Donnerwetter, sage ich mir, während am Horizont ein Gewitter heraufzieht, das die restlichen Muschelkalkbrocken aus der Hbf-Fassade reißen und weit genug durch die Luft wirbeln könnte, um mich on top of all zu steinigen. Rein existenziell wähne ich mich ohnehin im Besitz gottverdammter Aktien, die noch tiefer fallen als unsere Bahnhofssteine.
Auf dem Börsenplatz gibt es gar keine Börse. Mit Aktien wird dort nur in üblichen Geldhäusern gehandelt. Etwa in der L-Bank, an deren Rotundenfassade bis heute "Friedrichsbau" steht. So nennt sich das Stuttgarter Varieté in Anlehnung an die historische Bühne, die 1944 ausbrannte. 50 Jahre später wurde in Erinnerung an dieses Haus, in dem Stars wie Josephine Baker, Max Reinhardts Theaterensemble und Häberle und Pfleiderer auftraten, ein neues Friedrichsbau-Varieté eröffnet. Von der Bank später an die Luft gesetzt, spielt das Varieté heute auf der Prag so vor sich hin.
Nach wie vor aber stehen die schwäbischen Humoristen Häberle und Pfleiderer alias Oscar Heiler und Willy Reichert samt dem Hund Napoleon als Bronzefiguren vor der L-Bank. Der Komödiant Heiler hatte noch 1994 bei der Friedrichsbau-Eröffnung mitgewirkt; im Jahr darauf starb er mit 88 Jahren. Reichert & Heiler waren sehr gute, in der ganzen Republik geschätzte Komiker und Schauspieler – alles andere als schwäbische Breimaulblödel, wie sie heute ihr Unwesen treiben. Ich denke, dass einige Sketche von H & P immer noch funktionieren könnten. Ihr trostloses Dasein als Bank-Türsteher ist typisch stuttgarterisch.
Auf dem Börsenplatz finden sich weitere Kunstobjekte, die einen gewissen Reichtum spiegeln und ablenken sollen von der armseligen Kultur des politischen Alltags. Alles über den herrschenden Geist Stuttgarts erzählt in diesem Arrangement mit Springbrunnen Hans-Jörg Limbachs Bronzeplastik "Denkpartner", die früher auch schon auf dem Rotebühlplatz und auf dem Kleinen Schlossplatz geparkt wurde.
Der Kleine Schlossplatz ist übrigens der Ort, an dem der neue OB und sein neuer Ordnungsgehilfe mit BM-Status Kraftmaschinen aufstellen ließen. So wollen sie wie einst mein kommissgestählter Turnlehrer die Energie dynamischer Jugendlicher abbauen nach dem Motto: mehr Muskeln, weniger Masturbation.
Der Glatzkopf namens Denkpartner auf dem nahen Börsenplatz schaut unterdessen in die Welt, als möchte er uns sagen: Wenn in dieser Stadt ausnahmsweise mal einer denkt, dann garantiert ans Geld. Die Börse selbst steht in der Börsenstraße, die früher zur Schloßstraße gehörte und 2006 umgetauft wurde. Schließlich muss jeder Pflasterstein herhalten, den Wirtschaftsstandort Stuttgart aufzuwerten.
Das gilt auch für die Kultur. Als der bekannte Backnanger Straßenfestprediger Nopper neulich in seiner Rolle als Stuttgarter OB über den geplanten Interimsbau der Oper im Off-Szene-Umfeld der Wagenhallen referierte, bestach er mit scharfer Expertise: "Dort ist in den vergangenen 15 Jahren ein einzigartiges Kulturareal entstanden, das für unsere Stadt absolut bedeutend ist. Viele würden so etwas eher in Berlin erwarten als in Stuttgart."
Boah, Berlin. Das Wichtigste für den Weltblick Stuttgarter Wichtigs ist immer der Vergleich mit anderen Städten, egal ob sie fünf- oder zehnmal größer sind als das eigene Dorf.
Als ich Landei erstmals die Börsenstraße sah, hatte ich so etwas natürlich eher in New York erwartet. Schnurstracks packte ich meinen Koffer und landete in der Wall Street. Dortselbst haben die einheimischen Geldsäcke nicht etwa einen bronzenen Denker, sondern einen bronzenen Stier aufgestellt. So ein Bulle hat halt Eier. Drumherum sind zwar die Häuser ein bisschen höher als bei uns, ansonsten aber gibt es keinerlei Unterschied zwischen New York und Stuttgart. In Wahrheit verstrahlt unsere Gemeinde am verbuddelten Nesenbach mehr Weltstadt-Eleganz als jeder Stier.
Auch das kann ich belegen. Unter Beachtung eidesstattlicher Auflagen hat mir jemand aus dem Innenleben der Staatstheater von einem Gala-Auftritt erzählt, den ich als Dokument der Zeitgeschichte weitergeben muss:
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W. Buck
am 28.08.2021Stuttgart mag zwar in vielem provinziell sein, was die S-Bahn angeht, ist diese Stadt anderen Städten (z. B. Berlin) schon seit Jahren meilenweit voraus. Wenn ich in Berlin mit der S- oder U-Bahn zum Hauptbahnhof fahre, wird mir das per Lautsprecher nur in deutsch angesagt. In…