Vieles bewegt sich in einer Grauzone. So beruft sich der Anbieter Tipico, für den Ex-Nationaltorwart Oliver Kahn wirbt, auf eine EU-Lizenz. Aber auch Anbieter ohne Lizenz sind ganz einfach im Internet zu finden. Ins Darknet müsse man da gar nicht abtauchen, meint Epperlein. Besonders ärgert ihn, dass bundesweit im Fernsehen für Online-Glücksspiele geworben werde, mit dem Zusatz, dass dies nur für Einwohner Schleswig-Holsteins erlaubt sei. Denn das Land hat in der Vergangenheit schon einen Sonderweg eingeschlagen, hat sich dann den anderen Ländern wieder angeschlossen, nun aber im Vorgriff auf den Staatsvertrag Lizenzen an bestimmte Anbieter von Online-Glücksspielen vergeben.
Die Beschränkung auf Schleswig-Holstein sei leicht zu umgehen, sagt Epperlein. Denn es sei einfach, sich mit einer falschen Identität anzumelden oder eben irgendeinen anderen Anbieter zu wählen. Der Staat habe gar nicht die Kapazitäten, die Szene im Internet zu kontrollieren, bestätigen Suchtexperten. Und Vorgaben, wie sie ab dem kommenden Jahr bundesweit gelten sollen, dass ein Spieler nur 1.000 Euro im Monat einsetzen dürfe, könnten leicht umgangen werden, sagt Epperlein. Auch Ralf Fuchs hat über mehrere Kreditkarten gespielt.
Der Schwarzmarkt erlebt seit Jahren einen Boom, der durch die Corona-Krise weiter angeheizt worden ist. Nicht nur dem Staat entgehen dadurch hohe Steuereinnahmen, auch die staatlichen Lotterien verlieren Erträge. Der Großteil der Angebote – Sportwetten, Online-Casinos, Online-Poker, virtuelles Roulette sowie virtuelles Automatenspiel, zum Teil mit einer Konzession aus einem anderen EU-Land – wird hierzulande bisher praktisch geduldet.
Der Finanzexperte der Linken-Bundestagsfraktion, Fabio de Masi, kritisiert die mangelnde Aufsicht. Zahlungsdienstleister und die Finanzaufsicht würden wegschauen, so könnten über das Online-Glücksspiel Drogen-Kartelle und die Mafia Geldwäsche betreiben. Den gegenwärtigen Wildwuchs in Deutschland kritisiert er als "organisierte Verantwortungslosigkeit". Entschieden kritisiert de Masi "die geplante Liberalisierung der Online-Zockerbuden".
Inzwischen hat der Bundesverband der Deutschen Glücksspielunternehmen (BDGU) Klage erhoben gegen einen Privatsender, der bundesweit Werbung für Online-Glücksspiele macht, die bisher nur in Schleswig-Holstein zugelassen sind. Nachdem in den vergangenen Wochen Lotto-Kioske und Spielhallen geschlossen hatten, verzeichneten die Online-Anbieter noch stärkeren Zulauf – der Verband will die Werbeoffensive fürs Online-Glücksspiel daher unterbinden.
Politik will bessere Kontrolle – und mehr Einnahmen
Warum sind die Bundesländer an einer Legalisierung von Online-Glücksspielen interessiert? Ein Argument ist, dass den Ländern erhebliche Einnahmen entgingen. Deutschland ist der größte Glücksspielmarkt Europas, auf dem ein Fünftel der Umsätze auf dem Schwarzmarkt erzielt werden. Als Grund wird aber auch genannt, dass die Spieler in einem unregulierten Markt nicht geschützt werden könnten. Aber für Suchtexperten wie Epperlein sind die Vorgaben zum Schutz von Spielern im Internet ohnehin fraglich, weil dort Missbrauch, zum Beispiel durch falsche Identitäten, leicht möglich sei. Anders als im realen Leben, wo die Zahl der Automaten in einer Spielhalle oder in einem Casino reglementiert ist und die Spieler unter Beobachtung stehen.
Laut dem neuen Glücksspielvertrag soll es auch eine gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder geben. Dies begrüßt der Hohenheimer Forscher Tilman Becker, denn es eröffne Möglichkeiten, effektiver gegen illegale Anbieter im Internet vorzugehen. Voraussetzung dafür sind für ihn aber einige wesentliche Verbesserungen des Vertrags, die er in vier Forderungen zusammengefasst hat. Erstens müsse die neue Behörde Rechtsverordnungen erlassen können, damit sie schnell auf die rasanten technischen Entwicklungen reagieren kann. Zweitens sollten illegale Internet-Angebote ebenso besteuert werden wie die legalen, damit sie keine Vorteile gegenüber legalen Anbietern haben, die oft eine Steuer- und Abgabenlast von fast 50 Prozent haben. Drittens sollte im Strafgesetzbuch die Möglichkeit geschaffen werden, auch strafrechtlich gegen illegale Anbieter vorgehen zu können. Die entsprechenden Paragrafen des auf Deutschland beschränkten Strafgesetzbuches müssten an die Situation im Internet angepasst werden. Viertens fordert Becker, die wissenschaftliche Glücksspiel-Forschung zu stärken.
Im kommenden Jahr soll der Staatsvertrag in Kraft treten. Das Land Baden-Württemberg begrüßt ihn, "weil im Glücksspielwesen etwa wegen der Online-Angebote und der länderübergreifenden Werbung ein ländereinheitliches Vorgehen sinnvoll ist", betont das Staatsministerium auf Kontext-Nachfrage. "Die Gefahren des Online-Glücksspiels sehen wir durchaus. Allerdings sind die Nachfrage und der Trend zu Online-Angeboten und auch Sportwetten nicht aufzuhalten", heißt es weiter. "Ein Verbot würde lediglich illegales, viel gefährlicheres Glücksspiel befördern. Über den neuen Glücksspielstaatsvertrag wird diese Nachfrage hin zu legalen, kontrollierten Angeboten kanalisiert. Dies dient insgesamt dem Spielerschutz", ist das Land überzeugt.
Daneben will Baden-Württemberg die wissenschaftliche Begleitung stärken und hat die Förderung der bundesweit einmaligen Forschungsstelle Glücksspiel in Hohenheim zugesagt. Die Einrichtung, die sich seit mehr als 15 Jahren mit Fragen zu dem Thema beschäftigt, erhält nun jährlich 100.000 Euro vom Land. Darüber hinaus engagiert sich die Staatliche Toto-Lotto-GmbH Baden-Württemberg zunächst für zwei Jahre mit jeweils 100.000 Euro. Dies ist zumindest ein Versuch, Suchtgefahren beim Online-Glücksspiel ein Stück weit einzudämmen. Inwieweit das bei einem rasant wachsenden und äußerst lukrativen Markt erfolgreich sein kann, steht auf einem anderen Blatt.
Am 27. Mai befasst sich auch der Innenausschuss des baden-württembergischen Landtags auf Antrag der FDP-Fraktion mit dem Thema. Es geht um die Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags, insbesondere auch darum, wie der Schutz für Spieler und Jugendliche gewährleistet werden soll.
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