Es geht da einiges durcheinander in Oberschwaben. Da fällt das Rutenfest in der Metropole Ravensburg aus, das Schützenfest in Biberach und keiner weiß, wie es weitergeht mit der "Maß" in diesem Jahr. Da übernachten junge Menschen auf Bäumen, und die Ordnung scheint erst wiederhergestellt, als eine halbe Hundertschaft Bereitschaftspolizisten einen (!) Baumbesetzer und einen (!) Professor der FH Weingarten festnehmen. In Rechnung gestellt von der Stadt Ravensburg mit 4.050,53 Euro.
Sie geben nicht auf. In der Nacht zum 6. Februar steigen sie dem Regionalverband Bodensee-Oberschwaben aufs Dach und befestigen, ohne den geringsten Schaden anzurichten, ein Transparent mit der Losung: "Kiesexport und Asphaltwahn das ist ein Klima-Höllen-Plan". Dies, so der Mengener CDU-Bürgermeister Stefan Bubeck vor der Kreistagsfraktion, habe ihn an den Sturm auf das Capitol erinnert. An die Gewaltorgien also rechts-nationalistischer, rassistischer Hooligans des "anderen Amerika". Das ist das alte Oberschwaben. Das neue demonstriert vor dem Gebäude. Ein Bündnis von 17 außerparlamentarischen Organisationen, das in dieser breiten Aufstellung bisher einmalig ist in den Kreisen Sigmaringen, Ravensburg, Bodensee: BUND, NABU, Fridays for Future, parents4future, Demeter, der Verein Altdorfer Wald, die Initiative gegen den 1.000-Kühe-Stall in Ostrach, Kreis Sigmaringen.
Der Regionalverband Bodensee-Oberschwaben, Versammlungsort von Bürgermeistern und Oberbürgermeistern, ist zuständig für die Entwicklung des Landstrichs und hat dafür einen Plan vorgelegt, der Visionen bis 2035 vorstellt. Er ist stark umstritten, weil die Grundlage, wenig erstaunlich, ungebremstes Wachstum bildet. Der Verband spricht von einem Bevölkerungsplus von 10,3 Prozent, das Statistische Landesamt von 2,7 Prozent, und 20 Wissenschaftler von scients4future von einem "schwach ausgeprägten Willen" in den Kommunen zum Flächensparen. Ihr Mitstreiter, der Ravensburger Politikberater und Regionalplaner Martin Walser, kritisiert, dass verdichtetes Wohnen, der Tausch der oft viel zu großen Einfamilienhäuser älterer Besitzer gegen zentralere Wohnmodelle, so wenig erwogen wird wie regionale, die Ortszentren belebende Märkte oder kommunale Kooperationen für Zentren für Handwerker und Industrie, um die viel zu hohe Zersiedelung zu stoppen.
1.000 Fladen für Insekten
Längst keine heile Welt mehr ist auch die Landwirtschaft. Der Flächenverbrauch geht zu Lasten nachhaltiger, familiärer Agrarbetriebe, er hat Massentierhaltung wie den 1.000-Kühe-Stall in Ostrach oder den geplanten 1.500-Kühe-Stall in Ellwangen zur Folge, erläutert der Demeter-Bauer und langjährige grüne Leutkircher Stadtrat Alfons Notz. "Wer Biodiversität ernsthaft und effektiv fördern will, der muss dafür sorgen, dass die Kühe auf die Weide dürfen. Eine Kuh produziert während einer Weidesaison circa 1.000 Kuhfladen", rechnet er vor, "diese bilden den Nährboden für 100 Kilo Insekten. Davon können zehn Kilo Vögel ihren Futterbedarf decken. Als Bauer sage ich Ihnen: Geld kann man nicht essen. Und wenn die letzten Böden versiegelt sind, kann man mit Geld auch kein Essen mehr kaufen." Barbara Herzig vom BUND ergänzt, dass in der Bodenseeregion 70 Prozent der Insekten in wenigen Jahren verlorengegangen sind.
Da muss die CDU dagegenhalten. Landrätin Stefanie Bürkle aus Sigmaringen verweist auf den Bedarf an Wohnflächen und neuen Gewerbegebieten. Mengens Bürgermeister Bubeck nennt die Kritiker "spießbürgerlich", weil nur die ökologische Seite betrachtet werde. In Ravensburg stellt die CDU eine Anzeige "Schaffe, schaffe, Häusle baue! Jungen Familien Eigentum ermöglichen" ins Netz, beschwert sich über "die Verunglimpfung" des Regionalplans, genauso über die Einwände gegen den Kiesabbau im Schutzgebiet Altdorfer Wald (Kreis Ravensburg) – der nächsten Umweltsünde im Oberschwäbischen.
Doch so einfach ist das alles nicht mehr, nicht mal bei der CDU, die es über Jahrzehnte gewohnt war, den Landstrich zu beherrschen. Der Baienfurter Gemeinderat, mehrheitlich schwarz und zuständig für den Altdorfer Wald, sieht das ganz anders. Er will diesen Kiesabbau nicht, der laut Regionalplan pro Jahr eine Menge von neun Millionen Tonnen vorsieht, 360 Millionen über die nächsten 40 Jahre. Alle sind sich einig – dies widerspreche dem Wasser- und dem Klimaschutz. "Wir sehen alle Wege für uns offen, auch die juristischen", sagt CDU-Bürgermeister Günter A. Binder. Und Anne Talk, Klimaschutzmanagerin beim Gemeindeverband Mittleres Schussental, definiert das Flora- und Fauna-Habitat als zentralen "Klimaschützer und Wasserspeicher."
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Andreas S
am 12.03.2021