Was wäre, wenn der Neckar eigene Rechte hätte oder der Schwarzwald? Dann könnte der Fluss gegen die Stadt Stuttgart vor Gericht Klage führen lassen wegen der Einleitungen der Stadtwerke, die seine Wasserqualität verschlechtern. Oder der Schwarzwald gegen eine neu zu bauende Autobahn. Grundlage der Klage wäre für Fluss und Wald eine Neufassung des Grundgesetzartikels 20a: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die Rechte der Natur, die natürlichen Lebensgrundlagen, die Pflanzen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung ... ." Diese Neufassung schlägt das "Netzwerk Rechte der Natur" vor. Die Initiative, in der auch Christian Cray aktiv ist, möchte die Rechte der Natur so in der Verfassung verankern, wie das für die Menschenrechte der Fall ist. "Das sind Dinge, die erstmal undenkbar sind, bis man sie macht", sagt Cray. Fünf Jahre lang hat er in Ecuador gelebt, dem Land, das 2008 als erstes Land der Welt die Rechte der Natur in der Verfassung verankert hat. Seit einem Jahr lebt er in Freiburg.
Herr Cray, bitte erklären Sie uns, warum die Natur eigene Rechte braucht.
Reizvoll wäre doch, wenn ein Fluß, der ja ein vernetztes Gewebe des Lebens ist, eigene Rechte hätte oder ein Berg oder ein Wald oder eine bedrohte Tierart. Unternehmen sind ja bereits Rechtssubjekte, aber ein Ökosystem, das viele Aufgaben erfüllt – ich sage extra nicht "Dienstleistungen" – ist es nicht. Aber warum muss ein Ökosystem gegenüber den Interessen eines kapitalgedeckten Konzerns von vornherein den Kürzeren ziehen, wie es meistens so ist? Das ist doch unfassbar in einer Zeit, wo wir wissen, dass wir die planetarischen Grenzen überschreiten und uns gefährlich ökologischen Kipppunkten nähern. Wir sind ja selbst Natur. Wir atmen Luft, wir wollen sauberes Wasser, wir waren noch nie so gut informiert über unser Handeln, und trotzdem geht die Zerstörung weiter. Und die rechtliche Ebene ist eine neue Ebene, die noch gar nicht ausgeschöpft ist.
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Wir haben im Hambacher Forst einen Großkonzern, der will Kohle abbauen in einer Zeit, wo klar ist, dass Kohleabbau das falsche Signal ist. Wenn Sie sich jetzt vorstellen, der Hambacher Forst hätte in eigenem Namen sprechen können vor Gericht, hätte das eine andere Wirkung gehabt, als wenn ein Großkonzern mit seinen wirtschaftlichen Interessen gegen den Wert der Natur lediglich als Erholungsort für den Menschen antritt.
Reichen die gültigen Umweltgesetze nicht aus, um die Natur wirksam zu schützen?
Der Punkt ist: Mit der Natur als Trägerin von Klagerechten könnte eben diese Umweltgesetzgebung entscheidend an Schlagkraft gewinnen. Bestehende Gesetze werden ja nicht überflüssig. Aber in der gegenwärtigen Umweltgesetzgebung gewinnt meistens das Industriegebiet gegen das Teichbiotop und dann wird halt asphaltiert oder versiegelt. Um überhaupt gleiche Grundvoraussetzungen zu haben, um gleichwertige Bedingungen zu haben, muss der Andere, in dem Fall die Natur, aufgewertet werden. Es geht nicht darum, dass die Natur jeden Prozess gewinnt. Es gibt ja auch Konflikte des Menschen gegen die Natur – etwa bei der Ernährungsfrage.
Und was ist mit den SDG ( Sustainable Development Goals), den 17 Nachhaltigkeitszielen der UN? Also nachhaltige Städte, saubere Energie, Klimaschutz, Leben unter Wasser schützen und so weiter?
Eine Stadt wie Freiburg, die behauptet, "green city" zu sein, sagt: Natürlich, die SDG sind für uns maßgeblich und bindend. Es gibt ein Nachhaltigkeitsbüro, einen Nachhaltigkeitsrat und die machen das. Wir können vielen guten Aktionen ein SDG-Label geben, aber ein Garant für den sozialökologischen Wandel ist das nicht. Wir haben ja einen unverrückbaren Glauben daran, dass die Technik von heute die Probleme quasi auf derselben Ebene löst, auf der sie entstanden sind. Dabei haben die Probleme in ihrer Reichweite längst die zurzeit verfügbaren technischen Lösungen überholt. Ohnehin sind die meisten Umwelttechniken ja Technikfolgenreduzierungstechniken, was ja schon ein Hinweis darauf ist, dass das Denken insgesamt verkehrt ist. Wenn trotz der vielen Rechte und Verordnungen es der Natur, also unseren eigenen Lebensgrundlagen schlechter geht, dann fehlt es an der Durchsetzung der Gesetze. Die erreicht man nur, wenn die Sache, um die es geht, eben nicht Sache, sondern Subjekt mit eigenen Rechten ist.
Wie soll die Umsetzung denn ganz praktisch aussehen?
Dafür müssen wir im Prinzip eine Gesetzgebung schaffen, in der die Natur eine eigene Stimme hat, die dann von jemandem anwaltschaftlich vertreten wird. Es hat sich in der Rechtsgeschichte gezeigt, dass immer wenn legitime Interessen von sozialen Gruppen durchgesetzt werden sollten, das nur möglich war, wenn sie sich auf eine eigene Rechtsträgerschaft berufen konnten. Das kann jetzt ein Fluss sein, ein Ökosystem. Das kann auch das Klima sein oder eine Tierart. Aber der Staat ist und bleibt der zentrale Akteur zur Durchsetzung und Umsetzung und Achtung und Wahrung von Rechten. Das bleibt auch bei den Rechten der Natur natürlich so.
3 Kommentare verfügbar
Aas im Ärmel
am 21.05.2024Bereits jetzt ist in § 20a Grundgesetz die Verpflichtung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere verankert.
Im Bundesnaturschutzgesetz heißt es in § 1 sogar "Natur…