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Rap-Ökonom verdrängt Politik

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Drei Jahre lang hat der Landtag das Stuttgarter Kunstgebäude okkupiert. Nun eröffnet es wieder mit einem Gipfeltreffen von Kunst und Theater, Theorie und Performance, globalen Künstlern und lokalen Initiativen. Um über Ökonomie anders nachzudenken.

"Es kommt jeden Tag jemand mit einem Kistchen", sagt Christine Peters, die mit Iris Dressler das viertägige Gipfeltreffen organisiert, mit dem vom 30. März an in Stuttgart das Kunstgebäude am Schlossplatz wieder seine Pforten öffnet. Die Veranstaltung steht unter dem Titel: "Ökonomien anders denken". Neben Künstlern, Aktivisten, Philosophen, Theaterleuten, Filmemachern und Wissenschaftlern aus allen Teilen der Welt sollen auch lokale und regionale Initiativen Gelegenheit haben, sich vorzustellen. <link https: www.tdh.de external-link-new-window>Terre des hommes ist zum Beispiel dabei, das <link http: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft die-stadt-als-labor-3535.html internal-link-new-window>Reallabor Future City Lab, sowie <link http: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft echt-fies-hier-3934.html internal-link-new-window>der Verein Stadtlücken. Einige wurden angesprochen, andere melden sich von selbst. Peters stellt "eine gewisse Eigendynamik" fest.

1913 war das Kunstgebäude eröffnet worden, erbaut von Theodor Fischer. Pünktlich zum 100-jährigen Bestehen hatte der Landtag die Räume okkupiert, weil seine nahe gelegene Heimstatt saniert werden musste. Zuvor hatte das Land die Räume für seine großen Landesausstellungen genutzt: Die Römer, Fußball, 100 Jahre Linden-Museum, Eiszeit, die Kelten – ein rechtes Sammelsurium.

"Es hat auch sein Gutes gehabt, dass der Landtag den Bau drei Jahre lang besetzt hielt", meint Dressler nun: Es gab Zeit, nachzudenken. An die lange Geschichte des Orts ließ sich anknüpfen: Bis 1902 hatte sich an dieser Stelle das Hoftheater befunden, in dem, mehrfach umgebaut, zuerst zur Oper, dann zum Theater, noch die letzten Reste des Neuen Lusthauses aus dem 16. Jahrhundert steckten. Dann brannte das Theater ab, die Lusthaus-Ruine wanderte in den Schlossgarten und das Kunstgebäude entstand.

Von 1961 an teilte sich der Württembergische Kunstverein (WKV) das wieder aufgebaute Gebäude mit der Galerie der Stadt Stuttgart. Schon vor deren Auszug ins Kunstmuseum 2005 hatte Andreas Jürgensen, der damalige, früh verstorbene Leiter des WKV, eine Reihe von Vorschlägen zur weiteren Nutzung erarbeitet. Doch es war zu keiner Entscheidung gekommen. Schließlich zog sich der Kunstverein, nunmehr unter der Leitung von Hans D. Christ und Iris Dressler, in den modernen Vierecksaal und den Glastrakt im hinteren Gebäudeteil zurück und der Landtag zog in den Kuppelsaal ein.

Programmkonferenz für Begegnung zwischen den Künsten

Theater und Kunst sind auch an der aktuellen Konzeption wieder beteiligt, die in dieser Zeit entwickelt wurde. Noch unter Staatssekretär Jürgen Walter, Petra Olschowskis Vorgänger im Wissenschaftsministerium, kamen Vertreter der Institutionen zusammen, die nun auch die Eröffnungsveranstaltung gestalten: Staatstheater, WKV, Kunstakademie, Theater Rampe, Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) und Solitude-Akademie. Sie suchten die Begegnung zwischen den Künsten. Nicht ein Intendant, sondern eine Programmkonferenz sollte die Inhalte bestimmen.

Mit dem Regierungswechsel stand alles wieder in Frage. Allerdings rückte der Termin näher. Die Beteiligten einigten sich auf eine zweijährige Interimsphase. Deren Kern ist ein jährliches Gipfeltreffen, das erste nun vom 30. März bis zum 2. April. "Es gibt noch keinerlei politische Entscheidung über den endgültigen Zustand", betont Dressler. Wechselnde Träger verantworten in den kommenden zwei Jahren einzelne Programmpunkte – und arbeiten zusammen: Anfang Mai folgt das Trickfilm-Festival, im Herbst eine große Ausstellung zur Reformation, im kommenden Jahr eine weitere zum Bauhaus. Historische Ereignisse sollen mit den Mitteln aktueller Kunst neu und kritisch hinterfragt werden.

"Gipfeltreffen", das klingt nach Politkonferenz, wo Staatenlenker und Generäle die Marschrichtung beraten. Um politische Themen, "nicht nur um einen Kampf gegen neoliberale, sondern auch gegen antidemokratische und neofaschistische Zustände" soll es durchaus gehen, wie es im Programmflyer heißt. Den vorhersagbaren Beschlüssen der mächtigen Wirtschaftsnationen der Welt möchten die Veranstalter indes "neue Narrative" entgegensetzen: "Welche besonderen Potenziale bergen Poesie, Imagination und Fiktion für die Modelle einer anderen Ökonomie?"

Eine klassische Konferenz soll es gerade nicht werden. Eher eine Begegnung von bildender Kunst und Theater, Theorie und Performance, erklärt Christine Peters, die 2004 nach zwölf Jahren am Künstlerhaus Frankfurt zum Festival "Theater der Welt" nach Stuttgart kam und heute als freie Kuratorin arbeitet. "Wie setzt man die Dinge, die ohnehin schon in Bewegung sind, in ein neues Format?", diese Frage war Ausgangspunkt ihrer Planungen für das Gipfeltreffen. Es geht um "neue Allianzen", sagt Peters, darum, "Teilöffentlichkeiten" aus dem Bereich der Kunst, der Wissenschaft, aber auch der Stuttgarter Initiativen miteinander in Verbindung zu setzen, um "politisch wirksam zu werden." Gerade Künstler sehen sich gezwungen, sich mit dem Bereich der Ökonomie ständig auseinanderzusetzen. "Kein einziger", sagt Peters, "der nicht in einem anderen Bereich ein Standbein hätte."

Sie arbeiten als Kuratoren und Lehrer, Autoren und Aktivisten. Sie verbinden wie das MTL Collective, das auf dem Treffen seine Arbeit vorstellen wird, Ästhetik mit Recherche und Aktion, wenn sie an Orten der Hochkultur Themen wie globale Ungleichheit, Rassismus oder die israelische Besatzung des Westjordanlandes ansprechen. Nitasha Dillon ist Künstlerin, Amin Husain Anwalt. Im Kleinen führen sie vor, was das Gipfeltreffen im Großen sein will: ein Forum des Austauschs zwischen Kunst, Wissenschaft und Politik, um, so Peters, "vorhandene Denkroutinen aufzubrechen" und "andere Vorstellungskräfte zu mobilisieren"

Mohammad Abu Hajar, der am Donnerstagabend das Programm eröffnet, hat einen Master in politischer Ökonomie. Er war aber auch einer der ersten syrischen Rapper und bezog 2004 gegen den Irakkrieg Stellung, bevor er acht Jahre später, vom Geheimdienst gesucht, nach Rom floh. Seine "Lecture Performance" wird gewiss kein akademischer Vortrag, und auch deshalb steht er an erster Stelle. Iris Dressler möchte den Zugang möglichst niederschwellig halten. Der Kuppelsaal des Kunstgebäudes ist für sie zwar ein hierarchisch strukturierter Raum. Aber die Einbauten mit zwei Podien und locker verteilten Sitzgelegenheiten sollen Routinen ebenso aufbrechen wie performative Formate und Multimedia-Events.

Es gibt Diskussionen und Workshops, auch für Schüler, die gefragt sind, ihre Eindrücke zu beschreiben. Das viertägige Programm bietet eine gute Gelegenheit, das Gebäude neu zu erkunden, denn der Eintritt ist frei, man kann reinschauen und wieder gehen. Links oben finden die Workshops statt, rechts stellen sich die Initiativen aus der Region vor, gefolgt von einer Mediathek. Geradeaus geht es in den Kuppelsaal zu den Vorträgen und Perfomances. In der Mitte bleibt genug Raum für Pausen und Gespräche.

Peters will "Denkroutinen aufbrechen"

Wer viel im Stuttgarter Kulturleben unterwegs ist, dem wird das eine oder andere bereits bekannt vorkommen. Artur van Balen hat die silbernen aufblasbaren Würfel der Gruppe "Tools for Action" bereits beim <link http: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne herberge-der-vagabunden-2259.html internal-link-new-window>Vagabundenkongress im Theater Rampe vorgestellt, gefolgt von <link http: www.kontextwochenzeitung.de kultur die-leichtigkeit-des-steins-3935.html internal-link-new-window>einem Workshop am Schauspielhaus. John Barker wiederum war bereits an der letzten Ausstellung des WKV von Ines Doujak beteiligt. Nabil Ahmed aus Bangladesch, der Umweltzerstörung im Pazifik anprangert, war Solitude-Stipendiat.

<link http: www.kontextwochenzeitung.de kultur nonsens-statt-konsens-3636.html internal-link-new-window>Auch Schorsch Kamerun, der das Programm am Sonntagnachmittag beendet, ist in Stuttgart kein Unbekannter. Der Sänger der "Goldenen Zitronen" und Mitbegründer des Golden Pudel Club am Hamburger Elbufer hat mit zwei Programmen am Schauspiel Nord unlängst für viel Aufmerksamkeit gesorgt.

"Kunst ist nicht einfach eine Illustration der Ereignisse", sagt Peters, "sondern bedeutet, durch aktivistische Praxis Politik mitgestalten." Mit von der Partie sind neben drei Parteistiftungen auch die AnStifter und das Hannah-Arendt-Institut. Dessen Mitgründerin Annette Ohme-Reineke gibt einen Workshop zum Thema "Trump als Klassenkämpfer". Das Gipfeltreffen richtet sich auch gegen den neuen Rechtspopulismus, beschränkt sich dabei jedoch nicht auf Europa: Die Beteiligten kommen aus allen Ecken und Enden der Welt, von São Paulo bis Moskau, Indien und Bangladesch.

 

Mehr Infos zum Programm gibt's <link https: kunstgebaeude.org new-narratives external-link-new-window>auf der Veranstaltungswebsite.


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