Wikström fährt währenddessen durch die Stadt, verkauft sein Geschäft, steigt bei einer Pokerpartie ein und setzt, ganz buchstäblich, alles auf eine Karte. Jetzt hat er Geld und kauft sich ein Restaurant, das vielleicht mal bessere Tage gesehen hat. Nun ja, wenn man sich diese kahlen Wände, diese angeratzten Möbel und diese drei stoischen Angestellten ansieht, dann wohl doch nicht. Letztere werden von Wikström übernommen. Jawohl, auch der Koch, der im Stehen schlafen kann, mit einer Schöpfkelle in der Hand und einer Fluppe im Mund. Sowieso wird in Kaurismäkis Filmen weitergepafft, als wäre die Luft sonst zu ungesund frisch. Wobei der Regisseur das Rauchen auch als Kultur inszeniert, das Anbieten einer Zigarette als soziale Interaktion, das Feuergeben als Geste der Freundschaft.
Aki Kaurismäki und die Welt von gestern: Schon in seinen ersten Filmen, etwa "Schatten des Paradieses" (1986) oder "Ariel" (1988), konnten seine Protagonisten sich nicht in die neuen Zeiten einfügen. Sie blieben Außenseiter, bewegten sich durch ein stilisiertes Milieu der armen Leute und erfuhren dort manchmal die Solidarität der Habenichtse. Und immer noch befindet sich Kaurismäkis Kino im Kampf gegen die Moderne, die von ihm ästhetisch ignoriert wird. Hier dominiert, von Wikströms alter Limousine bis zu den Bartresen und Lampen, der Stil der fünfziger und sechziger Jahre. Sogar die Polizei tippt noch auf Schreibmaschinen herum, und wenn an den Rändern der Bilder doch mal ein Handy oder ein Computer zu sehen sind, dann wirken sie wie Fremdkörper.
Nicht realistisch, aber nah dran am richtigen Leben
Die Moderne ist bei Kaurismäki weniger eine zeitliche Kategorie als eine gesellschaftliche. Sie ist kalt und sie gehört denen da oben! Der Look des Marmors und der Glaspaläste darf seine Filme nicht okkupieren. Deshalb umgibt Kaurismäki seine Helden mit einem eigenen Stil, schenkt ihnen leuchtende Farben und faszinierende Bildkompositionen. Da wackelt die Kamera auch nicht suchend herum, da präsentiert sie lapidar einen sicheren Befund: So ist es – und nicht eventuell irgendwie anders. Natürlich mutet diese Art des Filmemachens heute nostalgisch und ein bisschen museal an. Dennoch ist zu spüren, dass es dem Regisseur letztlich nicht bloß um die Pflege von Retro-Chic geht, sondern vor allem um trotzige Verweigerung. Wobei sich Kaurismäki nur der Ästhetik der Moderne entziehen will, nicht aber deren Problemen.
Das Kino, so wie er es verstehe, sei das Kino von Renoir, Bresson oder Kurosawa, hat Kaurismäki erklärt. Es sei global und handle davon, dass die Menschen in diese Welt hineingeboren werden und versuchen, in dieser Welt zurechtzukommen. (Hollywood dagegen sei nicht global, Hollywood "kotzt nur belanglose Geschichten aus".) Auch "Die andere Seite der Hoffnung" ist in diesem Sinne global. Ohne zu zögern, integriert Kaurismäki den Flüchtling Khaled in seinen Kosmos der kleinen Leute. Da muss nicht diskutiert werden, da geht es nicht um ein abstraktes Thema, da steht vor Wikströms Restaurant plötzlich ein Mensch, der Hilfe braucht. Das ist großes Kino. Nicht realistisch, nein. Aber nah dran am richtigen Leben, gerade weil es nicht unbedingt zeigt, wie dieses Leben ist, sondern wie es sein sollte. In gewissem Sinne sind Kaurismäkis Filme utopisch. Als Khaled nachts von einem rassistischen Schlägertrupp eingekreist ist, wird er von Obdachlosen gerettet.
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