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Viel Wind, keine Frauen

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 Fotos: Jens Volle 

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In Boxberg im Main-Tauber-Kreis stehen die Verlierer der Kommunalwahl heute schon fest: Wie schon in den vergangenen fünf Jahren werden wieder nur Männer im Gemeinderat sitzen. Auf Spurensuche in Badisch Sibirien.

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Draußen zerzausen Regen und Wind den Rosengarten hinterm Rathaus, auf den sie so stolz sind in Boxberg. Drinnen im Cafe Pause, eingeklemmt zwischen Kirche und Rathaus, sitzen Klara und Silja vor ihrem Cappuccino. Beide Schülerpraktikum im Altersheim, Mittagspause in der gemütlichen Bäckerei - und eine klare Meinung: "Das ist voll ungerecht", sagt Klara, "wir sind doch mehr als die Hälfte!" Klara wird in wenigen Wochen 16 Jahre alt. Bei der ersten Wahl ihres Lebens wird sie keine Chance haben, ihr Kreuz bei einer Frau zu machen. Auf der Liste der Freien Wählervereinigung und der Bürgerliste für die Kommunalwahl am 26. Mai stehen nur Männer. Es scheint, als ob hier im Main-Tauber-Kreis die Uhren anders ticken.

Boxberg. Heimat des Grünkern, Madonnenländchen, Ursprung des Bundschuh-Aufstands gegen die Daimler-Teststrecke, der einen tiefen Graben mitten durch die kleine Stadt gerissen hat. Seitdem ist Boxberg mehr als eine kleine 7000-Einwohner-Gemeinde, die keiner kennt. Rezzo Schlauch erzählt heute noch gerne die Geschichte, wie er gemeinsam mit Fritz Kuhn auf den Bäumen gesessen hat, um gegen die Vernichtung guter Böden durch Daimler und die drohende Enteignung der Bauern zu protestieren. Und am liebsten berichtet der gewichtige Grünenpolitiker, dass er von sechs Polizisten aus dem Geäst geholt werden musste, während bei Fritz Kuhn zwei genügten. Das war in den 1980ern und könnte als Anekdote zweier jugendlich-revolutionärer Grünen durchgehen.

Doch es war auch die Stunde der Dora Flinner, der kämpferischen Boxberger Bäuerin, die es nicht nur als erste Frau in den Gemeinderat, sondern auf der Liste der Grünen sogar bis in den Bundestag schaffte - als erste Bäuerin in Bonn. Fast 40 Jahre später bedauert die 79-Jährige, dass heute keine Frau mehr im Gemeinderat sitzt. Warum das so ist? Dora Flinner weiß aus eigener Erfahrung nur soviel: "Frauen haben es ganz besonders schwer in Boxberg, das war schon immer so." Im Madonnenländchen, wo der Marienstatuen viele sind und die Kirche groß ist, muss das Weib kämpfen um das Wort in der Gemeinde.

"Wir haben keine Frau gefunden", sagt der Anführer der Bürgerliste

Bürgerliste sucht Bürgerinnen - der Aufruf stand vor wenigen Wochen im Boxberger Amtsblatt, und er las sich etwas verzweifelt. "Wir haben keine gefunden", sagt Ferdinand Eck, Anführer der Bürgerliste, 63, Trachtenjanker, Bürste unter der Nase, zehn Jahre Gemeinderat, forsches Auftreten. "Ich hab viele Frauen persönlich angesprochen", sagt Bernhard Bundschuh, 67, pensionierter Lehrer, Stimmenkönig, nachdenklich, "aber keine hat sich bereit erklärt." Der Bürgermeister hat das Besprechungszimmer im barocken Rathaus aufgeschlossen, die alten Kämpen der Bürgerliste geben eine Apfelschorle aus, versuchen zu erklären, was da los ist in Boxberg.

Keine Lust aufs Ehrenamt vielleicht? Aber das betrifft ja alle. Ländliche Strukturen mit einem eher traditionellen Rollenverständnis? "Ich hoffe, ich lehn' mich nicht zu weit aus dem Fenster", sagt Bundschuh vorsichtig, "aber - die trauen sich nicht." Unbehaglich ist ihnen bei der Ursachenforschung, den beiden Boxberger Gemeinderäten. Denn immer wieder werden sie in der Gemeinde auf den blinden Fleck angesprochen. "Wenn ihr eine Frau auf der Liste habt, dann wähl' ich die unbesehen", hat Lehrer Bundschuh schon gehört. Die Verzweiflung ist groß in Boxberg.

Es gibt 1101 Gemeinden in Baden-Württemberg, in 26 sitzen seit der Kommunalwahl 2014 keine Frauen im Gemeinderat. Bodnegg bei Ravensburg etwa gehört dazu, Dettingen an der Erms oder Ostrach in Oberschwaben, wo es einen 1000-Kühestall geben soll. Aber Boxberg, die Gemeinde mit der aufmüpfigen jüngeren Geschichte rund um die Daimler-Teststrecke, ist die größte von allen. Es gibt Dinge, auf die sie hier in Boxberg stolzer sind: Auf das alljährliche Grünkernfest etwa, das Weinfest von Unterschüpf oder die Maimesse mit Ausstellung von lokalen Künstlern.

"Sie macht des net", sagte der Ehemann 

Es ist noch nicht so lange her, da ist Bernhard Bundschuh losgezogen, um in einer jungen Familie eine Frau zu gewinnen, "eine, die sichtbar ist," sagt er ankerkennend — und ist mit deren Ehemann auf der Liste heimgekommen. Sie macht des net, aber ich mach's, habe der gesagt. Da war der alte Lehrer schon ein bisschen verblüfft. Kommentiert hat er das männliche Machtwort nicht.

Auch Bürgermeister Christian Kremer hält sich zurück. Erzählt lieber von seinen zwei Töchtern und der Hochzeitslocation, die er kürzlich besichtigt hat, eine heiratet, er freut sich drauf. Überhaupt sei er familiär von drei Frauen umgeben, "nein, vier, die Katze ist auch weiblich". Keine Frauen auf der Liste? Für die nächsten fünf Jahre? "Als Verwaltungschef muss ich neutral bleiben." Von einem demokratisch gewählten Bürgermeister allerdings hätte man schon ein klareres Wort erwartet und mehr Initiative in Sachen Gleichberechtigung.

Am vergangenen Freitag hat Ferdinand Eck die frauenfreie Bürgerliste abgegeben. "Das gefällt mir net, aber ich kann nicht die Welt verändern", sagt er. Und zieht an seiner Zigarette, draußen im stürmischen Regen, mit Blick auf den Rosengarten, wo im Sommer die Konzerte stattfinden. Einem ehemaligen Stabsoffizier macht das bisschen Wetter nichts aus, früher, bevor er sich im Versicherungsgeschäft selbständig gemacht hat, habe er Rekruten ausgebildet, keine Frauen dabei damals, und an eine Verteidigungsministerin musste er sich auch erst gewöhnen. Schlimmer findet er, dass die Bundeswehr kein Geld bekommt und von "drei Hubschraubern nur einer abhebt". Nein, an den Männern im Gemeinderat kann's nicht gelegen haben, damals, vor Jahren, als noch eine oder zwei Frauen im Sitzungssaal saßen, "wir waren doch immer nett zu den Frauen, gell Bernhard?" Nicken, verschwörerisches Lächeln.

Ex-Gemeinderätinnnen in der außerparlamentarischen Opposition

Das sehen die drei Frauen im Medien- und Kulturzentrum etwas anders. Sie alle saßen schon im Boxberger Gemeinderat, sie erinnern sich an das Augenrollen, wenn sie mal wieder die Öffnungszeiten im Kindergarten ansprachen oder eine Sozialarbeiterin fürs Kulturzentrum forderten, während die Männer lieber über den Ausbau der Boxberger Hauptstraße oder den Zaun um den Bauhof reden wollten. "Wir reden anders über Themen und wir setzen andere Schwerpunkte", sagt Vera Herzog, 54, drei Kinder, seit 18 Jahren in Boxberg, fünf Jahre Gemeinderat. "Offene Ganztagsschule? Im Gemeinderat sagten sie: Brauchen wir net", sagt Ilona Wild, 52, Chefin des Medien- und Kulturzentrums, acht Jahre Gemeinderat. Mittagsessen, Ferienbetreuung, Hausaufgaben - jetzt hat sie es im stadteigenen Zentrum durchgezogen.

Vera Herzog und Ilona Wild haben sich für die außerparlamentarische Opposition in Boxberg entschieden. Wild managt das Kulturhaus, sie haben den Verein Akzente gegründet, der sich um die Mobilität in Boxberg mit seinen 13 Ortsteilen kümmert, schauen, dass der einzige Bücherladen in Boxberg, die Bücherecke, ehrenamtlich betreut wird.

Draußen will der Märzregen in Schnee übergehen. Tropfenden Schirme stehen als bunte Farbkleckse in der Ecke. Drinnen sitzen die Frauen um den Tisch neben der Kaffeemaschine, Ilona Wild springt immer wieder auf, um einem Besucher zu helfen. Sie reden sich in Rage, freuen sich über ihre Erfolge, ärgern sich über gönnerhaftes Männerlächeln, Machosprüche und Augenrollen, lachen. Und sind sich keineswegs immer einig. Vor allem bei der Ursachenforschung. "Männer bekommen eher Anerkennung", sagt Wild. "Frauen unterstützen Männer eher als andersrum", sagt Herzog. "Mein Mann unterstützt mich", widerspricht die dritte im Bunde: Karin Körner, 48, Ortsvorsteherin von Kupprichhausen, auch Kuba genannt, zwei Kinder und in vielen Vereinen aktiv, kurze Haare ("Ich lass jetzt das Grau stehen"), bodenständig. Lachend erzählt sie, wie ihr Mann, wenn sie abends mal wieder bei der Versammlung des Turnvereins war oder am Wochenende beim Feuerwehrfest, schon mal sagt: "Du bist die OV (Ortsvorsteherin), ich bin der OD (Oberdepp)". Dieser Ehemann nimmt seine Nebenrolle mit Humor. Das ist nicht nur in Boxberg die Ausnahme.

So wenig wie die geringe Anzahl Frauen in der Kommunalpolitik. Der Gleichstellungsatlas der Bundesregierung stellte vor zwei Jahren fest: In den Kreistagen und den Gemeinderäten saßen im Bundesdurchschnitt nur 27 Prozent Frauen. Schlusslichter waren Baden-Württemberg und Sachsen Anhalt. Der Landesfrauenrat in Stuttgart hat das für Baden-Württemberg noch genauer aufgelistet: 2014 saßen 23,9 Prozent Frauen im Gemeinderat, im Kreistag waren es nur 18, 9 Prozent. Und Sabine Schlager, Referentin für Kommunalpolitik der Kommunalpolitischen Vereinigung, weiß: "In 20 von 35 Kreisen in Baden-Württemberg liegt der Anteil der Frauen unter den durchschnittlich 18,9 Prozent. In zwölf Landkreisen sogar unter 15 Prozent. Die Vorsitzende des Landesfrauenrats, Charlotte Schneidewind-Hartnagel, fordert deshalb die Weiterentwicklung des Kommunalwahlrechts hin zu einem Paritätsgesetz wie in Brandenburg auf Landesebene geschehen.

Die Boxberger Frauen kennen die Zahlen. Und sie kennen die Realität vor Ort. Vera Herzog und Ilona Wild haben sich für ein Engagement außerhalb der Gremien entschieden. "Wie wäre es denn, wenn es mal einen rein weiblichen Gemeinderat hier gäbe?", fragt Herzog. Karin Körner, die Pragmatikerin winkt ab: "Wir kommen nur in kleinen Schritten voran". Sie hat Schreiner gelernt, als es noch keine Sicherheitsschuhe in ihrer Größe gab. Allein unter Männern, das hat sie noch nie geschreckt. Ihre Mutter sagte schon zu ihr, einer von vier Schwestern: "Wenn man dich zum Teufel schicken würde, du würdest gehen". Und da schwingt nicht nur Bewunderung vor so viel Energie und Unerschrockenheit mit.

Karin Körner geht ihn einfach, den nächsten kleinen Schritt, allen Widerständen zum Trotz: "Ich kandidier' am 26. Mai für den Kreistag, mich interessiert, ob die Leute auch Frauen wählen." Die Stimme der Bäckerin vom Cafe Pause ist ihr wohl sicher. Denn die ärgert sich schon lange über die frauenfreie Zone im Boxberger Rathaus. Dann wenigstens Kreistag. 


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2 Kommentare verfügbar

  • Blender
    am 04.01.2020
    Antworten
    Nachtrag: ... und dass die Kommentare erst zu lesen sind, wenn mann an 50cm Bitte zahlen-Werbebanner (überflüssig und nicht witzig) und den alten ähnlichen Artikeln (das geht auch kleiner) vorbeigescrollt hat ist auch ein großer Mist. Die Kommentare waren früher mal das Beste an Kontext, eine Art…
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