Dann gibt es noch Lindner. Der fährt nicht Taxi, sondern Porsche, weil ihm anscheinend jemand Taschengeld gibt. Lindners Dreitagebart-Gesicht sehe ich als Schwarzweißfoto mit dem Mond im Hintergrund über einem Textbalken: "Für mehr Freude am Erfinden als am Verbieten." Diese Zeile birgt eine interessante Logik: Als Thomas Alva Edison den elektrischen Stuhl erfunden hat, um mit der qualvollen Hinrichtung von Menschen für seinen Starkstrom zu werben, löste das bei vielen Leuten große Freude aus. Diese Freude ließ immer schlagartig nach, wenn die Todesstrafe verboten wurde.
Trotz der albernen Wahlarena-Aktionitis sind die Bundestagswahlen bis heute ein wichtiges, ein "relevantes" Thema. Gar nicht so Wenige überlegen sich bis kurz vor Abpfiff qualvoll ernsthaft, wen sie wählen sollen, obwohl die Partei Die Partei auf einem sehr guten Plakat den entscheidenden Tipp längst geliefert hat (im Wahlkampf muss mehr "geliefert" werden, als jeder Pizza-Service verkraftet). Besagtes Plakat sagt uns mit einem einzigen Wort, was wir im Angebot haben: "Irgendwas".
Selbstverständlich ist mir klar, dass mit Wahlen nicht zu spaßen ist. Das Recht auf freie Wahlen, wurde mir schon früh eingetrichtert, sei ein so wertvolles Gut, dass es einer Todsünde gleichkomme, es zu missachten. Ähnliches gilt in unserer Demokratie, für das Streikrecht. Die meisten halten es für eine so großartige Errungenschaft, dass sie Arbeitskämpfe aus demokratischer Überzeugung sofort unterstützen, solange sie niemanden stören: Lokführer-Streiks auf Abstellgleisen, Müllabfuhr-Streiks außerhalb von bewohnten Ortschaften und Kita-Streiks in den Ferien.
Damit wir uns richtig verstehen: Generalstreiks sind bei uns nur legal, wenn "Demokratie" und "Freiheit" bedroht sind. Ob eine Regierungsbeteiligung Lindners diesen Tatbestand erfüllt, ist schwer zu sagen. (Die verquere "Merkel weg!"-Bewegung hat ja bisher ihren Generalstreik aufs Impfen gegen Corona beschränkt, um auf diesem Weg die Republik zum Erliegen zu bringen.)
Jetzt wird auch noch das geistige Klima gekillt
Ich habe immer gewählt, immer gültig, nie Daisy Duck, Florian Silbereisen oder Stuttgarter Kickers auf den Wahlzettel gekritzelt. Genau genommen habe ich das Wählen von der Pike auf gelernt. Erstmals ging ich 1972 an die Urne, zu einer Zeit, als uns dieses Wort eher an Jimi Hendrix und Janis Joplin erinnerte und selbst unsere Suizidgedanken irgendwas mit Pop zu tun hatten.
1972 durften 18-Jährige wählen. Im selben Jahr hatte die CDU versucht, Willy Brandt per Misstrauensvotum zu stürzen. Funktionierte nicht, weil die Stasi, wie zwanzig Jahre später bekannt wurde, ein paar CDU-Stimmen käuflich erworben hatte. Rainer Barzel, ein Vorgänger Laschets, war der Dumme.
Von dieser Art Korruption konnte ich seinerzeit noch nichts wissen, weil in der BRD nie jemand von irgendwas wusste. Dennoch hat sich der käufliche Politiker in meinem staatstragenden Unterbewusstsein verankert. Heute bin ich ein moralisch durch und durch korrupter Wähler, der fröhlich in die Kabine marschiert, um in der Freiheit hinterm zugezogenen Vorhang seine Hosen bis zu den roten Socken herunterzulassen.
Briefwahl? Niemals. Mein Stimmzettel muss nach einem heruntergekommenen Schulgebäude riechen, zum Himmel stinken. Nur so lerne ich, was "Bildung für alle" in der Demokratie bedeutet. Frei nach einem SPD-Poster: Eben noch in einem versifften Hauptschulzimmer, morgen schon im korrupten Bundestag.
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