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Querdenker

Fischen im Trüben

Querdenker: Fischen im Trüben
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Oberschwaben entwickelt sich zum Hotspot der Coronakritiker. Am kommenden Sonntag sollen sich 4.000 in Ravensburg treffen, ausgerechnet am Tag des Rutenfests. Das wurde wegen der Pandemie abgesagt.

Während bundesweit die Zahlen zurückgehen, fragt man sich schon, wie es sein kann, dass Ravensburg, eine Stadt mit gerade mal 60.000 Einwohnern, das Epizentrum aller Corona-Kritiker werden könnte. Sogar ein Gerichtspräsident sei dabei gewesen, hat die Zeitschrift "Cicero" entdeckt, und der neurechte Vordenker Götz Kubitschek, der Björn Höcke gut findet, komme auch aus Ravensburg.

Zunächst fällt auf, dass die Szene schon sehr früh sehr rührig war. Da trafen sich anfangs Alternative, Linke, Weltverschwörer und vor allem Impfgegner. Bundesweit wurden ihre Clips von ihren Veranstaltungen im Internet gepostet und geliked – überwiegend von Reichsbürgern, AfD-Anhängern und Nazis – und dies ohne jegliche Gegenkommentare seitens der Veranstalter. Schnell wuchsen die Kundgebungen auf 2.000 TeilnehmerInnen, angereist auch aus benachbarten Landkreisen. Den Autonummern sei Dank.

Nun plant das erweiterte Veranstaltungsgremium, dem mittlerweile neben den Impfgegnern auch gut situierte Anwälte, Ingenieure und sonstige Freiberufler angehören, eine große Hygienedemo am kommenden Sonntag, 26. Juli, mit bis zu 4.000 Menschen. Als Star- beziehungsweise Gastredner soll Michael Ballweg auftreten, Mitbegründer der Initiative "Querdenker 711", IT-Unternehmer und selbsternannter OB-Kandidat in Stuttgart. Er pflegt gute Kontakte zu den beiden führenden Verschwörungstheoretikern Bodo Schiffmann und Bodo Schickentanz. Seit Beginn sind die "Querdenker" eng verbandelt mit der sogenannten Mitmach-Partei "Widerstand 2020", die durchaus offen ist für rassistisches und antisemitisches Gedankengut.

Der Termin zumindest ist clever gewählt. Eigentlich sollte das Rutenfest am Wochenende über die Bühne gehen – für die meisten Ravensburger ein absolutes Muss. Ein Heimatfest, das sich von vielen anderen dadurch abhebt, dass es einen Tick elitärer und frauenfeindlicher ist. So dürfen Frauen bei den meisten Trommlerkorps nicht teilnehmen, auf einen Adler dürfen sie erst schießen, wenn die Männer ihren Wettbewerb beendet haben. Außerdem haben nur Gymnasiasten die Möglichkeit, beim Adlerschießen mitzumachen, die anderen werden mit zweitrangigen Wettbewerben abgespeist.

Ballweg & Co. locken mit dem Ruf der Trommler

Aber dieses Jahr ist alles anders. Wegen Corona wurde die Riesenfete komplett abgesagt. Zum Ärger vieler. In diesem konservativen Umfeld sehen nun die Veranstalter der Hygienedemo die große Chance, viele MitstreiterInnen zu akquirieren, die ihrem Frust über die Absage des ach so geliebten Heimatfestes freien Lauf lassen. Um der Kundgebung einen Ersatzfestcharakter zu verleihen, wurde sie gleich von 14 bis 22 Uhr angemeldet und mit den Worten "Ruf der Trommler" und "Umzug" beworben.

Dies ärgert die Stadt Ravensburg ungemein. Hatte sie doch erst in der vergangenen Woche eine Resolution zwischen Gemeinderat und Schülerrat verabschiedet, die festhielt, dass alle Festivitäten zu unterbleiben haben. Diesem Statement schlossen sich auch alle Trommlergruppen an. Und nun das: eine Hygienedemo, die die Stadt nicht will, aber auch nicht verbieten kann, die das Zeug dazu hat, ein Alternativ-Event zu werden. Die Veranstalter haben bereits angekündigt, Teilnehmer mit Bussen aus der gesamten Region heranzukarren.

Simon Blümcke, der Erste Bürgermeister der Stadt, ist hörbar sauer. Anstatt sich über "unsere kollektive Leistung" bei der Corona-Abwehr zu freuen, sagt er, würden Fakten von den Demonstranten "schlicht ignoriert". Ein Blick ins Ausland würde doch genügen, empfiehlt er und schließt mit dem Seufzer, dass ihm lebende Demonstrierende lieber seien als "sich stapelnde Särge vor unseren Krankenhäusern. Aber auch der Vorschlag, die Kundgebung um eine Woche zu verschieben, stieß auf taube Ohren. Trotz oder gerade wegen der enormen Sprengkraft des Rutenfestentzugs, halten die Veranstalter an dem Termin fest. Jetzt müssen sie für jeweils zehn TeilnehmerInnen eine Ordnungskraft stellen, einen Mindestabstand von 1,5 Meter einhalten sowie Musikbeschallung, Essen- und Getränkeverkauf unterlassen.

Damit verschärft sich die Spaltung, gerade auch in dieser Region, der eine gewisse Holzköpfigkeit nicht fremd ist. Es ist schwer erträglich zu erleben, wie dieses Thema, wie kaum ein anderes, schon zu Beginn der Coronakrise Menschen auseinandergetrieben hat. So kämpften selbst in der Ravensburger Kultkneipe "Räuberhöhle", aber auch in vielen Bekanntenkreisen, zwei Fraktionen mit unüberwindbaren Meinungen gegeneinander. Freundschaften sind an Dialogen wie diesen zerbrochen: "Du gehst als Impfgegnern mit Nazis auf die Straße." Antwort: "Wenn wir für die gleiche Sache kämpfen, geht das für mich in Ordnung."

Viele sehen in den Coronakritikern Egoisten, die auf hohem Niveau jammern. Ein Heimatfest, das nicht stattfindet, ein gebuchter Urlaub, der nicht angetreten werden kann, oder das Tragen einer Maske – das schränkt das Wohlbefinden ein. Genau auf dieser Klaviatur spielt Michael Ballweg auch in seinem neuesten Videobeitrag auf Facebook. Er behauptet, eine Maskenpflicht sei unnötig, da sie TrägerInnen nicht vor Bakterien und Viren schütze. Dies stimmt zwar einerseits, aber andererseits wird dadurch der oder die andere geschützt. Was kann es Schöneres geben, als dem Gegenüber mit einer Maske zu signalisieren, du bist mir wichtig?

Selbstverständlich werden auch das Grundgesetz und die allgemeinen Freiheitsrechte bemüht, bis die eigentliche Zielgerade erreicht wird: die allgemeine Impflicht. In diesem Zusammenhang erstaunt, dass noch niemand aus dieser Truppe ein Wort über ein bedeutendes Unternehmen am Ort verloren hat: über Vetter Pharma international, ein weltweit führender Dienstleister für keimfreie Abfüllung und Verpackung von Spritzen und anderen Injektionssystemen, mit über 5.000 Beschäftigten und mehr als einer halben Milliarde Euro Umsatz. Immerhin wird Vetter höchstwahrscheinlich die Abfüllung eines Impfstoffes in großem Stil übernehmen, sollte dieser tatsächlich gefunden werden. Die Stadt Ravensburg hofft damit die Ausfälle der Gewerbesteuer kompensieren zu können.

Aber vielleicht meint es das Herrgöttle vom benachbarten Biberach gut mit allen und lässt es am kommenden Sonntag wie aus Kübeln regnen. Damit wäre zumindest gesichert, dass die Veranstaltung nicht bis in die Abendstunden gehen würde.


Autor Made Höld ist einer der Initiatoren der Bewegung "Oberschwaben ist bunt", die sich als linksalternative Kraft versteht.


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29 Kommentare verfügbar

  • Karl Heinz Siber
    am 12.08.2020
    Antworten
    Die Formulierung "selbsternannter OB-Kandidat in Stuttgart" ist ein Armutszeugnis für den Autor dieses Artikels. Jeder, der sich in unserem Land als Bewerber für ein Amt zur Wahl stellt, ist ein "selbsternannter Kandidat", weil das nun mal eine freie Willensentscheidung ist, die jeder für sich…
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