Es war am 13. Juni 1978. Daniel Cohn-Bendit saß zusammen mit Rudi Dutschke auf dem Sofa eines österreichischen Fernsehsenders und regte sich furchtbar auf. So sehr er gegen den Mord an Schleyer sei, schimpfte der "rote Dany", so "ekelhaft" finde er es, dass seine "ganze Vergangenheit einfach nicht dargestellt" werde. Der Schleyer sei sogar mit Reinhard Heydrich, dem "Henker von Prag", im offenen Mercedes durch die Stadt gefahren. Vergessen, verschwiegen, verdrängt. Viel geändert hat sich daran bis heute nicht.
Es ist, als hätte dieses Leben im Nationalsozialismus nie stattgefunden. Als gebe es nur einen halben Schleyer. Den demokratischen Kapitalisten. Im "Munzinger-Archiv", der Standardquelle für deutsche Karrieren, stand bis 2004, Hanns Martin Schleyer sei am 1. Mai 1915 in Offenburg als Sohn eines Richters geboren, habe Rechts- und Staatswissenschaften studiert und in Innsbruck promoviert. Und dann geht es nahtlos weiter: "1951 trat Sch. beim Stuttgarter Automobilkonzern Daimler-Benz AG ein".
Bei der Schleyer-Stiftung beginnt die Biographie ihres Namensgebers mit dem Jahr 1951. Danach das Bekannte. Der Aufstieg zum Personalchef (1956) bei Daimler, zum Vorstandsmitglied (1963), zum Präsidenten der Arbeitgeberverbände BDA (1973) und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie BDI (1977). Im Mai 2017 zeichnete die Stiftung Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und die Unternehmerin Nicola Leibinger-Kammüller für ihre Verdienste um ein "freiheitliches Gemeinwesen" mit dem Hanns Martin Schleyer-Preis aus. Gestiftet wird er von der Daimler AG. Über den SS-Untersturmführer wird nicht geredet.
Der Arbeitgeberverband Südwestmetall lädt jetzt, anlässlich des 40. Todestags, zu einer Gedenkveranstaltung am 21. Oktober in die Alte Reithalle, bei der Schleyer als Verfechter der sozialen Marktwirtschaft und Sozialpartnerschaft gewürdigt werden soll. NS-Vergangenheit? Kein Wort in der Einladung. Die Hauptrede wird der frühere Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement (Ex-SPD) halten. Der 77-Jährige ist heute Kuratoriumsvorsitzender der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft INSM, die einst vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall gegründet wurde. Er neigt der FDP zu. Für die Landesregierung wird Innenminister Thomas Strobl (CDU) sprechen, auf dem Podium werden Walter Riester (Rente) und Hans-Peter Stihl (Sägen) sitzen.
Inwieweit beziehungsweise ob sie auf Schleyers Vor-Daimler-Zeit eingehen werden, vermag Südwestmetall-Sprecher Volker Steinmaier nicht zu sagen. Von seiner Seite aus gebe es keine Empfehlungen, aber auch keine Tabus, lässt er wissen.
Das tägliche Grauen müssen sie gesehen haben
Einer der wenigen, die nach den blinden Flecken in der Vita geforscht haben, war Lutz Hachmeister. In Buch und Film hat der Kölner Medienwissenschaftler den Lebenslauf des badischen Richtersohnes nachgezeichnet, nicht nur jene zwölf Jahre, die zwischen Promotion und Daimler-Einstieg lagen, sondern auch Jugend und Studienzeit. Mit 15 bei der Hitlerjugend, mit 18 in die SS, danach in die schlagende Verbindung "Suevia" in Heidelberg (woher der Schmiss stammt), Mitglied der NSDAP 1937, ein Jahr später Leiter des Studentenwerks in Innsbruck, danach in Prag, später in der Führung des "Centralverband der Industrie" im so genannten "Protektorat Böhmen und Mähren", wo tschechische Zwangsarbeiter im Panzerbau geknechtet wurden. Er sei ein "alter Nationalsozialist und SS-Führer" wird Schleyer aus dieser Zeit zitiert.
7 Kommentare verfügbar
Karl P. Schlor
am 26.06.2020ist fast unerklärlich. Es kann wohl nur an der Geschichte mit der bedingten
Heiratserlaubnis durch Himmler persönlich liegen, der ja durch…