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Corona und die Folgen

In der Zwischenwelt

Corona und die Folgen: In der Zwischenwelt
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Im baden-württembergischen Sozialministerium hat man wegen Corona drei Rechtsstäbe eingerichtet. Deren 20 JuristInnen sind seit Monaten im Dauerstress. Einer von ihnen ist Steffen Erb.

Steffen Erb kann sich momentan nichts Schöneres vorstellen, als ein paar ruhige Tage auf der Schwäbischen Alb mit der Familie zu verbringen. Der 43-jährige Ministerialrat ist Jurist, seit vielen Jahren im Dienst des Landes Baden-Württemberg und seit Beginn der Corona-Pandemie in verschiedenen Funktionen für den Krisenstab im Einsatz. Aktuell ist er Leiter der Stabsstelle I im Sozialministerium, die für die Ausarbeitung der Corona-Verordnungen zuständig ist. Die etwa zehnköpfige Gruppe ist eine von drei Stabsstellen, die sich mit rechtlichen Fragen rund um die Corona-Verordnung befasst.

Erb hat mit seinen Leuten gerade die 13. Überarbeitung gemeinsam mit dem Justizministerium und den beteiligten Ressorts auf den Weg gebracht und zum ersten Mal seit März Zeit zum Durchatmen. Die Lage hat sich entspannt und auch Erb kann vom Turbobetrieb runterschalten.

Der ausgebildete Jurist Steffen Erb ist verheiratet und hat drei Kinder. Nachdem Erb von 2005 bis 2010 als Rechtsanwalt in einer Stuttgarter Kanzlei tätig war, wechselte er ins Sozialministerium und befasste sich mit den Themen Sozialer Arbeitsmarkt und Grundsicherung. Von 2012 bis 2016 war er in der Zentralstelle des Ministeriums als Bundesratsreferent, wurde dann für zwei Jahre abgeordnet an das Staatsministerium, bevor er als stellvertretender Leiter des Referats Schutzkonzepte für den Kinderschutz tätig war. Seit Mai 2020 ist der 43-Jährige Leiter des Referats Rentenversicherung und Leiter der Stabsstelle I, Corona-Verordnungen.  (lan)

Detailarbeit im Regelungschaos

Seit 1. Juli ist die komplett überarbeitete "neue Rechtsverordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus" in Kraft. Sie wurde neu gefasst, um für mehr Übersichtlichkeit und Klarheit zu sorgen. Zuvor hatten sich Kritiker immer wieder am "Regelungschaos" gestört wegen sich ständig ändernder Vorschriften. In Einrichtungen, Unternehmen und Institutionen waren sich die Verantwortlichen oft nicht klar darüber, was eigentlich Sache ist.

"Damit einzelne Bereiche wieder geöffnet werden konnten, mussten wir in jedem Einzelfall dafür sorgen, dass die Öffnung von einer Verordnung begleitet wird, die die notwendigen infektionsschützenden Maßgaben enthält", sagt Erb. Und das erfordert enorm viel Detailarbeit. Für Kritik aus der Bevölkerung an der zwischenzeitlichen Unübersichtlichkeit kann Erb Verständnis aufbringen. Abwegig allerdings findet er den Verdacht, dass die Politik die Pandemie nutzen wolle, um die Bürgerrechte auszuhebeln oder ein autoritäres Impfregime einzuführen. Auch die Juristen im Sozialministerium haben mit Sorge verfolgt, wie Tausende demonstriert haben.

Dem in Passau ausgebildeten Juristen ist bewusst, wie sensibel das Thema ist. Ausdrücklich verweist er darauf, dass es im Zeichen des Infektionsschutzes möglich ist, auch noch stärker in die Grundrechte der Bürger einzugreifen. Und er sagt, es sei extrem wichtig in dieser Situation, dass die betroffenen Menschen die Möglichkeit haben, den Klageweg zu beschreiten. "Das macht unseren Rechtsstaat gerade aus, dass jedem die Möglichkeit gegeben wird, staatliche Maßnahmen überprüfen zu lassen", sagt der Stabsstellenleiter. Wenn er auf andere Länder schaut, sagt er, sei es momentan besonders wichtig, dass die Instrumente des Rechtsstaats intakt sind.

Im Maschinenraum der Landespolitik

Erb ist offen im Gespräch, er legt Wert auf Transparenz. Und er freut sich, dass auch einmal die Juristen hinter den Kulissen in den Blick kommen. Denn öffentlich stehen die Politiker im Fokus. Oder ihre Gegner bei den Demos. Die Mitarbeiter, die in der Pandemie mit Sonderaufgaben betraut worden sind, arbeiten in einer Art unsichtbaren Zwischenwelt. Wie die Amtsärztin, von der Erb erzählt, die in den ersten zweieinhalb Monaten der Pandemie sieben Tage die Woche jeweils 14 Stunden gearbeitet habe. Auch das ist ihm wichtig: darauf hinzuweisen, dass die Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich der Gesundheitsabteilung und bei den Gesundheitsämtern "einen herausragenden Job machen". Viele dieser Experten im Hintergrund arbeiteten über Wochen an der Belastungsgrenze. Und das in einer Pandemie, die in diesem Ausmaß bislang einmalig ist in der Geschichte der Bundesrepublik, gibt Erb zu bedenken.

Aus diesem Grund wurde im Sozialministerium unter anderem der Rechtsstab Corona Verordnungen installiert. Dafür wurden Juristen aus dem Haus und anderen Ministerien sowie vom Regierungspräsidium abgezogen und auch bereits pensionierte, erfahrene Beamte wieder eingebunden. Erb beispielsweise leitet im Normalbetrieb eigentlich das Referat Rentenversicherung im Sozialministerium.

Die Juristen arbeiten sozusagen im Maschinenraum der öffentlichen Verwaltung. Nur das Ergebnis ihrer Arbeit ist öffentlich sichtbar, aber nicht die Umstände, unter denen diese Ergebnisse zustande kommen. Wenn die Landesregierung Einschränkungen beschließt, formulieren sie dafür rechtssichere Verordnungen. Sie wägen ab, wie stark die Einschränkungen sein müssen, wie sehr Grundrechte berührt werden und wann und mit welchen Maßgaben sie wieder zurückgenommen werden können.

Bereitschaft rund um die Uhr

Seit Mitte März ist das Ministerium sieben Tage in der Woche rund um die Uhr im Alarmzustand gewesen, erzählt Erb, er und seine KollegInnen sind praktisch ständig in Bereitschaft. Je nach Entwicklung der pandemischen Lage musste es schnell gehen. Manchmal wurde an einem Tag eine Verordnung verfasst, mit anderen Ressorts abgestimmt, dem Minister vorgelegt und der hat nachts noch unterschrieben. So entsteht an einem Tag, was im normalen Verwaltungsablauf oft Wochen in Anspruch nimmt.

Manche Verordnung wurde übers Wochenende fertig gestellt, damit am Montag zum Beispiel Einzelhandelsbetriebe mit klaren Hygienevorgaben öffnen konnten. "Wir haben uns immer nach der Infektionslage gerichtet", sagt Erb. Der Grundsatz sei, so wenige Grundrechtseingriffe wie möglich. Aber Erb kann auch die Klagen von Ladenbesitzern und Verantwortlichen in Einrichtungen verstehen, für die dennoch manche Verordnung zu spät gekommen ist, weil sie ihre Läden gerne früher wieder geöffnet hätten oder die Einrichtungen nicht so schnell auf eine neue Rechtslage reagieren konnten.

Klar ist für den Juristen, dass bei den Verordnungen, die so schnell verfasst worden sind, auch einiges nachjustiert werden muss. Vor allem die Öffnungen nach dem Lockdown, sagt er, seien nicht einfach gewesen. Denn es müsse in der Verordnung jeder Schritt genau geregelt werden, wie wieder geöffnet werden kann.

Weil das alles doch eine komplexe Materie ist, beantworten die Juristen auch Anfragen von BürgernInnen, Unternehmen und Verbänden. Die kamen in den Hochzeiten der Krise manchmal im Minutentakt herein. "Glücklicherweise keine Beschimpfungen, mit denen sich häufig Politiker konfrontiert sehen", atmet Erb auf. Meistens gehe es um Auslegungsfragen. Wenn eine Veranstaltung mit bis zu 100 Personen erlaubt ist, zählen das Personal oder externe Dienstleister auch dazu? Nein, die bleiben außen vor, konnte Erb in diesem Fall Entwarnung geben.

Mehr als 100 Klagen gegen Corona-Verordnungen

Begleitend zur 13. Fassung der Corona-Verordnung sind mittlerweile insgesamt 57 Ressortverordnungen erlassen worden. Neben dem Rechtsstab für die Verordnungen bestehen zwei weitere Stabsstellen. Der Stabsbereich II befasst sich mit den Klageverfahren rund um die Verordnungen.

Mehr als 100 Klagen liegen zurzeit gegen die Beschränkungen der Corona-Verordnungen vor. Klagen reichen diejenigen ein, die die Maske nicht als Schutz, sondern als Maulkorb empfinden und dagegen demonstrieren. Ladenbesitzer wiederum betrachten die Masken als Shopping-Stopper. Geklagt wird gegen die vorgegebenen Abstandsregeln, zum Beispiel in Lokalen. Klagefreudig sind vor allem der Einzelhandel, die Fitnessbranche und das Hotel- und Gaststättengewerbe.

Der Stabsbereich III kümmert sich unter anderem um Entschädigungsfragen. Für Anträge auf Verdienstausfall-Entschädigungen wegen Kita- oder Schulschließungen sowie wegen Quarantäneanordnungen sind die Regierungspräsidien zuständig. Allein beim Regierungspräsidium Stuttgart sind nach eigenen Angaben bis Ende Juni insgesamt 5.000 solcher Anträge eingegangen, davon 700 auf Elternhilfe. Im entsprechenden Paragrafen heißt es: Bei Schul- und Kitaschließungen können sorgeberechtigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Selbstständige für maximal zehn Wochen eine Entschädigung aufgrund von Kindertagesstätten- oder Schulschließungen erhalten. Der Bedarf ist offenbar groß. Die Abarbeitung wird sicherlich Wochen in Anspruch nehmen. Steffen Erb und seine KollegInnen werden noch ein bisschen warten müssen auf die erholsamen Tage auf der Schwäbischen Alb. Leider. Denn eines liegt Steffen Erb besonders am Herzen: die Rückkehr zur Normalität.


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2 Kommentare verfügbar

  • Ruby Tuesday
    am 25.07.2020
    Antworten
    Meine Frage wäre heute, wie werden Gerichte mit der Klageflut etwa bei Hassmails fertig und warum gelingt es eigentlich nicht solche fortgesetzten Rechtsbrüche wie Cum ex, Wirecard, Verstöße gegen Mindestlohnregelungen oder verheerende Arbeitsbedingungen im Vorfeld zu bewerten und einzuschränken.…
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