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Profi-Fußball der Herren

Kick oder Krieg

Profi-Fußball der Herren: Kick oder Krieg
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Was ist dran an den zuletzt wieder gehäuft erscheinenden Berichten über Gewalt rund um Männerfußballspiele? Und warum ist das bei anderen Sportarten anders?

"Und wenn die ganze Kurve tobt, schlägt mein Herz in weiß und rot", so singen die Fans des VfB Stuttgart seit vielen Jahren. Zu jedem Heimspiel. Zu jedem Spiel. Denn sie sind immer da, die Leute aus der sogenannten "aktiven Fanszene" auf den Stehplätzen der Cannstatter Kurve des Stuttgarter Neckarstadions. Und gefühlt vier Fünftel des gesamten Stadions, quasi alle außer den Gästefans, singen mehr oder weniger inbrünstig mit. 50.000 Leute. Sowas kann nur der Fußball. Denn der Fußball ist anders.

Beim Fußball müssen die jeweiligen Fanlager von der Polizei getrennt werden. Beim Fußball gibt's häufig Ärger, Schlägereien, man beschießt sich gegenseitig mit Feuerwerk, man klebt im Fanzug die Kameras ab und verwüstet zumindest mal das Klo, wenn nicht gleich den ganzen Wagen, man zieht, wie dumm kann man sein, die Notbremse in dem Zug, der einen zum Stadion bringt. Man benimmt sich wie ein Barbar.

Beim Eishockey, Basketball, Volleyball, Hockey, you name it, da gibt's das nicht. Beim Rugby WM-Finale in der französischen Hauptstadt Paris, Stade de France, 80.000 Zuschauer:innen, die Hälfte davon volltrunken, Generalprobe für die Olympischen Spiele, da sind gefühlt 500 Polizist:innen für die Sicherheit zuständig. Keine besonderen Vorfälle. Treffen die Fußballclubs der beiden Megacities Braunschweig und Hannover aufeinander oder Schalke und Dortmund oder Stuttgart und Karlsruhe usw., dann sind es gefühlt 5.000 Polizist:innen, Gewalt und Aggression, Krawall und Remmidemmi. Woran liegt das?

Liegt's an den Spielern?

Liegt das daran, dass beim Fußball, beim Männerfußball wohlgemerkt, nicht nur die Zuschauer:innen, sondern auch die Aktiven anders sind? Dass die Spieler von der obersten bis in die unteren Ligen ständig bemüht sind, so zu tun, als seien sie verletzt, während die Aktiven aller anderen Sportarten zumeist so tun, als seien sie nicht verletzt? Schmerzen simulieren, wo im Sport gibt es das, außer beim Männerfußball? In anderen Sportarten hat man Schmerzen, lässt sich aber nichts anmerken. Denn wer wirklich gehandicapt ist, der wird ausgewechselt. Und welche:r Sportler:in will das?

Liegt's an der Geschichte?

Oder liegt es vielleicht daran, dass der Fußball immer schon ein Vehikel war, mit dessen Hilfe sich Arbeiterclubs um die Fleischtöpfe streiten konnten, Stahl gegen Kohle, vergleichbar dem Lacrosse der amerikanischen Ureinwohner? Dagegen waren alle anderen Sportarten nicht nur bei ihrer "Entstehung", sondern auch im weiteren Verlauf deutlich elitärer geprägt: Colleges, Studierende, schauen Sie doch bitte mal, wer heute, 2023, in Deutschland Hockey spielt. Oder Handball. Oder oder oder. Das ist akademisch, das ist vorwiegend weiß, das ist bis heute nicht für alle. Und es ist ein schwieriger Take, daraus ableiten zu wollen, dass die Eliten sich halt besser benehmen können als die Proleten. Zumal wir ja gerade in Stuttgart wissen, dass es auch elitäre Fußballvereine gibt. Die Kickers oben in Degerloc schon immer "Blauer Adel" genannt, dagegen der VfB, die Jungs aus Cannstatt immer eher die Assis gewesen.

Nun reicht mir das alles noch nicht als Erklärung, denn zum Beispiel in England, da ist das auch beim Fußball anders als bei uns. Seit den schlimmen Hooliganzeiten in den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts haben die das einigermaßen hinbekommen mit der Gewalt rund um den Fußball. Brauchen auch keine Zäune in den Stadien, um die Spieler zu schützen vor den Gegenständen, die von den Rängen auf sie geworfen werden. Weil nix geworfen wird. Höchstens ein Stinkefinger mal und wüste Beleidigungen. In Frankreich, Italien dagegen, da wird geworfen wie bei uns. Und jetzt sind wir bei den Ultras. Bei der sogenannten "aktiven Fanszene".

Liegt's an den Ultras?

Die aktive Fanszene gibt es in jedem Fußballclub im deutschen Profifußball. Sogar bei dem, der von den meisten anderen nur als "die Dosen" oder "das Konstrukt" bezeichnet wird. In England gibt es die nicht. In Italien sehr wohl, denn von Italien ging sie ursprünglich aus, die Ultra-Bewegung.

Die Ränge auf der einen Seite hinter dem Tor sind bei uns quasi das Reich der aktiven Fanszene, früher war da meist eine Kurve – daher nennt man all die Stimmung machenden Fans auch gerne mal "Die Kurve". Den zentralen Teil dieses Raums nehmen die Ultras ein, das sind die mit den vielen Spruchbändern, mit den großen Choreos, die sie in mühsamer und liebevoller Handarbeit zu jedem Spiel fertigen. Und mit Fahnen und Bannern und Emblemen und Schals, mit den Symbolen ihres Vereins.

Die Ultras wissen sehr wohl, dass sie im Grunde genommen allein verantwortlich sind für die Stimmung in deutschen Fußballstadien mit den unterschiedlichen Gesängen und Ritualen. Dass sie (und sonst niemand) bestimmen, was wann gesungen wird. Fühlt sich auch häufig toll an für alle anderen Zuschauer:innen im Stadion und daheim oder in der Kneipe vor dem Fernseher. Auch die DFL und der DFB wissen, dass bunte stimmungsvolle Bilder mehr TV-Erlöse bringen als schweigende Ränge. Sah ja auch seltsam aus, die Geisterspielatmosphäre noch neulich in der Pandemie.

Wo aber nun die Ultras, die Kurve, die aktive Fanszene bei Fußballspielen vor Publikum sich tummelt, da liegt auch immer eine gewisse Aggressivität in der Luft. Auswärts gilt es, das Revier zu markieren, "Hurra, Hurra, die Schwaben, die sind da", singen unsere in der Fremde, entsprechend ihr Zeugs singen die Fans anderer Vereine, wenn sie zu uns kommen. Und hier fangen die Probleme an – denn es bleibt nicht bei diesen Gesängen. Es wird übelst herbeleidigt, gedroht, es wird häufig in schwarzer Kleidung geradezu paramilitärisch aufgetreten, es wird getan, als befände man sich im Krieg. Die gegnerischen Fans, vor allem die gegnerische aktive Fanszene, das sind die Feinde. Die provozieren wir, wo wir können. Denen klauen wir ihre Embleme, wir versuchen, in ihre Räume einzubrechen, wir werfen Flaschen auf sie oder schießen gleich Raketen in ihren Block oder doch zumindest bei denen aufs Spielfeld. Manche schmuggeln sogar Pyrotechnik in den eigenen Farben in den gegnerischen Block und versuchen, diese dann per Fernzündung zum Brennen zu bringen, auf dass der gegnerische Block in den eigenen Farben leuchte.

Und weil unsere Gesellschaft zu einem gewissen Prozentsatz aus Arschlöchern besteht und weil alle Welt ins Stadion geht, tummeln sich eben auch im Stadion eine Menge Arschlöcher. Und weil in der Kurve eben doch überwiegend junge Männer stehen, ist da überproportional viel Testosteron, viel Alkohol, viel Selbstüberschätzung und Proletentum vertreten, das heißt, manchmal scheint es, als gingen nur Arschlöcher zum Fußball. Leute, die andere Leute jagen, weil sie ein anderes Trikot anhaben. Leute, die nichts anderes von sich geben als Beleidigungen und Drohungen. Leute, die ihre Minderwertigkeitskomplexe im Stadion ausleben.

Und jetzt? Ich bin selbst oft im Stadion, kenne einige Leute aus der Kurve, die sind allesamt super Typen. Keine Krawallbrüder. Und trotzdem sind die Verhältnisse beim Fußball bei uns, wie sie sind. Nämlich aggressiv bis über die Schmerzgrenze hinaus. Beim Rugby sind auch überwiegend Männer auf der Tribüne. Aber der Südafrikafan im Springboks-Trikot säuft Arm in Arm mit dem Neuseeländer in All Black. Und kann ums ganze Stadion herumlaufen, ohne fürchten zu müssen, wegen seines Trikots massakriert zu werden. Wenn ich dagegen im VfB-Trikot mit dem roten Brustring, diesem schönsten aller Trikots, nach Karlsruhe fahre, werde ich quasi schon an den Außengrenzen der Stadt von bewaffneter Polizei aufgehalten und an der Weiterreise gehindert. Wegen meines Trikots. Als herrschte Krieg zwischen Stuttgart und Karlsruhe. Liebe Leserinnen und Leser, können Sie mir vielleicht sagen, warum das so ist?


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5 Kommentare verfügbar

  • SSV Ulm 1846
    am 28.11.2023
    Antworten
    Es liegt an der Polizei.
    Nicht immer, aber immer öfter.
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