Am 14. Juni wurde im Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart – mit standesgemäßem Sektempfang und Häppchen – die Ausstellung "RAF – Terror im Südwesten" eröffnet, die bis zum 23. 2. 2014 zu sehen sein wird. Die Ausstellung bietet an und für sich interessantes und vergleichsweise sachlich präsentiertes Bild- und Dokumentenmaterial zur RAF und deren Scheitern. Ein Schwerpunkt gilt den Opfern ihrer Aktionen. Neben Bildern zum Lifestyle der 60er- und 70er-Jahre werden eine ganze Reihe von menschlichen, polizeilichen, juristischen und moralischen Aspekten und Zusammenhängen beleuchtet.
Jedoch sind wesentliche gesellschaftliche und politische Ursachen, die zum Entstehen der RAF in der Bundesrepublik Deutschland beigetragen haben, nicht oder nur bruchstückhaft berücksichtigt.
Nazivergangenheit; Wiederaufrüstung
Ausgeblendet sind die Nazivergangenheit bzw. die "unbewältigte" Nazivergangenheit Deutschlands und der damaligen "Elterngeneration"; ebenso die Tatsache, dass bis in die 60er/70er-Jahre hinein eine öffentlichen Auseinandersetzung mit den Elementen der NS-Herrschaft und den Grundlagen der NS-Ideologie noch weitgehend fehlten.
Dazu gehört wesentlich auch die in der damaligen Bundesrepublik sehr zögerliche Aufarbeitung der NS-Verbrechen einschließlich der Judenvernichtung. Ebenso ließen die Bewusstmachung und die Diskussion der persönlichen Beteiligung und Verantwortung der "Elterngeneration" auf sich warten: in der Familie, in Schule und im Erziehungswesen, an den Universitäten, in der Justiz sowie im gesamten politischen und wirtschaftlichen Überbau.
Es kann auch kaum Zufall sein, dass sich in der Ausstellung beispielsweise kein Wort zur Rolle von Hanns-Martin Schleyer als führender SS-Offizier in Prag, residierend in der arisierten Villa Waigner, bei der Ausbeutung der von Nazideutschland besetzten "Rest-Tschechei" findet. Wer aber die Zusammenhänge und Hintergründe zu der Ermordung des späteren Arbeitgeberpräsidenten in der Bundesrepublik durch die RAF begreifen – und diese Aktion damit gerade nicht rechtfertigen – will, sollte solche für die Aktionen der RAF maßgeblichen Umstände nicht einfach verschweigen.
Dabei müsste eigentlich auch auffallen, dass gerade in den Ländern der ehemals maßgeblichen faschistischen Kriegsmächte (Deutschland, Italien, Japan) vergleichbare Versuche eines bewaffneten Kampfs in den "Metropolen" der entsprechenden Nachkriegsstaaten bzw. -gesellschaften unternommen wurden, hier der der RAF.
Antiautoritäre Bewegung
Prägend war weiter, dass in der jungen Bundesrepublik die Nachkriegs- bzw. Nach-NS-Generation noch fortdauernd persönliche Unterdrückung und auch Gewalt erleben musste: in der Familie, darüber hinaus in den öffentlichen Institutionen und in den Anstalten der Erziehung bis hin zur Misshandlung von jungen Menschen in Schulen und Heimen. Die Auflehnung dagegen war ein wesentliches Element auch in der sogenannten Studentenbewegung.
Die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland in den fünfziger und sechziger Jahren, die mit den Stichworten Wiederbewaffnung; atomare Aufrüstung; Eintritt ins Nato-Bündnis (von den US-Stützpunkten in der Bundesrepublik aus wurden schon damals weltweit Aggressionskriege der USA, insbesondere der Vietnamkrieg, geführt); Notstandsgesetzgebung im Innern umrissen werden kann, wird in der Ausstellung nur am Rande erwähnt. Für die RAF aber stellte die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik und deren Einbindung in und Beteiligung an insbesondere der US-amerikanischen imperialistischen Weltstrategie eine entscheidende Begründung für die angebliche Notwendigkeit und Richtigkeit von Aktionen des "bewaffneten Widerstands" dar.
Politische Fehlanalysen in der Linken zum Faschismus und zu nationalen Befreiungsbewegungen
Verbunden mit dieser Entwicklung war die Furcht der Linken bzw. die politische Fehlanalyse insbesondere der RAF, wonach die Bundesrepublik Deutschland vor dem Marsch in einen neuen Faschismus stehe.
Die Angehörigen und Anhänger der RAF machten sich andererseits eine idealisierende Vorstellung von den "Befreiungsbewegungen der Dritten Welt" einschließlich deren revolutionärem Potenzial. Dies galt nicht nur für die Solidarisierung mit dem bewaffneten Kampf der palästinensischen Widerstandsgruppen (bei gleichzeitiger Überschätzung von deren strategischer Kraft), sondern ähnlich auch für das Verständnis von anderen Befreiungsbewegungen in der Welt, insbesondere in Afrika. Dabei spielte die Theorie von Frantz Fanon von den "Verdammten dieser Erde" und deren Revolution eine Rolle.
Aufrüstung des Fahndungs- und Überwachungsapparats
Die erniedrigenden Haftbedingungen, denen die RAF-Gefangen insbesondere zu Beginn der 70er-Jahre ausgesetzt waren, und vor allem das Instrument des "Toten Trakts" mit seinen persönlichkeitszerstörenden Auswirkungen, das an Ulrike Meinhof angewandt wurde, werden in der Ausstellung nicht eigens thematisiert.
Auch die verschiedenen Fälle, in denen – nicht nur in Stammheim – teilweise auch aufgrund von Fehlverhalten der Sicherheitsorgane ("Bad Kleinen") Angehörige der RAF selbst zu Tode kamen, werden nur am Rande dargestellt.
10 Kommentare verfügbar
Laubeiter
am 14.07.2013Ich verstehe die meisten Argumente so: Die Terroristen wollten die Bundesrepublik auf ihre Schuld hinweisen und sie eines Besseren belehren, und die Bundesrepublik weder damals noch heute ihre Schuld bewusst gemacht noch eines Besseren belehren…