KONTEXT:Wochenzeitung
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Hexenjagd

Hexenjagd
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

In der kleinen Gemeinde Wain in Oberschwaben saßen drei widerständige Frauen im Gemeinderat. Bis jemand ein Massaker an drei Strohpuppen verübte.

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Der Golfplatz Reischenhof, so sagt man hier, sei so schön, so einen schönen gebe es nicht mehr bis München. Ein Mann steht am Abschlag, ordnet die Füße zu festem Stand, schwingt und – tschock! Der Ball fliegt in elegantem Bogen ins Tal, über Wiesen mit Dutzenden Obstbäumen, hinein in diese unendliche sanfte Weite.

Die Straße, die zum Golfplatz führt und viel zu schmal ist für all die vielen dicken Autos, versiegt nach oben in einem Feldweg. Nach unten führt sie in Serpentinen in den Ort, nach Wain. Und wenn man dieses Sträßchen entlangfährt und einmal rechts abbiegt, kommt man auf den Reinhardsberg. Dort wurden am ersten Mai die drei Hexen aufgeknüpft.

Drei lebensgroße Strohpuppen, zwei geköpft auf einem mit roter Farbe beschmierten Block, eine gehängt. Ein Schild daneben verkündete: "3 Hexen von Wain". Die Polizei ermittelt noch.

Wain liegt zwischen Ulm, Memmingen und Biberach in einer Talsenke wie in einem Loch, in den Nachbargemeinden nennen sie die Wainer deshalb "Lochbären". Anderthalbtausend Menschen leben dort. Gesprochen wird es Woi, mit brusttiefem O. Die Dorfkirche gilt als die schönste von Oberschwaben. "Mit Abstand in Christus vereint", steht momentan an den Bänken.

Benedikt von Herman hatte die Herrschaft Wain 1773 für 500.000 Gulden der Reichsstadt Ulm abgekauft. Seitdem gehört den von Hermans fast alles hier. Wald bis zum Horizont und auch der Golfplatz, 27 Loch auf 140 Hektar, haben die Wainer dem Freiherr von Herman zu verdanken, weil dort seine Weiden waren. Den Kindergarten hat seine Urgroßmutter gestiftet. Das Schloss der von Hermans erhebt sich mitten im Ort, weiß-gelb und sauber thront es gegenüber der Bushaltestelle mit dem akkurat eingeritzten Hakenkreuz.

Wain ist wirklich weit draußen. Aber traumhafte 81 Prozent gingen zur letzten Bundestagswahl. Selbst die Kommunalwahl, grundsätzlich eher mau frequentiert, verzeichnete im Sommer 2019 mehr als 70 Prozent Beteiligung. Mit dieser Wahl begann der Streit in diesem Ort, der sonst nur am miserablen ÖPNV und der Tallage leidet, weil am Hang das Bauen nicht so einfach ist.

Bürgermeister Stephan Mantz, parteilos und gerade 40 geworden, ist seit 2015 im Amt, dynamisch und beliebt. Er hat dem Ort ein Miet-Elektroauto beschafft. Es fließt Öko-Strom durch Wain, schnelleres Internet gibt's demnächst, die Schulstraße hat er saniert und die Schule. Nur mit Diskussion kann er nicht – er wünsche sich Harmonie in seiner Gemeinde, sagt er am Telefon, er wünsche sich Ruhe, wie sie früher da war, es klingt ein bisschen weinerlich.

Auf der anderen Seite: drei engagierte und streitbare Frauen, unbequeme Rätinnen der Liste "Für die Wainer Bürger". Lotte Obrist, Vorsitzende des Leichtathletik-Kreises Biberach und im Vorstand des Wainer Allmend Vereins. Julia Freifrau von Herman, genannt "die Baronin", erste Vorsitzende des Fördervereins der Grundschule und sowohl mit geschichtsträchtigem Stammbaum als auch mit Gemeinderatserfahrung gesegnet. Und Faiza Gummersbach, aktiv bei den Wainer Turnern.

Und vorbei war's mit der Harmonie!

Angefangen hatte alles im Juli 2019 nach der Gemeinderatswahl. Die neuen Ratsmitglieder der Fraktionen "Aktiv für Wain", "Für die Wainer Bürger" und "Pro Wain" waren gerade vereidigt und Mantz hatte eben erst die gute Zusammenarbeit der vergangenen Legislaturperiode gewürdigt, als sich die an diesem Abend schon wieder hatte.

Zuerst, weil sechs der zehn Räte Freifrau von Herman, obwohl mit 987 Wählerstimmen die Stimmenkönigin (Lotte Obrist war die Zweitplatzierte mit 644 Stimmen, Faiza Gummersbach mit 316 Stimmen das Schlusslicht), nicht zur stellvertretenden Bürgermeisterin wählen wollten. Später am Abend sollte dann ein Vertreter für die Verwaltungsgemeinschaft Schwendi/Wain gewählt werden, was aber nicht so einfach war, weil keiner wusste, wie, und auch die Gemeindeordnung die Lösung nicht hergab. Ähnlich schwierig gestaltete sich die Wahl der Ausschüsse. Julia von Herman jedenfalls kritisierte, so berichtet es die "Schwäbische Zeitung", das Wahlverfahren als "insgesamt nicht klar", die Beschlussvorlagen als "nicht angemessen vorbereitet". "Pro Wain" und "Aktiv für Wain" sahen das anders. Zu allem Überfluss bekam Lotte Obrist als einzige Rätin keinen Sitz in einem Ausschuss, was einer der Räte mit den Worten "manche Personen will man nicht" kommentiert haben soll. Damit war die Frontlinie klar.

Und sie zementierte sich im Winter 2019.

Da kam zum Beispiel Mitte November der Fall Harald Gramm vom Dürachhof (600 Bullen) in den Gemeinderat. Sachverhalt: Der Bauer hatte sich den Bau neuer Lagerhallen genehmigen lassen. Gebaut werden musste in Hanglage, aber der sandige Boden machte Probleme, also entschied sich Gramm, den Sand durch Recycling-Baustoffe (Beton, Ziegel, etc.) zu ersetzen. Gramm hatte schon angefangen zu baggern, als das Landratsamt Biberach den Bau stoppte: 16.000 Kubikmeter neuer Boden sei nicht genehmigt gewesen. In der Sitzung befanden nun Obrist, die Baronin und Gummersbach die ganze Chose für "eine Hausnummer" und hatten Sorge um das Wainer Trinkwasser, weil in der Nähe des Hofs ein Brunnen zur Wasserversorgung stehe. Zur Beruhigung forderte von Herman eine Unbedenklichkeitsbescheinigung vom Landratsamt. Stephan Mantz dagegen erklärte, es ginge doch nur darum, dem nachträglichen Bauantrag zuzustimmen. Der ging ohne die Stimmen der drei Frauen durch.

Anfang Dezember wurde im Gemeinderat behandelt, wie der "Baupilot", eine Online-Plattform zur Vergabe von Bauplätzen, auch für Wain genutzt werden könnte. Denn Geschäftsführer und Gesellschafter der GmbH ist Bürgermeister Stephan Mantz (Kontext berichtete). Manzt schlug eine Schenkung der Baupilot-Dienste vor. Die drei Frauen fanden, das habe ein Gschmäckle und forderten, eine "konkurrenzfähige Alternative" zu suchen. Und zu bezahlen. Letztlich wurde der Baupilot für umme beschlossen.

Mantz, der Macher

Der frühere Bürgermeister Christian Schlenk, sagt man im Ort, sei eher so larifari gewesen, habe wenig hinbekommen, bis auf die Gemeindehalle. Und der Mantz, ja, der holt jetzt alles auf, was der Schlenk verbaselt hat. Mantz wisse halt, wo er Geld herbekommt. Beispielsweise für die Industriebrache in der Poststraße, wo Bauhof und Feuerwehr hin sollen. Mantz wollte sich mit seinem Gemeinderat in eine Klausur begeben, zum "Querdenken" in dieser Frage. Und um die künftige Gemeinde-Entwicklung zu besprechen. Obrist, Gummersbach und von Herman lehnten ab: Gemeinde-Entwicklung nicht-öffentlich ginge gar nicht. Auch die Klausur wurde ohne die Stimmen der drei Frauen beschlossen.

Nach und nach wurde klar: So einfach, wie es im Gemeinderat mal war, war es nicht mehr. Da saßen nun drei, die für Widerspruch sorgten. Die nachfragten, statt abzunicken, und auch mal Stunk machten. Das passte den anderen Räten nicht. Und nicht ihrem Bürgermeister.

Der hatte sich zwischenzeitlich an die Polizei gewandt: Mehrere Bürger hätten ihm zugetragen, Lotte Obrist habe die Kommunalwahl manipuliert. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren bereits wieder eingestellt. Nur Tage danach ging ein Schreiben der drei Frauen beim Landratsamt Biberach ein. Von Herman sagt, das sei "ein Brief mit 12 Fragekomplexen" gewesen, weil die drei in mehreren Fällen die Gemeindeordnung nicht beachtet sahen.

Natürlich sickerte die Sache durch. Mantz erzählte herum, die Frauen hätten eine "Dienstaufsichtsbeschwerde" gegen ihn eingelegt. Die Räte regten sich auf. Die Wainer auch. "Schwäbische Zeitung" und "Südwestpresse" begannen, über diese Beschwerde zu berichten, mit der die Unbequemen dem Schultes schon wieder Knüppel zwischen die Beine werfen wollten. Selbst das Landratsamt zündelte mit. Später sollte sich herausstellen, dass das Amt "einige dieser Fragen" selbstständig "als Beschwerde gewertet" hatte. Die überdies in Gänze haltlos gewesen sei. So berichtet es die "Schwäbische Zeitung".

Etwa im Februar begannen "Schwäbische Zeitung" und "Südwestpresse" aktiv im Wainer Streit mitzumischen. Redaktionsleiter Roland Ray kommentierte die "ungute Entwicklung am Wainer Ratstisch" und wie "sachlich und beherrscht – in seinem Innern mag es gebrodelt haben" Stephan Mantz doch auf die fiesen Frauen reagiere. Mantz habe sich "als bienenfleißiger und kompetenter Rathauschef profiliert". Beate Reuter-Manz von der "Südwestpresse" jubelte, dass die Gemeinde dieses Jahr besonders viel investieren könne, weil Mantz "offenbar das Gras wachsen hört (...). Als Netzwerker mit guten Kontakten in viele Behörden unternimmt er jede Anstrengung, zu den allerersten Bittstellern zu gehören, um dann mit sorgfältig vorbereiteten Anträgen zu punkten." Und trotzdem vergehe keine Sitzung "ohne Spitzfindigkeiten".

Mobbing, Schikane, Komplott oder: Wer mobbt wen?

Mitte März kam es zum Eklat. Mantz habe noch überlegt, ob er die Gemeinderatssitzung wegen Corona überhaupt einberufen solle, dann aber entschieden: "Wir machen es." Kurz darauf hatte sich schon die erste WhatsApp-Gruppe in Stellung gebrach, die zur Teilnahme aufrief. Da war vom "Trio Infernale" die Rede, von den "garstige Zicken", einer schrieb: "Die drei Hexen sollen brennen!"

Um die 100 Menschen kamen ins evangelische Gemeindehaus. Einer davon, sollte sich später herausstellen, hatte Corona und katapultierte die Wainer Feuerwehr samt Kommandant für zwei Wochen in "Status sechs – nicht einsatzbereit". Der 13. März sollte eine denkwürdige Sitzung werden.

"Unser Bürgermeister wurde 2014 mit 95 Prozent der Stimmen gewählt! Wir stehen hinter ihm!", stand auf einem Schild, das einer hochhielt, der 2014 kaum älter als zehn gewesen sein kann. Tobias Gramm, Bruder von Harald mit dem Bullen-Hof, sprach von "systematischem Mobbing" gegen den Bürgermeister. Gesprochen wurde auch von einem politischen Komplott der Frauen gegen den Schultes. Sie seien "Frustrierte", die Zwietracht säen und "das Dorf aufwiegelten". Mantz würde "aufs Schärfste schikaniert und ausgebremst". Mantz selbst erklärte, Bürgermeister sei sein "Traumberuf". Aber: "Im ganzen Landkreis wird über Wain gesprochen, das tut mir sehr, sehr weh", zitiert ihn die "Schwäbische Zeitung". Er wolle "Kümmerer von Wain sein", so ginge es nicht weiter. Es gab Standing Ovations für "einen sichtlich gerührten Schultes", schreibt die "Südwestpresse".

Dann kam der erste Mai und die Hinrichtung auf dem Reinhardsberg, dort stand einst der Galgen. Aufs Ortsschild hatte einer "Tal der Obrist Hexen" geschrieben. Vor dem Rathaus, das sollte wohl der eigentliche Maischerz sein, wurde eine Wahlurne aufgestellt: zur Abwahl der unbeliebten Damen. Jemand kippte Hunderte Kippenstummel vor das Haus von Lotte Obrist. Sie bekam Drohbriefe: "Ihr Dreckschweine tretet zurück! Schämt ihr euch nicht!"

Die drei Rätinnen treten zurück

Wer für das Puppen-Massaker verantwortlich ist, ist bis heute unklar. Die Wainer stellten auch einen Maibaum auf: "Für unseren Bürgermeister Stephan Mantz mit Verwaltung."

Zwei "offene Briefe" kursierten kurz darauf im Ort. Einer von Mantz, in dem er den "makabren Maischerz (...) auf das schärfste verurteilt" und die Wainer auffordert, "den Frieden in der Gemeinde zu wahren". Den meisten Platz allerdings nimmt seine Version der Wahlmanipulation durch Lotte Obrist ein. Der zweite Brief stammt von einem Kirchengemeinderat. Er nennt den "Maischerz" eine "verabscheuenswürdige", ja sogar "menschenverachtende Aktion", bei der "sämtliche rote Linien überschritten" worden seien. "Politik lebt von den Gegensätzen. Eine gute Demokratie hält dies aus." 150 Wainer haben den Brief unterzeichnet.

Die drei Gemeinderätinnen sind derweil zurückgetreten. Faiza Gummersbach schreibt zur Begründung an den Schultes: "Durch die Vorkommnisse fühlen meine Familie und ich uns zusehends bedroht." Und Lotte Obrist fragt besorgt: "Was kommt als Nächstes?"

Die letzte Sitzung des ehemals zehnköpfigen Gemeinderats fand kürzlich in der Gemeindehalle statt, mit viel Abstand und Mundschutz. Drei rosa Sträuße stehen auf dem Tisch. Die Wainer Hexen sind nicht da. Zu Beginn der Sitzung steht eine Frau auf. "Wain ist der vielleicht bezauberndste Ort in Oberschwaben. Aber Wain wird zu einem Ort der Menschenverachtung, ohne Respekt vor demokratischen Grundsätzen", sagt sie und wird damit eine der wenigen sein, die die Frauen ganz direkt und öffentlich verteidigen. "An alle, die für die Rücktritte von mehrheitlich gewählten Gemeinderatsmitgliedern gesorgt haben, möchte ich sagen: Schämen Sie sich!" Sie zittert vor Erregung.


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3 Kommentare verfügbar

  • Ruby Tuesday
    am 20.06.2020
    Antworten
    Die Frau gehört an den Herd, Oma kocht am besten (Hackfleischflädle und Zitronencreme) - im TV. In manchen „schönsten“ Orten zählt Bullenhaltung, Radfahren und unbeschränkter Genuss mehr als gesellschaftliches Mitgestalten und Demokratie. Glücklicherweise entfällt das Schaftstiefel wichsen aus…
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