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Altdorfer Wald und "Herrschaftsholz"

Zoff um Kies unter Bäumen

Altdorfer Wald und "Herrschaftsholz": Zoff um Kies unter Bäumen
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 Fotos: Jens Volle 

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Der Bedarf ist groß und die Lügen sind es auch. Während Firmen wie Meichle+Mohr in Oberschwaben weiterhin tonnenweise Kies abbauen wollen, haben UmweltschützerInnen Protest-Baumhäuser bezogen. Sogar mit schwebenden Sofas. Ihr Motto: Peace statt Kies.

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Es geht, vordergründig, um einen Wald, in dem junge Leute, oft mehr als vierzig, in Baumcamps wohnen, weil sie Bäume schützen wollen, die Grundwasser speichern für die umliegenden Gemeinden und die dem Kiesabbau geopfert werden sollen in dieser scheinbar idyllischen Region zwischen Bodensee und Allgäu, wo Rüstungsbetriebe und Demeter-Höfe, alte Klöster und junge Start-ups einen merkwürdigen Kontrast bilden. Diese Region wurde in der Würmeiszeit von der Gletscherschmelze geprägt und hat deshalb unter Wäldern und Feldern einen Rohstoff, der noch gefragter ist in einer Wachstumsökonomie als Sand: Kies.

Man braucht ihn für alles, was Fortschritt symbolisiert: Autobahnen und Brücken, Gleise und Radwege, Parkhäuser und Tiefgaragen, Industrieparks und Einkaufszentren sowie für die Eigenheime schwäbischer Häuslebauer. Alle benötigen sie Asphalt und Beton, und den gibt es nicht ohne Kies. Daran herrschte kein Mangel, läge er irgendwo in der Landschaft. 70 Prozent der Vorkommen aber sind in Deutschland nicht zugänglich. Auch in Baden-Württemberg ist ein Großteil davon bebaut oder mit Wald, mit Agrarflächen oder mit Naturschutzgebieten bedeckt.

Pro Jahr werden in Deutschland etwa 155 Millionen Tonnen Kies abgebaut. Dennoch gibt es im Ruhrgebiet, in Niedersachen, in Berlin oder im Großraum Mannheim-Karlsruhe Engpässe. Die wenigsten Bauern wollen den schnellen Profit, sie sind ihren Böden verhaftet und ihrem Erbe, der Landwirtschaft. Die privaten Waldbesitzer bewahren, was über Hunderte von Jahren gewachsen ist und nach dem Abbau von Kies nicht renaturiert werden kann, auch wenn die Kiesfirmen das Gegenteil behaupten. In vielen Abbaugebieten wächst der Widerstand wegen der negativen Folgen: Die Waldschäden nehmen zu, die Grundwasserspiegel sinken, Baggerseen sind kein Ersatz für eine zerstörte Landschaft.

Es geht um Kohle, nicht um Kies

Den Bedarf zu reduzieren, ist die Antwort der BGR, der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, in einer Kies-Studie aus dem Jahr 2020 oder des Umweltinstituts Darmstadt. Der Anteil von Recycling-Beton liegt bei einem Prozent, er könnte nach dem heutigen Stand der Technologie bei zehn Prozent liegen. Zu viele Gebäude werden abgerissen, sie ließen sich ohne Beton, ohne Kies sanieren. Neue Baustoffe werden längst erforscht und an vielen Universitäten den Architekturstudenten vermittelt – Lehm, Holz, Hanf oder Bambus. Sie kommen noch kaum zum Einsatz (Vorarlberg ist da architektonische Avantgarde), weil Beton- und Kiesfirmen eine starke Lobby haben.

Tiefgaragen und Parkhäuser sind in Kies-Fachstudien die schlimmsten Betonfresser. Neubauten werden für Stadtplaner entbehrlich in Konzepten von verkehrsberuhigten Innenstädten. Die beiden heikelsten Aspekte von Kies sind die emotionalsten: Den Bau von Mehrfamilien-Häusern zu forcieren hieße nicht nur, den Verbrauch von Rohstoffen im Hausbau zu reduzieren, sondern auch die Zersiedelung der Landschaft, weil weniger Zufahrtsstraßen gebaut und asphaltiert würden, wofür Kies die Grundlage ist. Und dann? Kein Gärtle mehr mit Kieszaun und Hollywood-Schaukel? Das ist grüne Ideologie pur, meinen viele. Und dann noch die Forderung von Umweltinstituten und Umweltbewegungen, den Autobahnbau zu stoppen! Die Antwort: Die Baumcamps im Dannenröder Forst gegen den Ausbau der A96 mit Hundertschaften der Polizei räumen, den Wald roden und die Anarchie hat ein Ende. Ein Schampus auf die verkehrspolitischen Betonköpfe, auf die Betonindustrie und den wachsenden Kiesabbau. Kies bringt Kohle. Da sind wir wieder bei der Besetzung des Altdorfer Waldes im Kreis Ravensburg in Oberschwaben.

Ein Konglomerat aus Kiesgewinnlern

Der Altdorfer Wald, seltener Mischwald mit kleinen Biotopen, Mooren und zahllosen Quellen, ist mit etwa 10.000 Hektar, also ungefähr 100 Quadratkilometern das größte zusammenhängende Waldgebiet Oberschwabens, in staatlichem, kommunalem und privatem Besitz des Waldburg-Wolfeggschen Adels. Im bis 2020 gültigen Regionalplan für den Bodenseekreis, die Landkreise Sigmaringen und Ravensburg ist dieser Wald als Naturschutzgebiet mit Bannwald ausgegeben. Im bis 2036 geplanten Regionalplan aber soll er für den Kiesabbau freigegeben werden. Dagegen mobilisiert der Verein Natur- und Kulturlandschaft Altdorfer Wald, Teil einer Bewegung von über 30 Initiativen für einen "zukunftsfähigen Regionalplan". Regionale Sektionen von Scientists for future, Fridays for future, der BUND, Teile der SPD und der Grünen gehören dazu und etliche Bürgermeister aus dem Landkreis Ravensburg.

Der künftige Regionalplan ist für sie ein "weiter so", Wachstumsideologie ohne Nachhaltigkeit, ohne Klimakonzept. Keine Koordination von Industrieparks unter den Kommunen, der Flächenverbrauch, die Zersiedelung der Landschaft mit individualistischen Wohnformen nehme zu, sagt Barbara Herzig vom BUND, berechnet auf nachweislich zu hohem Bevölkerungswachstum. Konzepte zur Reduktion von Primär-Rohstoffen wie Kies, Recycling, Sanierung und alternative Baustoffen tauchen im Regionalplan 2035 nicht auf.

Ein konzeptionsloser "Status Quo", ohne Alternativen, ist auch eine Studie der IHK, der Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben, in der der Abbau von Gesteinsrohstoffen als unabdingbar gesehen wird, "weil wir sie brauchen für den Wohnungsbau, öffentliche Gebäude, Straßen …, ja selbst Windkraftanlagen." Die IHK vertritt die Interessen seiner Mitglieder, wozu angeblich auch viele Familienbetriebe im Rohstoffabbau zählen. Zählt dazu auch das undurchsichtige Firmengeflecht der Firma Meichle+Mohr, die den Kiesabbau in Oberschwaben monopolisiert? Zu ihr gehört in unmittelbarer Nähe des Altdorfer Waldes die Kiesgesellschaft Karsee.

Für wen sonst, vermutet der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Rudolf Bindig, einer der kompetentesten Gegner des Kiesabbaus, wird dieser Wald freigegeben, wenn nicht für deren Gewinn. Warum, fragt Bindig, hat Meichle+Mohr ein "Zielabweichungsverfahren" beantragt?" Damit aus dem Naturschutzgebiet eine Abbaufläche für das Firmenkonsortium wird und Meichle+Mohr der Pächter. Ob zu den "Familienbetrieben" der IHK auch die Asphaltmischanlage der "Deutsche Asphalt GmbH" im Umfeld des Waldes zählt, eine 100-prozentige Tochter der Strabag AG, die zur Strabag SE in Wien gehört?

Auf deren Website finden sich kuriose Querverbindungen zum Altdorfer Wald. Eigentümer der Strabag SE sind die Züblin AG Stuttgart, die Haselsteiner Gruppe und mit 25 Prozent die Rasperia Zypern, die zum Imperium des russischen Oligarchen Oleg Deripaska gehört, der seine Milliarden auch mit Waffen und Aluminium macht, die der Oligarch in die Steuer-Oase Jersey transferiert.

Um den Sumpf an Kiesgewinnlern ein wenig zu lichten, noch ein Blick auf die "Kies und Sand Maselheim GmbH", Teil der Röhm Kies GmbH. Die wird in Äpfingen bei Biberach 45 Hektar Wald abholzen, um über 30 Jahre zehn Millionen Tonnen Kies abzubauen mit dem ausdrücklichen Verweis auf die IHK-Studie, dass es sich im "Herrschaftsholz" um ein ökonomisch und ökologisch sinnvolles und "zukunftsweisendes Gesamtkonzept" handele. Nach dem Abbau werde ein "klimaresistenter Mischwald" entstehen, heißt es. Diese Firma übertrifft alles, was zur Rechtfertigung von Naturzerstörung erblufft wird: "Wie Lebensräume so kultiviert werden können, dass sie mindestens das gleiche Potenzial für Menschen, Tiere und Pflanzen wie vor dem Abbau haben – in vielen Fällen sogar wertvoller", behauptet sie.

Die Baumbesetzerin Emma Stadlbauer formuliert das etwas anders: "Wenn der Wettbewerbsdruck Firmen zur Umweltzerstörung antreibt, ist die Politik gefragt, solche Vorhaben unrentabel zu machen." Die von den Kiesfirmen als "Rekultivierung" gepriesene Aufforstung kommentiert die 17-jährige Emma Stadlbauer so: "Boden ist nicht einfach Dreck. Bodenbildung dauert Jahrtausende! Meichle+Mohr und der Regionalverband haben keinen Respekt vor diesem Prozess und kein Verständnis für den Wert von Waldböden." Vielleicht muss man aus einem anderen gesellschaftlichen Milieu kommen, um den Kiesabbau positiv zu finden? Für das Wassersportzentrum Ultramarin von Meichle+Mohr in Kressbronn-Gohren wurden 1.400 Bootsliegeplätze geschaffen, ein Yachthandel, ein Wellness-Hotel, ein Offroad-Park für SUVs, Squads und Motorräder. Nichts davon besitzt der Autor, was die Frage gut beantwortet.

Klimaschutz ist Verfassungsrecht

Ein bahnbrechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) erklärte am 29. April mehrere Klagen des BUND und des Solar-Energie-Förderverein für begründet. Das BVerfG erklärt die 1,5-Grad-Grenze des Pariser-Klima-Abkommens für verfassungsrechtlich verbindlich. Die grundrechtliche Freiheit und das Staatsziel Umweltschutz verpflichten den Gesetzgeber, einen vorausschauenden Plan zu entwickeln, um mit den noch möglichen Restemissionen sorgsam umzugehen.

Das sind auch die Forderungen der RavensburgerInnen und der jetzigen BaumbesetzerInnen im Altdorfer Wald: diesen zu schützen als Klimaspeicher und einen Klimaplan von der Stadt einzufordern. Indirekt bekamen auch sie Recht vor dem BVerfG, denn darum ging es auch in den Verfassungsklagen von Jugendlichen des BUND, Greenpeace, Germanwatch und Protect the Planet. Sie klagten, dass die Ziele und Maßnahmen Deutschlands nicht ausreichten, ihre Grundrechte vor den Folgen der Klimakrise zu schützen.


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2 Kommentare verfügbar

  • SSV Ulm 1846 - aweng asozial, aber immer antifaschistisch!
    am 11.05.2021
    Antworten
    Fortschrittlich sind die Aktivisten, ihnen gilt unsere Unterstützung und Solidarität!
    Die ganzen Neubaugebiete sind sowas von umweltschädlich: Flächenverbrauch, Verbrauch von Wohnfläche, Verbrauch von Ressourcen. Baut endlich wieder große Häuser mit vielen Wohnungen drin, so wie in den Städten.…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 5 Stunden
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