Das ist erst mal ein nachvollziehbarer Gedanke. Eine gute Gegenfrage ist: Gibt es vielleicht doch Dinge, bei denen man nicht möchte, dass sie unkontrolliert durchs Netz wandern? Etwa eine psychische Erkrankung, dass man fremdgeht – oder nicht nur Frauen, sondern auch Männer liebt. Ich glaube, jeder hat etwas zu verbergen.
Warum geht deswegen niemand auf die Straße? Die Leute gehen ja auch wegen einer Maskenpflicht auf die Barrikaden.
Überwachung ist vor allem ein gesellschaftliches Problem: Nicht die gezielte Überwachung von Einzelpersonen, sondern dass sich Unternehmen und der Staat theoretisch in jede Bevölkerungsgruppe reinzoomen können. Die Gefahr der Überwachung ist sehr abstrakt. Menschen tun sich schwer, das als Problem zu sehen.
Steckt Datenschutz in der Nerd-Schublade?
Ich glaube, es gibt dieses Bild, dass dies alles so wahnsinnig kompliziert wäre. Dass man irgendwelche abgefahrene Technologien einsetzen müsste oder einen IT-Background bräuchte. Das ist nicht der Fall. Es gibt in vielen Städten zivilgesellschaftliche Hilfe. Auf sogenannten Crypto-Parties helfen Ehrenamtliche mit IT-Hintergrund interessierten NutzerInnen. Das würde ich jedem empfehlen, der sich für das Thema interessiert, sich aber nicht auskennt.
Also keine Herkulesaufgabe.
Nein. Aber: 100-prozentige Sicherheit und Anonymität gibt es natürlich nie. Dennoch ist es gar nicht so kompliziert, und mit wenigen Tricks kommt man schon recht weit: Open-Source-Software benutzen und sich sicherere Messenger-Alternativen anschauen. E-Mail-Verschlüsselung kann ein weiterer Baustein sein. Da gibt es auch zahlreiche Hilfestellungen im Internet und auf Crypto-Parties.
Sie haben ein Buch über das Darknet geschrieben. Sind die dunklen Ecken des Internets nicht spannender als so ein sperriges Thema?
Im Endeffekt gehört beides zusammen. Das Darknet ist auch Teil digitaler Selbstverteidigung. Mit dem TOR-Browser, basierend auf Firefox, dem wichtigsten Werkzeug, kann man anonym im normalen Netz surfen und man kommt auch ins Darknet. Es gibt sehr spannende Nutzungen des Darknets, zum Beispiel ein Dateitausch-Programm namens Onionshare, der Darknet-Messenger Briar oder Darknet-Postfächer für Whistleblower. Das anonyme Surfen im ganz normalen Internet mithilfe von TOR ist für die digitale Selbstverteidigung aber wahrscheinlich relevanter als das Darknet.
Ebenso spannend dürfte es gewesen sein, als Sie 2009 Julian Assange interviewt haben – als einer der wenigen Journalisten in Deutschland. Damals war er noch nicht populär. Wie hat er auf Sie gewirkt?
Wir haben etwa eine Stunde geredet. Er ist sehr charismatisch. Und auch sehr intelligent. Er wurde in der Szene damals schon gefeiert wie ein Popstar – bejubelt wie Steve Jobs. Wir saßen in der Küche bei einem Kongress des Chaos Computer Club (CCC) Berlin. Ich schrieb meine Magisterarbeit über die Ökonomie von Blogs. Dann muss ich auch mal selbst bloggen, dachte ich. Auf dem CCC-Kongress interviewte ich ihn für meinen Medienökonomie-Blog. Er hat mir auch Unsinn erzählt, wie ich hinterher erfahren habe. Er hat mir zum Beispiel erzählt, dass WikiLeaks aus mehreren Dutzend oder gar hundert Mitarbeitern besteht. Die alle zusammenarbeiten würden.
Klingt plausibel.
Mir hat dann ein Kompagnon von Assange gesteckt, dass es eigentlich nur die beiden waren (lacht).
Weshalb die Übertreibung?
Ich glaube als zivilgesellschaftliches Projekt, das irgendwie davon ausgehen muss, dass es argwöhnisch von Regierungen betrachtet wird, ergibt es Sinn, sich ein bisschen größer darzustellen als man ist. Wir dürfen nicht vergessen: Überwachung ist und bleibt ein gesellschaftliches Problem. Das Anhäufen von Metadaten, also allgemeinen Kontaktdaten über Menschen, ist ein riesiges Problem. Der frühere US-General und sowohl CIA- als auch NSA-Chef Michael Hayden sagte mal: "Wir töten Menschen auf der Basis von Metadaten." Nimmt man die Aussage in ihrer Absolutheit, dann sterben tatsächlich Menschen rund um den Globus, weil sie Mails an "falsche" Personen schicken oder sich mit bestimmten Leuten auf Facebook anfreunden, die als Staatsfeinde oder Terroristen gelten.
Stefan Mey (39) ist freier IT-Journalist. Er kommt aus Halle an der Saale und wohnt in Berlin. Ursprünglich war ein Vortrag über digitale Selbstverteidigung für die Stadtbibliothek Stuttgart geplant. Daraus wurde eine zehnteilige Podcast-Reihe mit Erklärungen und Praxis-Tipps rund um das Thema. Man kann die Podcast-Folgen hier nachhören.
2 Kommentare verfügbar
Thierry
am 19.06.2020