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Rudolf Schlichter

Der Mann, der nicht lachte

Rudolf Schlichter: Der Mann, der nicht lachte
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Im Gedenkort Hotel Silber in Stuttgart hängt als einziges Kunstwerk ein Aquarell von Rudolf Schlichter. Es zeigt einen Gefangenen. Schlichter war 1936 nach Stuttgart gezogen. Nach einer Denunziation verbrachte er dort drei Monate in Haft.

Die Augenlider sind halb geschlossen, die Mundwinkel herabgezogen, die Unterlippe trotzig vorgestülpt. Die Haare kurzgeschoren, Bartstoppeln zeigen sich am Kinn. Die Gesichtsfarbe, ein ungesundes grünliches Gelb, scheint vom Licht des Vollmonds herzurühren, der durch die Gitterstäbe des Fensters die dunkle Zelle erleuchtet. Jeder Strich mit der Tuschfeder scheint einen Kratzer, jede Schattierung eine dunkle Stelle im Gemütszustand anzudeuten, seien es die Flecken unter den Augen oder die Falten der verbeulten, abgetragenen Jacke. Masken des Todes – die lachende Fratze eines noch nicht ganz verwesten Schädels, ein Erhängter, eine eingeschlagene Schädeldecke – scheinen den Gefangenen zu verspotten, der mit stoischer Miene seinem Schicksal die Stirn bietet.

Meisterhaft hat Rudolf Schlichter den Gefangenen wiedergegeben: ein Bild seiner Erfahrung einer dreimonatigen Untersuchungshaft, die im Januar 1939 zwar nicht mit einem Freispruch, aber doch mit einem Kompromiss endete. Wegen "unnationalsozialistischer Lebensweise" wurde der Künstler zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, die er durch die Untersuchungshaft bereits abgebüßt hatte. Der Grund: eine anonyme Anzeige wegen Kuppelei. Schlichter und seine Frau Katharina, genannt Speedy, hatten zwei Freunde, Otto Blessing und Dieter Sekler, als Untermieter in ihre Wohnung in der Neuen Weinsteige in Stuttgart genommen.

Wieder einmal kostete es den Künstler einige Mühe, das Unheil abzuwehren. Auf den ersten Blick kann schon verwundern, dass der ehemalige Dadaist und Kommunist, der 1920 auf der Ersten internationalen Dada-Messe in Berlin gemeinsam mit John Heartfield durch einen von der Decke herabhängenden "preußischen Erzengel" auf sich aufmerksam gemacht hatte, nicht schon früher ins Visier der Nazis geraten war. "Vom Himmel hoch da komm ich her", stand auf der Bauchbinde des Uniformierten mit Schweinskopf. "Um dieses Kunstwerk vollkommen zu begreifen", erklärte ein Schild, "exerziere man täglich zwölf Stunden mit vollgepacktem Affen und feldmarschmäßig ausgerüstet auf dem Tempelhofer Feld."

Ein Haufen begeisterter Lyncher

Schlichter war Pazifist. Dem Kriegsdienst an der französischen Front hatte er sich 1917 durch einen Hungerstreik entzogen. Seine Erlebnisse während der Mobilmachung im August 1914 hat er in einer Erzählung festgehalten, die wie der dritte Band seiner autobiografischen Schriften insgesamt den Titel "Die Verteidigung des Panoptikums" trägt: "Es genügte in diesen Tagen, durch ein ungewöhnliches Äußeres die Aufmerksamkeit der erregten Menge auf sich zu locken, um sofort einen Haufen begeisterter Lyncher auf den Fersen zu haben, die mit dem schrecklichen Ruf 'ein Spion' nicht zögerten, das ahnungslose Opfer ihres gerechten Zornes in eine unkenntliche Fleischmasse zu verwandeln."

Da der Text, 1995 veröffentlicht, nicht datiert ist und die ersten beiden Bände der autobiografischen Schriften, "Das widerspenstige Fleisch" und "Tönerne Füße", 1932 und 1933 erschienen, ist es gut möglich, dass sich die Erinnerung an den Anfang des Ersten Weltkriegs hier bereits mit neueren Eindrücken aus der Nazizeit vermengt. Jedenfalls bereiteten die zwei Bücher ihrem Verfasser nicht geringe Schwierigkeiten: Als "pervers-erotische Selbstdarstellungen" kamen sie auf Betreiben des Kampfbunds für deutsche Kultur auf die schwarze Liste der verbotenen Druckschriften.

"Aus dem beigelegten Schriftstück ersehen Sie, was für ein lächerliches Schelmenstück gegen mich inszeniert werden soll, um mich sozusagen als dunklen Fleck auf dem schimmernden Gewande arteigener Kulturbelange auszutilgen", wendet sich der Künstler im Juni 1935 an Ernst Jünger, den er einige Jahre zuvor kennengelernt hatte. Als zweiten Bürgen bemühte er Ernst von Salomon, einen rechten Autor, den er einmal porträtiert hatte. Von Salomon war 1920 als Mitglied der Freikorps am Kapp-Putsch beteiligt gewesen und zwei Jahre später wegen Beteiligung an der Ermordung Walter Rathenaus zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt worden.

Im Fall von Salomon blieb es bei diesem einen Anschreiben – ein taktischer Schachzug. Anders bei Jünger: Der Brief eröffnet einen Briefwechsel, der bis zu Schlichters Tod 1955 nicht abbricht. Jünger galt als hoch angesehener, konservativer Autor, war allerdings zu keinem Zeitpunkt ein Anhänger der Nazis. Die Initiative ging von Schlichter aus, der sich auch ökonomisch in einer prekären Situation befand und sich von Jüngers Bekanntenkreis private Verkäufe und von ihm selbst Hilfe bei Publikationen erhoffte. Denn auch seine Existenz als Künstler war gefährdet. Als er 1935 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen wurde, fragten sich die Beamten der Reichskammer der bildenden Künste, ob es unter diesen Umständen wohl zulässig sei, wenn er weiterhin als Künstler arbeite.

Beide, insbesondere Schlichter, nahmen in ihren Briefen kein Blatt vor den Mund. Um einen Eindruck zu geben, hier seine Beschreibung des Weihnachtsfests 1936 in Rottenburg, wo der Künstler seit 1932 lebte: "Am Weihnachtsabend kam das Christkindlein im Volksauto angefahren mit Sammelbüchse u. Rute. Auf seinem Brustlätzchen trug es eine Reklame für Volksempfänger mit der Inschrift: 'Praktisch denken, elektrisch schenken'! Alt u. grau gewordene Kommißstiefel schluchzten in Gasschutzversammlungen Weihnachtslieder u. betriebsame Ehegattinnen forderten wollustvoll Nachrichten über Rassenschänder ein."

Auf die Kommunisten setzt er nicht mehr

Schlichter war ein begnadeter Porträtist. Seine Bildnisse von Bertolt Brecht, Helene Weigel, Egon Erwin Kisch und anderen gehören zu den herausragenden Kunstwerken der Weimarer Republik. Auch die Kontakte zu Jünger und von Salomon waren mit Porträtaufträgen verbunden. In Rottenburg erhielt er Unterstützung von Bischof Joannes Baptista Sproll, einem offenen Gegner der Nationalsozialisten, den er ebenfalls porträtierte. 1927 hatte sich der Künstler vom Kommunismus ab- und dem Katholizismus zugewandt, einerseits aufgrund der Bekanntschaft mit seiner späteren Frau Speedy, aber wohl auch, weil er aufgehört hatte, irgendeine Hoffnung auf die Kommunisten zu setzen.

Er hatte gute Beziehungen, befand sich aber in einer heiklen Lage. Da waren nicht nur seine Vergangenheit und das drohende Berufsverbot. Erneut sah er sich von einer fanatischen Masse umgeben, deren Anschauungen er nicht teilte. Wie sich dies anfühlte, beschreibt er in der angefangenen Erzählung "Der Mann, der nicht lachte", die er nach dem Krieg auch an den befreundeten, emigrierten Künstler George Grosz schickte, um ihm zu zeigen, in welcher Lage sich diejenigen befanden, die im Lande geblieben waren.

"Moritz Steeger hielt sich gerade im Zentrum der Stadt auf", so beginnt der Text, "als die Einwohner der Befehl der Obrigkeit erreichte, die Rede des Staatsoberhauptes zu einer neuen Kriegserklärung abzuhören. Er begab sich in ein nahe gelegenes Kaffeehaus, um – freilich widerstrebend – seiner Pflicht als Bürger des Landes nachzukommen. Da geschah es, dass er an der Stelle 'wenn ich wenigstens wirkliche Staatsmänner vor mir hätte, aber mich mit Idioten und Trunkenbolden abzugeben' vergaß, in das vorgeschriebene brausende Gelächter einzustimmen."

Wenn auch die Rede "zu einer neuen Kriegserklärung" darauf schließen lässt, dass der Text nicht vor 1939 geschrieben wurde, so scheint Schlichter darin doch seine Hafterfahrungen zu verarbeiten. Der Protagonist begegnet wiederholt zwei Personen von einem "Geheimen Ermittlungsdienst" (GED), und: "Da er noch fremd war in der Stadt, betrachtete er aufmerksam die Häuser und Menschen, die an ihm vorbeizogen". Plötzlich steht er vor einem großen Gebäude, "das im unteren Stockwerk vergitterte Fenster hatte. Vom Balkon hing die Fahne der Regierungspartei herab": der Sitz des GED, also der Gestapo.

Die Maske des demokratischen Biedermanns

Moritz Steeger wird verhaftet und hat beinahe schon alle Hoffnung verloren, als er einem politischen Gefangenen begegnet, der sich schließlich als Gewerkschafter zu erkennen gibt und ihm eröffnet: "Ich bin Pazifist bis auf die Knochen!" Als er den Mitgefangenen freilich nach seinen Aussichten fragt, wieder frei zu kommen, erzählt dieser, er habe ein neues Zielfernrohr erfunden, das der eigenen Wehrmacht einen gewaltigen Vorsprung gegenüber den Kriegsgegnern geben würde. Moritz Steeger überfällt erneut ein Schwindelgefühl.

1936, im Anschluss an eine Einzelausstellung in der privaten Galerie des Mäzens Hugo Borst, war Schlichter nach Stuttgart gezogen. Während er zu Persönlichkeiten wie Borst, Jünger, Bischof Sproll, dem späteren "Vater des Grundgesetzes" Carlo Schmid und dessen Freundeskreis gute Beziehungen unterhielt, beäugten ihn Nachbarn in Rottenburg wie in Stuttgart mit Misstrauen. In Rottenburg flog einmal ein Stein durch ein Fenster, der beinahe seine Frau traf. In Stuttgart kam es aufgrund der Denunziation zur Verhaftung.

"Als ich Rudolf für das erste Mal wieder sah, erschrak ich ob seiner Magerkeit und tiefen Trauer", schreibt Speedy Schlichter Ende Januar 1939 an Ernst und Gretha Jünger. Der nächste Brief ist bereits aus München abgesandt. Von Stuttgart hatte der Künstler genug.

"Wenn ich mir das widerlichste Exemplar eines Deutschen vorstelle", macht er sich zwei Jahre später in einem nachgelassenen Text Luft, "so kommt allemal ein Württemberger heraus. Dieses legale und loyale Schwein, das mit der Maske des demokratischen Biedermanns die infamsten Instinkte tarnt, hat in seiner Geschichte nie ein edleres Lebensgefühl geäußert. Das einzig sichtbare Lebensgefühl, das alle anderen Gefühle und Empfindungen überschattet und terrorisiert, ist die Raffgier." Über dem Text steht: "An die Heimat". Schlichter, 1890 in Calw geboren, war selbst ein Württemberger.


Zum Nachlesen: Rudolf Schlichter, "Die Verteidigung des Panoptikums", Berlin 1995. Ernst Jünger und Rudolf Schlichter, "Briefe 1935–1955", Stuttgart 1997.


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