Weil Privateindrücke auf Distanz nicht viel wert sind, verzichte ich auf eine Interpretation meiner Erlebnisse und fasse nur zusammen, was mir mein Lebensgefühl an diesem Ort sagt: Selten war ich beim Anblick einer Menschenmenge so ratlos. Vor allem, wenn es um die Frage geht, was man gegen die Gefahr der Instrumentalisierung eines massenhaften, von allerlei Ängsten und wirren Mutmaßungen befeuerten Aufbegehrens tun kann. Die bisherigen Methoden von links taugen da nur noch bedingt. Es müssen neue Wege der Aufklärung und des Gegendrucks gefunden werden: eine Antwort auf das verquere Wir-sind-das-Volktheater.
Die Birne sagt jetzt den Beinen: Vorwärts, raus aus diesem Gespensterwald. Bei staubigen Gegenwindböen verlasse ich den Wasen. Auf diesem ehemaligen Exerzierplatz haben sich einst, wie die sozialdemokratische Tageszeitung "Vorwärts" berichtete, 60.000 Menschen in "musterhafter Ordnung" versammelt. Das war im August 1907, beim legendären Internationalen Sozialistenkongress in Stuttgart. Zu den Gästen gehörten auch Clara Zetkin und Rosa Luxemburg, die bei diesem Massenereignis in aufrüttelnden Reden um ein Grundrecht kämpften: das Wahlrecht für Frauen.
Die Bilder des traditionellen Rummelplatzes vor Augen, erinnere ich mich auf dem Heimweg an ein paar Zeilen des großen Künstlers und politischen Aktionisten Christoph Schlingensief, die ich neulich in mein Notizbuch gekritzelt habe: "Ein guter Gedanke ist wie ein Zelt. Er ist zerstörbar, aber er gibt mir Geborgenheit. Ein schlechter Gedanke ist nicht zerstörbar, der steht nur herum, und das nennt man heute Meinungen."
Es scheint, als stünde gerade verdammt viel Unzerstörbares herum.
Alle 14 Tage stürzt sich Joe Bauer für Kontext ins Straßenleben. Lustvoll folgt er dabei einem Mantra als Fußreisender: lieber zu weit gehen als gar nicht.
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