kann. Zwei Tage und Nächte ununterbrochener Flüchtlingshass, das macht etwas mit einem.
Inzwischen ist es wieder ruhiger im Netz. Und die "Guten" sind wieder zurück, die argumentieren und inzwischen, darauf ist er besonders stolz, den Erklärjob für die größten Krawallschachteln übernehmen. Viele fragen nach seinem Erfolgskonzept, wollen es kopieren. Doch Würz hat kein Rezept. Nur ein paar Grundsätze. Einer davon lautet, die Leser ernst zu nehmen. "Zuhören ist nie falsch", sagt der gebürtige Balinger, "der Schwabe will schwätzen und keine vorgestanzten Antwortschablonen."
Sein Erfolg hat Begehrlichkeiten beim örtlichen Konkurrenten geweckt. Beim "Schwarzwälder Boten" hätte man den umtriebigen Onliner gerne abgeworben. Doch dort hat man ein Konzept, das ein schlichtes ist: Rot- und Blaulicht, Reichweite und Traffic über alles. "Das kommt von ganz oben", sagt Würz. Ganz oben ist dort die Südwestdeutsche Medienholding, zu der auch die Stuttgarter Zeitungsnachrichten gehören. Da wird munter freigeschaltet, was immer auch reinkommt. Das passte dem Journalisten nicht, der das Netz freihalten will von Hetze, Rassismus oder Erschießungsfantasien. "Schwabo" und Würz sind nicht zusammengekommen.
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hp
am 12.10.2016