In den Lockdowns der Pandemie hat sich bei vielen der Spezies Gehendes Tier das Bedürfnis zurückgemeldet, mal wieder unter freiem Himmel loszuziehen. Sogar auf eigenen Beinen.
Von Zeit zu Zeit entdecken Menschen eine exotische Fortbewegungsart namens Spazierengehen. In der neoliberalen Marketing-Demokratie kann es da nicht ausbleiben, den gemäßigten Schritt mit körpereigenem Werkzeug umgehend als Mode zu missbrauchen. Womöglich lässt sich damit sogar etwas im Outdoor-Business verdienen, auch wenn Spaziergänger keine spezielle Ausrüstung brauchen, wollen sie sich nicht im Dienste kapitalistischer Leistungsmaximierung mit einem Ultrasport foltern.
Bei uns wird der aufrechte Gang am ehesten dann beachtet, wenn sich ahnungslose Reklamedichter in ihrer Shopping-Propaganda an den Flaneur erinnern. Mitten im Stuttgarter Breuninger-Revier standen schon mal Liegestühle mit der Aufschrift: "Platz für Flaneure". Bei diesem Anblick setzt es dich als Herumgeher glatt auf den Arsch, während der ökobewusste Herr Stadtrat umgehend eine "Flaniermeile" fordert, mit der Auflage, bloß keinen Parkplatz dafür zu opfern.
Unsereiner hat sich das Spazierengehen vor einem Vierteljahrhundert in einer geistigen Notlage angewöhnt. Mein Chef bei den "Stuttgarter Nachrichten" erteilte mir aus heiterem Himmel den Auftrag, in Zukunft hauptberuflich eine Kolumne namens "Joe Bauer in der Stadt" zu füllen. Da mir niemand sagte, woher der Stoff dafür kommen könnte, schickte ich meine vom Sitzen verkümmerten Hirnzellen spazieren ins Nichts.
Unterwegs mit 3 km/h
Mich der Stadt auf dem Sofa vor dem Bildschirm zu nähern, erschien mir so wenig erfolgversprechend, wie die Straßenbahn oder ein Taxi zu nehmen, wenn ich weiterhin meinen Monatslohn erhalten wollte. Also begann ich herumzugehen.
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