Orte sind Erinnerungen, falls man noch welche hat. Ich erinnere mich, wie ich nach der Bundestagswahl 2017 an der Mombachquelle strandete. Die AfD war mit Rabauken und Proleten in den Bundestag eingezogen, und ihre Stuttgarter Truppe feierte auf dem Neckarschiff "Wilhelma" ihre Wahlparty. Die Mombachquelle am Cannstatter Mühlsteg erschien mir wie eine Oase des Atmens, um Abstand vom brauen Sumpf zu gewinnen. Gegenüber sprudelt das beste Wasser weit und breit aus dem Auquellbrunnen, viele Menschen wallfahren hierher, um gratis ihre Flaschen fürs Überleben zu füllen.
Als ich 2017 am Quelltopf den völkischen Jubel zu verdauen suchte, hatte ich noch keine Ahnung, dass über diesem städtischen Pausenhof der Hallschlag mit dem Römerkastell liegt. Ich wusste nur, dass man auf dem Weg zum Mühlsteg mit der Straßenbahn am Alten Hasen vorbeikommt, wo der revolutionäre Dichter Ferdinand Freiligrath im März 1876 einer Herzattacke erlag. Das war drei Jahre nach den Stuttgarter Krawallen, die ein Vorfall im Geschäft der Jüdin Helene Baruch in der Hirschgasse im Stuttgarter Zentrum ausgelöst hatte. Ein Soldat führte sich mies auf, weshalb die Polizei in den Laden kommen musste. Daraufhin entlud sich nach reichlich Lügen- und Hetzpropaganda tage- und nächtelang der antisemitische Hass der Schwaben. Dieses Kapitel Randale wird heute in der Chronik der Stuttgarter Ausschreitungen gern und erfolgreich verschwiegen.
Solche Dinge gehen dir durchs Hirn, wenn du mangels Kopfkompass zum Gedankenspringer wirst. Da mich mein Orientierungssinn seit jeher im Stich lässt, lande ich ziemlich oft auf dem Holzweg. Diese krankhafte Hirnspeicherstörung kommt mir als Spaziergänger allerdings nicht ungelegen, weil ich mir einrede, dank meiner krummen Touren mehr von der Welt zu sehen.
Als ich neulich wieder zur Mombachquelle ging, um die Treppen zum Hallschlag zu nehmen, fuhr eine Straßenbahn mit fetter SSB-Reklame vorbei: "Rolling home for Spätzle". Diese Hook, ein Leberhaken der Lyrics aus der Marketing-Ecke, katapultierte mich vollends aus der Spur. Plötzlich tauchten vor meinen Augen randalierende Schwaben auf, allesamt mit Spätzle unter matschigem Käse und schlammiger Bratensoße so vollgefressen, dass sie nicht aufrecht gehen konnten, sondern röchelnd und flatulierend nach Hause rollten for swabian Teigwaren.
Okay, es war ein heißer Sommertag am Mombach, ein Tag für Alpträume. Zügig stapfte ich die schöne Steintreppe mit ihren Graffiti-Wänden zum Römerkastell empor. Unter mir sah ich in den glühenden Kessel. Das Feuer des Sommers lag in der ewig heißen Luft dieser Stadt, ich ging zur Rommelstraße 4, wo seit Jahren ein ehemaliges Offizierskasino verrottet. Nicht lange zuvor hatte ich an einer Hauswand noch die Stahlgewittertafeln zur Würdigung der Schlachten von Hitlers Wehrmacht in Tunis, Tobruk und El Alamein gelesen. Jetzt sah ich die Schilder nicht mehr an dieser Straße, die im fortschrittlichen Stuttgarter Zeitgeist des Jahres 1968 nach dem Generalfeldmarschall Erwin Rommel benannt worden war. Und dann stehe ich mitten im Römerkastell und denke, wir müssen froh sein, dass auf diesem weitläufigen Beton-Areal kein Erwin-Rommel-Airport gebaut wird, damit die Helikopter-Eltern und Privatjet-Bosse der Stadt besser abheben können. Vorerst bleibt es beim weltberühmten Manfred-Rommel-Flugplatz in Echterdingen.
Achse des Bösen zwischen Backnang und Trossingen
Die nicht gänzlich Verblichenen unter uns kennen den Cannstatter Stadtteil Hallschlag noch als "Krawallschlag", als sogenannten sozialen Brennpunkt. Die Probleme wurden einst mit guter Sozial- und Jugendarbeit behoben. Heute wird diese Lösung in Stuttgart durch verschärfte Polizeikontrollen, totale Video-Überwachung und rigorose Vertreibung junger Menschen aus der Stadt ersetzt. Das verdanken wir neuen Rathaus-Kommandeuren wie Nopper und Maier, die sich auskennen auf der Achse des Bösen zwischen Backnang und Trossingen.
Vieles hat sich verändert in der Stadt. Als nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Hallschlag neue Wohnungen gebaut wurden, gab es eine Drei-Zimmer-Wohnung mit 43 Quadratmetern für 41 Mark Monatsmiete. Für dieses Geld bekommst du heute mit viel Dusel und gutem Gehalt anderthalb Quadratmeter in einer Heslacher WG. Im Hallschlag werden unterdessen Abrissbagger in Gang und Menschen auf die Straße gesetzt.
3 Kommentare verfügbar
Mahner
am 01.07.2021