Manchmal dauert es nur ein paar Wochen, bis aus Satire Wirklichkeit wird. "Heute Abend bei Maybrit Illner", kündigte die Satireseite "Postillon" am 15. Februar an: "Tragen ARD und ZDF fahrlässig zum Aufstieg des Faschismus bei, indem sie ständig AfD-Politiker in Talkshows einladen?" Diskutiert werde mit Beatrix von Storch, Tino Chrupalla, Alice Weidel und Björn Höcke. Nun hat das Oberverwaltungsgericht in Münster am 13. Mai entschieden, dass der Verfassungsschutz die von Neonazis durchsetzte Partei zu Recht als "rechtsextremen Verdachtsfall" behandeln darf. Und noch am selben Abend sitzt von Storch tatsächlich in einer Talkshow.
Ok, ok. Passiert ist das nicht bei Maybritt llner, sondern bei "Hart aber fair". Und geredet haben sie nicht über den Aufstieg des Faschismus, sondern die Verrohung des Diskurses. Von Storch ist erwiesenermaßen eine Fachfrau dafür, hat sie doch schon 2016 gefordert, flüchtende Frauen notfalls durch Schusswaffengebrauch vom illegalen Grenzübertritt abzuhalten. "Die AfD-Frau kann munter so tun, als sei ihre Partei die große Verteidigerin demokratischer Prinzipien", kritisiert Klaus Raab nach ihrem aktuellen Auftritt im "Spiegel". Nils Minkmar fragt in der "Süddeutschen Zeitung", welchen "Sinn es machen kann, Frau von Storch in so einer Sendung zu Gast zu haben?"
Die Antworten darauf klingen immer ähnlich. "Wir sind überzeugt, dass eine Konfrontation auch mit randständigen Meinungen dem gesellschaftlichen Diskurs in einer Demokratie förderlich sein kann", teilte die Redaktion von "Anne Will" schon 2016 gegenüber Kontext mit. Bereits damals zählten Höcke, von Storch, Alexander Gauland und Frauke Petry zu den häufigst gesehenen Gesichtern in den Gesprächsrunden der Öffentlich-Rechtlichen. Und der Historiker Ralf Melzer warnte: "Durch die öffentliche Dauerpräsenz von rechtspopulistischen Positionen wird der Anschein erweckt, als wären das normale Meinungen." Dass dadurch eine schrittweise "Verschiebung des Sagbaren" drohe, haben Menschen, die hin und wieder in eine Zeitung schauen, im Jahr 2024 wahrscheinlich auch schon mal gehört.
Inzwischen ist ein Punkt erreicht, wo der AfD-Politiker Thomas Rosspacher mit der Parole "Schnelle Remigration schafft Wohnraum!" in den Stuttgarter Kommunalwahlkampf zieht. Doch nachdem es am Eckensee zu einer Protestaktion gegen die Partei kam, erklärte die grüne Landtagspräsidentin Muhterem Aras: "Ich bedaure es sehr, dass es am Stand der AfD-Fraktion zu Störungen kam. Der offene Austausch und das Aushalten von unterschiedlichen Meinungen gehören in der Demokratie dazu." Und die Deutsche Presseagentur behauptet, die Antifa habe sich zu einem Angriff auf AfD-Landtagsabgeordnete bekannt, obwohl im zugrunde liegenden Statement genau das Gegenteil steht.
Während sich die AfD fortlaufend weiter radikalisiert, ist die CDU heute rhetorisch da, wo der "rechtsextreme Verdachtsfall" vor ein paar Jahren war. "Gesunder Menschenverstand statt grün-linker Bevormundung" ist auf konservativen Wahlplakaten in Stuttgart zu lesen, inhaltlich leistet die Gemeinderatsfraktion Pionierarbeit – im Einreißen der Brandmauer. Etwa wenn sie so tut, als könne sie gegen die Aufnahme von Geflüchteten stimmen, obwohl das gar nicht in die Entscheidungskompetenz der Stadt fällt. CDU-Fraktionschef Alexander Kotz sagt, er wolle nicht aktiv mit der AfD kooperieren, finde eine gemeinsame Mehrheit aber nicht verwerflich. Auf europäischer Ebene treibt CSU-Mann Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), die Öffnung der Fraktion für radikale Rechte voran.
Doch zum Glück gibt es noch zivilgesellschaftliches Engagement gegen diese Entwicklungen – und in Stuttgart soll das am Wochenende sogar mit Humor verbunden werden. Beim "Fest gegen rechts" tritt unter anderem der Kabarettist Max Uthoff auf, bekannt aus "Die Anstalt". Die Organisator:innen stellen die Veranstaltung unter das Motto: "Politisches Engagement muss auch Freude machen". Warum das gut zu den Lehren von Immanuel Kant passt, lesen Sie hier.
Wenig Freude haben aktuell die Kolleg:innen vom "Volksverpetzer". Ihnen wurde gerade die Gemeinnützigkeit entzogen. "Volksverpetzer" beobachtet und analysiert seit 2018 die rechtsextreme Szene, erarbeitet Faktenchecks über rechte Lügen – kurz: klärt auf. Wie Kontext finanziert sich "Volksverpetzer" durch Spenden und noch 2021 hatte das Finanzamt in puncto Gemeinnützigkeit keine Einwände gegen deren von Anfang an unveränderte Satzung, schreibt Gründer Thomas Laschyk. Doch nun: aus und vorbei und zwar rückwirkend ab 2021. Womit richtig hohe Steuernachzahlungen ins Haus stehen.
Dahinter steckt, dass Journalismus an sich in diesem Land nicht als gemeinnützig anerkannt ist, gemeinnützige Journalismus-Projekte damit immer in einer Grauzone agieren. Das Forum Gemeinnütziger Journalismus, in dem Kontext Gründungsmitglied ist, kämpft dafür und hatte Hoffnung, weil die Ampelregierung zugesagt hatte, gemeinnützigem Journalismus Rechtssicherheit zu geben. Bislang tut sich da aber wenig. Die "Volksverpetzer"-Behinderung durch das Finanzamt ist nun Anlass für eine Petition für Rechtssicherheit für Journalismus. Nicht nur der "Volksverpetzer" freut sich über Ihre Unterschrift, Kontext auch.
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Dietmar Rauter
am 15.05.2024